Liebe Leserinnen und Leser,
wir begrüßen Sie zur aktuellen Ausgabe des LaG-Magazins. Wir befassen uns in diesem Monat mit Geschichtskulturen ausgewählter Länder in Mittel- und Osteuropa. Wesentlich geprägt sind für diese Staaten durch zweierlei Erinnerungen: Die an den stalinistisch fundierten „real existierenden Sozialismus“ und die Erinnerung an die deutsche Besatzung im Zweiten Weltkrieg. In vielen Staaten des östlichen Europas hat sich infolge der demokratischen Umbrüche 1989/90 ein neues Geschichtsnarrativ entwickelt, dass die eigene Nation zum Opfer zweier „totalitärer Regime“ konstruiert. Im Zuge dieser totalitarismustheoretischen Deutungen werden Verstrickungen der eigenen Bevölkerung sowohl in die stalinistische Herrschaft als auch in die nationalsozialistischen Verbrechen teilweise ignoriert oder gerechtfertigt. Das ist im Fall von Litauen besonders augenfällig, wo erst eine neue Generation von Historiker_innen sich mit den „blinden Flecken“ der eigenen Geschichte befasst. In der westlichen Ukraine greift demgegenüber eine Verherrlichung von Stepan Bandera um sich, die ihren Ausdruck in neuen Denkmälern für ihn findet, während vor allem in den östlichen Landesteilen noch immer das Narrativ vom „Großen Vaterländischen Krieg“ dominiert.
Die problematischen Geschichtsdeutungen haben aktuelle Auswirkungen. In Tschechien wird höchst zögerlich an den Völkermord an Sinti und Roma erinnert. Gleichzeitig gab es ab Mai 2013 eine regelrechte Welle von rassistischen Aufmärschen gegen tschechische Roma, die in der Stadt Duchov ihren Ausgangspunkt hatten. Auch tschechische Politiker benutzen immer wieder das Stereotyp vom „asozialen Zigeuner“. In dieser Ausgabe des LaG-Magazins betrachten wir die Länder Tschechien, Ukraine und Litauen genauer.
Juliane Niklas befasst sich mit der Zerrissenheit der postsowjetischen Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg in der Ukraine. Sie zeigt die problematischen Aspekte der Lustrationsgesetzgebung auf und geht darauf ein, wie das Gedenken an den Holodomor andere Erinnerungskomplexe überlagert.
Ekaterina Makhotina greift am Beispiel der musealen Inszenierungen im Neunten Fort in Kaunas die Erinnerungskonflikte in der litauischen Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg auf. Sie weist daraufhin, dass die Konstruktion eines sowjetischen Genozids an der litauischen Bevölkerung der Nationalisierung der Erinnerung dient.
Ingolf Seidel schreibt über Entwicklung der Erinnerung an die Judenvernichtung und an den Genozid an Sinti und Roma in der heutigen Geschichtskultur. Dabei zeigt er die unterschiedlichen Gewichtungen auf, die die beiden Massenverbrechen heute in Tschechien einnehmen.
Wir bedanken uns bei den externen Autor_innen herzlich für Ihre Essays. Die Redaktion wünscht Ihnen mit der vorliegenden Ausgabe eine interessante Lektüre.
Das nächste LaG-Magazin erscheint am 29. März 2017 und trägt den Titel "Der Große Terror 1937 - 1938 in der Sowjetunion“.
Ihre LaG-Redaktion