Liebe Leser*innen,
wird anlässlich runder Jubiläen an den 17. Juni 1953 erinnert, wird er in schöner Regelmäßigkeit als „Aufstand für demokratische Werte“ gezeichnet, vorgetragen als beharrliche Mahnung, dass Freiheit stets erkämpft werden müsse, und mit der Aufforderung versehen, kritische Korrektive gegen Geschichtsklitterung zu setzen.
„Über nur wenige Tage der deutschen Geschichte wurde so viel geredet, wie über den 17. Juni 1953, und über kaum einen anderen Tag wurde mehr geschwiegen und gelogen.“ Mit diesen Worten beginnt Stefan Wolle seinen Text im vorliegenden LaG-Magazin Der 17. Juni 1953 – historische und aktuelle Narrative. Und wer das Datum und dessen geschichtspolitisch motivierte Deutungen in der Gesamtschau betrachtet, ist geneigt, seiner Aussage beizupflichten. Denn die Perspektiven auf den 17. Juni sind, je nachdem, welche Akteur*innen sie zu welchem Zeitpunkt einnehmen, sehr unterschiedlich; und sie sind es auch in diesem Heft.
Zur Einführung erläutert Michael Gehler überblicksartig die Ereignisse rund um den 17. Juni. Dieser Text legt die Grundlage für die weiteren Beiträge und sei allen ans Herz gelegt, die noch einmal die Ereignisse nachlesen und sich darüber hinaus mit deren Einordnung in die Dynamik des Kalten Krieges befassen möchten. Thomas Flemming spannt im Anschluss einen größeren Rahmen auf, indem er den Aufstand in der DDR in seinen (ost)europäischen Kontext einbettet.
Niklas Poppe für Halle und Jochen Voit zusammen mit Enno Holloch für Erfurt gewähren Einblicke in die lokale Perspektive und rücken Protagonist*innen der Proteste vor Ort in den Fokus. Eine besondere Freude ist es für uns, dass uns Wolfgang Jähnichen und Lutz Rackow als Zeitzeugen an ihren persönlichen Erlebnissen rund um den 17. Juni in Dresden und Berlin teilhaben lassen.
Stefan Wolle beleuchtet den Alltag des Jahres 1953 – und zwar nach den Aufständen. Erfahrbar wird, wie das Leben weiterging und wie die staatlichen Reaktionen jenseits von Verhaftungen und Sanktionen aussahen.
Christoph Kleßmann diskutiert gebündelt die unterschiedlichen Narrative und geschichtspolitischen Kampflinien, die bis heute mit dem 17. Juni verknüpft sind. Gerade im Jubiläumsjahr 2023 ist die politische Rahmung des Jahrestages eine besondere. Im Gespräch mit Ilko-Sascha Kowalczuk haben wir diskutiert, welche aktuellen Bezüge das diesjährige Jubiläum bietet und welche Fragen es aufwirft.
Unterschiedliche Möglichkeiten, den 17. Juni heute als Gegenstand der historisch-politischen Bildung zu vermitteln und zu diskutieren, stellt zunächst Clara Marz mit der Ausstellung „17. Juni kompakt“ vor. Daran anschließend bietet der Wegweiser von Sabrina Pfefferle eine Orientierung über die Schwerpunkte der wichtigsten Themendossiers zum 17. Juni, die online verfügbar sind.
Alle Interessierten weisen wir zudem darauf hin, dass wir am 23. Mai 2023 in Kooperation mit dem Lernort Keibelstraße ein Web-Seminar zu den Lernpotenzialen des umkämpften Gedenktages anbieten, für das wir Saskia Handro als Referentin gewinnen konnten.
Wir bedanken uns außerdem herzlich bei der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur für die Förderung dieser Ausgabe.
Das nächste LaG-Magazin erscheint voraussichtlich am 28. Juni und widmet sich der Frage, ob sich die im Zuge der Wende erfolgten sozialen, politischen und ökonomischen Verwerfungen als Formen einer Kolonisierung (im Sinne einer westdeutschen Dominanz) verstehen lassen.
Und nun wünschen wir allen Leser*innen eine anregende und vielleicht stellenweise auch kontroverse Lektüre!
Ihre LaG-Redaktion