Beitrags-Autor: Ingolf Seidel Sie müssen angemeldet sein, um das Benutzerprofil zu sehen |
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Mit der animierten Dokumentation „Waltz with Bashir“ verarbeitet der israelische Regisseur Ari Folman eigene Erlebnisse aus dem Libanonfeldzug der frühen Achtzigerjahre.
Die Hauptfigur Boaz wird in seinen Träumen Nacht für Nacht von einer Hundemeute verfolgt, die ihn töten will. Boaz erzählt den Traum seinem Freund Ari, der daraufhin ehemalige Soldaten, Reporter, Freunde und Psychologen befragt. Die einzelnen Passagen bilden einen Art Puzzle, eine vollständige Erinnerung an das eigene Erleben scheint es nicht zu geben. So legt der Regisseur Ari Schicht für Schicht die eigene Erinnerung frei und fragt sich nach der eigenen Verstrickung in die Massaker in den palästinensischen Flüchtlingslagern von Sabra und Shatila im September 1982. Diese wurden nicht durch israelische Soldaten begangen, sondern durch die Verbündeten christlich-maronitischen Milizen als Folge der Ermordung des Führers der Falangepartei Bashir Gemayel. Doch die Duldung des Geschehens durch die israelische Militärführung, die Abriegelung der Lager und die Unterstützung der falangistischen Infrastruktur schufen eine Mitverantwortung der israelischen Konfliktpartei.
„Waltz with Bashir“ bedient sich der Bildersprache von Comics und Graphic Novels und schafft dabei eine Distanz zum Geschehen, die den Zuschauer einerseits vor Überforderung schützt und andererseits eine Dichte erzeugt, die einen mitten in das alptraumhafte Geschehen hineinzieht. Die Düsternis der Szenerie, das Verfahren der real gefilmten Bilder, die anschließend manuell abgezeichnet wurden schafft eine Stimmung, die häufig surreal wirkt und in der die Handelnden, also die Soldaten der Realität entrückt scheinen. Desto schockhafter wirken am Ende des Films eingeschnittene Realszenen aus dem Lagerkrieg. Sie führen den Zuschauenden den realen Hintergrund des Films unausweichlich vor Augen.
Ari Folman deckt durch sein Verfahren Schichten der Erinnerung auf, die dem Vergessen anheimgefallen sind. Dabei muss er notwendigerweise reduzieren. Der Regisseur erzählt kaum die Umstände des israelischen Libanonfeldzuges und des Bürgerkrieges im Lande, ausgelöst durch das Eintreffen der palästinensischen Nationalbewegung PLO im Libanon, wodurch ein fragiles Kräftegleichgewicht zwischen arabischen Nationalisten, sunnitische und schiitische Bewegungen und christlichen Parteien zerbrach. In diesem Sinn ist der Film ahistorisch und muss einen Teil der politischen und historischen Umstände ausblenden um sein Ziel, die Offenlegung der Traumata der Soldaten zu erreichen. Hierin liegt die Stärke und Beschränkung von „Waltz with Bashir“ zugleich.
Um den Film sinnvoll für die politische Bildungsarbeit oder im Geschichtsunterricht einzusetzen, sollten die historischen Umstände erarbeitet werden, in die das Geschehen eingebettet ist. Das erfordert eine gründliche Erarbeitung von Detail – und Vorwissen des Nahostkonflikts - dazu gehört im Mindesten die Erarbeitung der Konfliktgeschichte vom 6-Tagekrieg 1967 über die Vertreibung der PLO aus Jordanien in den Libanon bis zu den im Film erzählten Ereignissen. Unterstützend kann der Einsatz des gedruckten Comics von „Waltz with Bashir“ wirken, um sich einzelne Szenen ins Gedächtnis zu holen und zu reflektieren.
Für das Verständnis von jungen Menschen, die durch äußeren Druck, einer permanenten äußeren Bedrohung des Staates Israel und die nicht immer unproblematischen Entscheidungen der jeweiligen Regierungen geschuldet, immer wieder in unmenschliche Ausnahmesituationen kommen, bedarf es mehr als nur die Betroffenheit, die ein solcher Film auslöst. In der israelischen Gesellschaft mag „Waltz with Bashir“ ohne didaktische Begleitung funktionieren. Für den Einsatz im bundesdeutschen Bildungswesen erscheint ein kontextualisierendes Verfahren notwendig, wenn man Folmans herausragendes Werk nicht nur als allgemeine Anklage des Krieges lesen will, die einseitig die israelische Seite verdammt und die Verstrickung der vielen anderen Konfliktparteien ignoriert.
Das Katholische Filmwerk (KFW) hat eine 75-seitige Broschüre für die Bildungsarbeit mit „Waltz with Bashir“ erstellt. Neben einer ausführlichen Inhaltsangabe finden Lehrende Angeben zum historischen Hintergrund des Libanonkrieges, zur Kunstform des Animationsfilms und zum Soundtrack. Doch den Hauptteil der Handreichung bilden die zehn Arbeitsblätter für den Unterricht. Darin werden die Themen des Films wie Erinnerung und Vergessen, Kriegstraumata, Heldenmythen und das Medium des dokumentarischen Animationsfilms aufgegriffen. Schülerinnen und Schüler werden so angeleitet, den Film unter ausgewählten Blickwinkeln zu betrachten und kritisch zu reflektieren.
Hier finden sie die Handreichung im pdf-Format