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1998 fand der erste Versuch mit Kindern in der Gedenkstätte Hadamar zu arbeiten statt.[1] Unter dem Motto: Spurensuche mit Kamera, Wachsstift und Papier, dokumentierten Kinder ihren Aufenthalt in Hadamar. Dies war ein Projekt, das zwar in der Schule vorbereitet wurde, aber klassenübergreifend auf freiwilliger Basis nachmittags stattfand. 1999 gab es den ersten Kindertag im Rahmen der Anne-Frank-Ausstellung. 2001 konnten die bis dahin gemachten Erfahrungen und gesammelten Ideen in das zweitägige Schulprojekt einer 4. Klasse einfließen. Damit war der Stein ins Rollen gebracht worden: Seit 2002 gibt es das mehrtägige, frei ausgeschriebene Projekt: Kinder leben und lernen in der Gedenkstätte Hadamar.[2]
Parallel dazu kam es zu der engen und fruchtbaren Zusammenarbeit mit der Pestalozzi-Grundschule in Diez. Die integrative Schule hat es sich zur Aufgabe gemacht, Kinder des 4. Schuljahres bewusst über die menschenverachtende Zeit des Nationalsozialismus zu informieren. Mit Frau Scherrer-Burkhardt, der überaus engagierten Schulleiterin und ihren KollegInnen gibt es seitdem einen regen Austausch und feste Absicht gemeinsame Projekte durchzuführen. Seit 2008 ist auch die Grundschule Hadamar ständiger Partner der Gedenkstätte. Andere Grundschulen kamen im Lauf der Zeit mit Projekttagen hinzu.
Ein Höhepunkt der bisherigen Arbeit war ein Theaterabend am 9. November 2009. An diesem Abend haben neun Kinder präsentieren können, was sie seit April im Rahmen einer Theater-AG in der Pestalozzischule erarbeitet hatten. Gezeigt wurden Szenen aus dem Kinderbuch von Willi Fährmann: „Der überaus starke Willibald“. Einmal mehr hat sich bewiesen, dass Kinder ab dem vierten Schuljahr sehr wohl in der Lage sind, sich mit dem Thema Nationalsozialismus und der Übertragbarkeit auf heutiges Geschehen, zu beschäftigen. Auch die Theater-AG war nicht nur dadurch an die Gedenkstätte Hadamar angebunden, dass die Organisation, Durchführung, Textbearbeitung und Regie in meinen Händen lag,sondern auch, weil es drei intensive Probenwochenenden in der Gedenkstätte selbst gab. Wie immer bei Projekten mit den Kindern, wurde ihnen der Ort und die Ereignisse, die dem Ort eine solche traurige Berühmtheit erlangen ließen, erarbeitet. Wieder einmal hat sich gezeigt, dass das Prinzip: Kinder leben und lernen in der Gedenkstätte Hadamar, eines ist, das die Möglichkeit eröffnet, Geschichte auch an diesem Ort vorzustellen, ohne dass auch nur ein Kind seelisch überfordert würde.
Die Besonderheit dieses Prinzips ist daran zu sehen, dass es bis heute keine vergleichbaren Angebote für Kinder im Alter von 9 bis 12 Jahren gibt. Angebote nämlich, die nicht nur Freizeitaktivitäten beinhalten, sondern auch Inhaltliches in den Blick nehmen.
Gerade der Einsatz kreativer Zugänge lässt Geschichte lebendig werden und Bezüge zum Hier und Heute herstellen.[3]
Das letzte Theaterprojekt zeigt deutlich, wie wichtig auch die Formen des Arbeitens sind. Theater spielen ist eine methodische Vorgehensweise, die es den Teilnehmenden ermöglicht in besonderer Weise Entwicklungen in ihrer Persönlichkeit zu erfahren, die ihnen sonst unter Umständen verborgen geblieben wären. Wenn es in der politischen Bildung von Kindern wichtig ist, sie zu kritischen und mündigen BürgerInnen zu erziehen, müssen sie erfahren, was es bedeutet selbstbestimmt zu agieren. Sie müssen aber auch erfahren, was es heißt, wenn die Mit- und Selbstbestimmung verboten wird. Nur so können sie es wertschätzen in einer Demokratie zu leben und sich für demokratisches Verhalten ein zu setzen. In politischen Systemen in denen es ein Sozialstaatsgebot gibt, ist das Unrecht, das sich hinter diktatorischen Regimen verbirgt, mit Händen zu greifen. Es muss im Vergleich bewusst gemacht werden.
Natürlich verlassen die Kinder die Gedenkstätte nicht als “neue“ Menschen. Doch leben und lernen in der Gedenkstätte lässt aufhorchen und nachdenklich werden. Nach nun mehr zehn Jahren kann ich sehen, dass die Erfahrungen die die Kinder von damals machten, ein Interesse geweckt hat, das bis heute besteht. Ich behaupte nicht, dass Werteerziehung, Erziehung zu solidarischem Verhalten oder Lernen von Empathie nicht auch mit anderen Themen geleistet werden kann. Doch gerade eine Gedenkstätte, wie die in Hadamar, deren wichtigste Aufgabe die historisch-politische Bildungsarbeit ist, kann und muss auch ein Ort des Lebens und Lernens für Kinder sein dürfen.
Es ist schade, dass die Arbeit mit Kindern in NS - Gedenkstätten noch immer mit so viel Emotionalität, vom Rednerpult aus diskutiert wird, anstatt sich mit teilnehmender Beobachtung auf Lernprozesse einzulassen. Denn die Nachfragen nach Angeboten für junge Kinder in den NS-Gedenkstätten nehmen zu. Wir, die wir an diesen Orten arbeiten, kommen nicht darum herum diese Herausforderung anzunehmen. Uns ihr zu stellen, geben wir uns in Hadamar viel Mühe, denn wir wollen dazu beitragen, selbstbewusste und selbstkritische Kinder zu erziehen.
[1] In der Gedenkstätte Hadamar fanden zwischen 1941 und 1945 ca. 15.000 Menschen im Rahmen des NS-Euthanasie- Programms gewaltsam den Tod. In der Gedenkstätte sind die ehemalige Busgarage, die ehemalige Gaskammer, der Sezierraum mit originalem Seziertisch, der Standort der Krematorien und der Friedhof, auf dem sich Massengräber befinden, erhalten.
[2] Daraus entstand die Publikation: Kinder als Besucherinnen und Besucher der Gedenkstätte Hadamar. Ein Informations- und Materialheft. Historische Schriftenreihe des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen, Kassel 2002
[3] Vgl. dazu: Regine Gabriel: TatOrt Gedenkstätte: Kunstpädagogisches Arbeiten mit Kindern und Erwachsenen in der Euthanasie-Gedenkstätte Hadamar in: Birgit Dorner, Kerstin Engelhardt (Hrsg.): Arbeit an Bildern der Erinnerung. Ästhetische Praxis, außerschulische Jugendbildung und Gedenkstättenpädagogik. Dimensionen Sozialer Arbeit und der Pflege Bd.9, Lucius&Lucius, Stuttgart 2006, S.159 - 169
Dies.: Gestalterisches und theaterpädagogisches Arbeiten in der Gedenkstätte Hadamar in: Standbein/Spielbein, Auf der Suche nach der Zielgruppe – Jugendkulturen und Museum, Museumspädagogik Aktuell, No. 76, Dezember 2006, S. 48 - 52
Regine Gabriel: Pädagogische Mitarbeiterin der Gedenkstätte Hadamar, Studium Germanistik, Politikwissenschaften, Zusatzausbildung als Theaterpädagogin