Traumatisierung durch politisierte Medizin
Von Tanja Kleeh
Mit ihrem Werk „Traumatisierung durch politisierte Medizin. Geschlossene Venerologische Stationen in der DDR“ widmen sich die Autoren Florian Steger und Maximilian Schochow einem wenig bekannten Kapitel der DDR-Geschichte. Bereits 2014 veröffentlichten die Autoren eine entsprechende Forschungsarbeit zur geschlossenen Venerologischen Station in der Poliklinik Mitte in Halle (Saale). Davon ausgehend -und mit ähnlicher Methodik – sind in der vorliegenden Studie die entsprechenden Stationen aus Leipzig-Thonberg, Berlin und Berlin-Buch sowie Dresden-Friedrichstadt untersucht worden
Nach einer Einführung in die Methodik stellen die Autoren die Entstehungsgeschichte der geschlossenen Venerologischen Stationen vor. Dabei schlagen Steger und Schochow den Bogen von den sogenannten „Fürsorgeheimen für Geschlechtskranke“ bis zu den Stationen. Die Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten habe bei den Alliierten nach Ende des Zweiten Weltkriegs eine hohe Priorität gehabt, da sie fürchteten, „dass die deutschen Verwaltungen und Ärzte die immer bedrohlicher werdende Zahl an Infektionen nicht beherrschen würden“ (S.13). Entsprechende Befehle der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland wurden unter anderem mit folgenden Maßnahmen umgesetzt: Die Einführung der namentlichen Meldepflicht für Geschlechtskranke, die Ausbildung von Hilfsvenerologen, die Zwangshospitalisierung aller ansteckenden Formen von Syphilis sowie die Beratung, Aufklärung und gesundheitliche Erziehung der Bevölkerung (S.16). Auf Grundlage dieser Gesetzeslage wurden vor allem Prostituierte, „Krankheitsverdächtige und sogenannte HwG-Personen, […] Personen, die unter dem Verdacht standen geschlechtskrank zu sein“ zwangsweise hospitalisiert (S.18). Unter „HwG-Personen“ wurden Menschen verstanden, die im Verdacht standen, häufig wechselnde Geschlechtspartner*innen zu haben.
Die Autoren der Studie legen recht ausführlich dar, wie sich die medizinische Versorgung der Klinikpatient*innen gestaltete. Anhand eines Pflichtkurses zur Aus- und Weiterbildung erlernten Ärzt*innen und Pflegepersonal die Erkennung von Geschlechtskrankheiten und die Behandlung dieser (S.26). Empfohlen wurde die Behandlung mit Penicillin. An dieser Stelle werden die Autoren sehr fachspezifisch, so dass Nicht-Mediziner*innen etwas verwirrt sein können. Für das Verständnis der weiteren Lektüre tut dies jedoch keinen Abbruch.
Das Beispiel Berlin
Für Berlin machen die Autoren zwei Venerologische Stationen aus – im Krankenhaus Prenzlauer Berg, die später nach Berlin-Buch verlegt wurde. Unterstützt von Zeitzeug*innenberichten und Akten aus dem Landesarchiv rekonstruieren Steger und Schochow, wie die Organisation, Unterbringung und Untersuchungen abliefen. Das beteiligte medizinische Personal wird namentlich genannt, die Zwangseingewiesenen jedoch anonymisiert gehalten. Der Schwerpunkt in Berlin habe in der Einrichtung von „Beratungs-, Behandlungs- und Fürsorgestellen für die Behandlung Geschlechtskranker sowie die Einrichtung polizeilich überwachter Stationen für die Behandlung von Syphilis- und Gonorrhoe-Patienten“ gelegen (S.143). Die baulichen Gegebenheiten der Kliniken wurden angepasst, im Prenzlauer Berg etwa durch vergitterte Fenster und dem Ausbau eines geschlossenen Gartens, „der von den Kranken am Tage zu bestimmten Zeiten für Freigänge genutzt werden konnte“ (S.149).
Präventive Maßnahmen wurden mittels Vorträgen, Plakaten und Flugblättern durchgeführt. Zudem habe, so die Autoren, Kontakt zu Prostituierten bestanden. Geschlechtskrankheiten seien sowohl ambulant als auch stationär – auch nach Zwangsweinweisungen – behandelt worden. Über diese Zwangseinweisungen berichtet einer der angeführten Berichte. Rückblickend von einer Lehrerin aus einem Berliner Jugendwerkhof verfasst, werden die Beweggründe klar, Frauen in das Krankenhaus zu schicken: „Deshalb schickten wir die Ausreißerinnen zur Untersuchung ins Krankenhaus für Geschlechtskrankheiten […]“ (S.147). Die Schwestern seien „nicht sehr sanft mit den Mädchen“ umgegangen. Von der Augenzeugin wird dies jedoch als notwendig erachtet. Nach der Untersuchung sei das Mädchen „eingeschüchtert“ gewesen, berichtet die Lehrerin weiter.
Von ihren Erfahrungen mit der Venerologischen Station berichten auch selbst Betroffene, die 1957 und 1975 zwangseingewiesen wurden. Sie berichten von gynäkologischen Untersuchungen, Übergriffen, Demütigungen und permanenter Überwachung. Teilweise wird auch von Gewalt der Patientinnen gegeneinander als auch gegen die Institution berichtet. Die Zeitzeugenberichte sind in ihren Details teilweise schwer erträglich. Umso wichtiger ist es, an dieser Stelle zu betonen, dass die Autoren des Buches „Traumatisierung durch politisierte Medizin“ hier angerechnet werden muss, dass sie sich entschlossen haben, auch diese aufzunehmen.
Spätfolgen
Der Aufenthalt in den Venerologischen Stationen und die dort gemachten Erfahrungen begleiteten viele der Frauen ihr Leben lang. Die gynäkologischen Untersuchungen traumatisierten ebenso wie der isolierte Aufenthalt auf den Stationen (S. 199). Steger und Schochow weisen zudem daraufhin, dass sich diese Traumatisierungen auch in den Folgegenerationen bemerkbar machen. Sie sprechen in diesem Zusammenhang von „transgenerationaler Weitergabe“. Die Bestimmung solcher Traumata ist jedoch schwierig, da Kindern häufig nicht über die Inhaftierung ihrer Eltern berichtet wurde. Hinzu kommt eine hohe Dunkelziffer an Kindern, die bis ins eigene hohe Alter im Unklaren über den Verbleib ihrer Eltern blieben, da sie adoptiert wurden und die Adoptiveltern darüber schwiegen (S.200). Florian Steger und Maximilian Schochow arbeiten diese Aspekte anhand einiger beispielhafter Biographien auf.
Fazit
„Traumatisierung durch politisierte Medizin. Geschlossene Venerologische Stationen in der DDR“ ist ein schwer zu verdauendes, jedoch sehr gutes Buch. Auch ohne medizinisches Vorwissen kann ein Kapitel Medizingeschichte kennengelernt werden, das im breiten Bewusstsein der Öffentlichkeit noch nicht bekannt ist. Vor allem die vielfältige Quellenarbeit der Autoren sticht hervor und macht das Buch interessant. Allerdings ist darauf zu achten, dass für Menschen mit ähnlichen Erfahrungen viele Trigger versteckt sind.