Magazin vom 22. Februar 2017 (02/17)

Mittel- und Osteuropäische Erinnerungskulturen - im Spannungsfeld von Aufarbeitung des Stalinismus und Positionierungen zu den nationalsozialistischen Verbrechen

Liebe Leserinnen und Leser,

wir begrüßen Sie zur aktuellen Ausgabe des LaG-Magazins. Wir befassen uns in diesem Monat mit Geschichtskulturen ausgewählter Länder in Mittel- und Osteuropa. Wesentlich geprägt sind für diese Staaten durch zweierlei Erinnerungen: Die an den stalinistisch fundierten „real existierenden Sozialismus“ und die Erinnerung an die deutsche Besatzung im Zweiten Weltkrieg. In vielen Staaten des östlichen Europas hat sich infolge der demokratischen Umbrüche 1989/90 ein neues Geschichtsnarrativ entwickelt, dass die eigene Nation zum Opfer zweier „totalitärer Regime“ konstruiert. Im Zuge dieser totalitarismustheoretischen Deutungen werden Verstrickungen der eigenen Bevölkerung sowohl in die stalinistische Herrschaft als auch in die nationalsozialistischen Verbrechen teilweise ignoriert oder gerechtfertigt. Das ist im Fall von Litauen besonders augenfällig, wo erst eine neue Generation von Historiker_innen sich mit den „blinden Flecken“ der eigenen Geschichte befasst. In der westlichen Ukraine greift demgegenüber eine Verherrlichung von Stepan Bandera um sich, die ihren Ausdruck in neuen Denkmälern für ihn findet, während vor allem in den östlichen Landesteilen noch immer das Narrativ vom „Großen Vaterländischen Krieg“ dominiert. 

Die problematischen Geschichtsdeutungen haben aktuelle Auswirkungen. In Tschechien wird höchst zögerlich an den Völkermord an Sinti und Roma erinnert. Gleichzeitig gab es ab Mai 2013 eine regelrechte Welle von rassistischen Aufmärschen gegen tschechische Roma, die in der Stadt Duchov ihren Ausgangspunkt hatten. Auch tschechische Politiker benutzen immer wieder das Stereotyp vom „asozialen Zigeuner“. In dieser Ausgabe des LaG-Magazins betrachten wir die Länder Tschechien, Ukraine und Litauen genauer. 

Juliane Niklas befasst sich mit der Zerrissenheit der postsowjetischen Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg in der Ukraine. Sie zeigt die problematischen Aspekte der Lustrationsgesetzgebung auf und geht darauf ein, wie das Gedenken an den Holodomor andere Erinnerungskomplexe überlagert. 

Ekaterina Makhotina greift am Beispiel der musealen Inszenierungen im Neunten Fort in Kaunas die Erinnerungskonflikte in der litauischen Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg auf. Sie weist daraufhin, dass die Konstruktion eines sowjetischen Genozids an der litauischen Bevölkerung der Nationalisierung der Erinnerung dient. 

Ingolf Seidel schreibt über Entwicklung der Erinnerung an die Judenvernichtung und an den Genozid an Sinti und Roma in der heutigen Geschichtskultur. Dabei zeigt er die unterschiedlichen Gewichtungen auf, die die beiden Massenverbrechen heute in Tschechien einnehmen. 

Wir bedanken uns bei den externen Autor_innen herzlich für Ihre Essays. Die Redaktion wünscht Ihnen mit der vorliegenden Ausgabe eine interessante Lektüre.

Das nächste LaG-Magazin erscheint am 29. März 2017 und trägt den Titel "Der Große Terror 1937 - 1938 in der Sowjetunion“. 

Ihre LaG-Redaktion

Beiträge

Zur Diskussion

Juliane Niklas setzt sich mit der gespaltenen Erinnerung in der Ukraine an den Zweiten Weltkrieg und an den Holodomor auseinander.

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Ekaterina Makhotina greift am Beispiel der musealen Inszenierungen im Neunten Fort in Kaunas die Erinnerungskonflikte in der litauischen Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg auf.

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Der Beitrag wirft Schlaglichter auf die Erinnerung an den Völkermord an Sinti und Roma und an die Judenvernichtung in der tschechischen Geschichtskultur nach 1945.

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Die hier besprochene Monographie von Ekatherina Makhotina befasst sich mit Erinnerungskonkurrenzen an den Zweiten Weltkrieg im litauischen Geschichtsdiskurs.

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Der Sammelband „Conflict and Memory: Bridging Past and Future in [South East] Europe“  betrachtet südosteuropäische Erinnerungskulturen aus einer gesamteuropäischen Perspektive. In kurzen, länderspezifischen Beiträgen liefert er informative Einblicke in aktuelle historisch-politische Prozesse und Geschichtsbilder einzelner Staaten und trägt so zum besseren Verständnis der Region bei.

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Empfehlung Fachbuch

Der Sammelband „Erinnern mit Hindernissen“ beleuchtet an ausgewählten Beispielen die Erinnerung an osteuropäische Gedenktage und Jubiläen im Laufe des 20. Jahrhunderts. Die Autor_innen arbeiten dabei insbesondere Widersprüche zwischen nationalem Gedenken und kommunistischer Selbstlegitimierung heraus.

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Empfehlung Web

Eine Beitragssammlung des Webportals Zeitgeschichte Online setzt sich mit der aktuellen polnischen Geschichtspolitik auseinander. Die Autor_innen dekonstruieren vereinfachende Narrative nationalistischer Prägung – und plädieren für eine differenzierte, multiperspektivisch angelegte Auseinandersetzung mit der Vergangenheit.

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Empfehlung Web

Der Webtalk History@Debate bietet einem interessierten Publikum einen interaktiven Einblick in aktuelle geschichtswissenschaftliche Diskussionen. Eine Episode beleuchtet das Verhältnis zwischen Nationalsozialismus und Stalinismus in den west- und osteuropäischen Erinnerungskulturen.

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Projekt

Die Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde leistet als interdisziplinärer Forschungsverbund einen Beitrag zum europäischen Dialog. Die von der DGO herausgegebene Zeitschrift Osteuropa greift Themen aus den Bereichen Politik, Geschichte, Wirtschaft und Kultur auf.

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