Beitrags-Autor: Ingolf Seidel Sie müssen angemeldet sein, um das Benutzerprofil zu sehen |
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Bereits Jahre vor der Shoa wurden Ausgrenzung, Diskriminierungen und Antisemitismus prägend für die Gesellschaft des Nationalsozialismus. Diese Anfänge der Verfolgung sind ein wichtiger Ansatzpunkt, um Kindern im Grundschulalter einen Zugang zur NS-Zeit zu ermöglichen. Denn Alltagssituationen der 30er Jahre boten meist Handlungsoptionen: Hinnehmen, Helfen, selbst diskriminieren?
Der Verein Gesicht Zeigen! Für ein weltoffenes Deutschland hat ein neues, zeitgemäßes Ausstellungskonzept für die pädagogische Arbeit zur NS-Vergangenheit entwickelt. Als Modellprojekt untersucht es neue Arten der Verknüpfung von historisch-politischem Lernen mit kulturpädagogischen Ansätzen. Es richtet sich an Kinder und Jugendliche ab ca. 12 Jahren, also auch an Grundschüler der 6. Klassen in Berlin und Brandenburg.
Die völlig neu konzipierte, thematisch vielschichtige Ausstellung behandelt Erfahrungen von Ausgrenzung, Antisemitismus und Diskriminierung – und sie zeigt, was man dagegen tun kann. Dabei verbindet sie neue Zugänge zur NS-Zeit mit dem Nachdenken über unser heutiges Zusammenleben.
Dazu wurde ein Setting konzipiert, das eine Übertragbarkeit von Vergangenem auf die heutige Gesellschaft erzielen möchte. Die Inszenierung der Ausstellung betont Ähnlichkeiten und Nähen zwischen dem Leben von Jugendlichen heute und in der NS-Zeit, um den Blick für das Handeln der Menschen damals zu öffnen. Dadurch werden Besucher stärker involviert, entdecken geschichtliche Episoden als menschen-gemacht und lernen so etwas über ihr eigenes Handeln heute. Zugleich werden auch Unterschiede zwischen unserem heutigen Zusammenleben und den 1930er Jahren deutlich.
Die Ausstellung besteht aus sieben Erfahrungsräumen, die künstlerisch gestaltet sind. Sie inszenieren alltägliche Lebenswelten, die heute genauso wie in der NS-Zeit zur Alltagswelt von Jugendlichen gehören. Sie sind Grundschülern bestens vertraut und bieten damit einen leichten Zugang zu den tiefer liegenden Themen der Ausstellung. Die Rauminszenierungen spiegeln das Zuhause, die eigene Musik, den Sport, das Einkaufen, das Draußen sein und anderes mehr.
Die Räume sind überwiegend gegenwärtig inszeniert und einfach erkennbar: Echte Turnbänke machen beispielsweise die Turnhalle mit Händen greifbar. Auf den zweiten Blick ist aber auch die Geschichte deutlich zu sehen. Die unterschiedlichen Motive der Räume verbinden alltägliche, heutige Lebenswelten mit biografischen Episoden aus Geschichte und Gegenwart.
Sie schildern Erfahrungen von Diskriminierung und Zugehörigkeit, von Ausgrenzung und Antisemitismus, von Selbstbehauptung und Unterstützung. Die Ausstellung erzählt vom Schwimmen und vom Nicht-Schwimmen-Dürfen, vom Swing und musikalischer Subkultur, vom Passfälschen und Flugblattdrucken – und dem, was das alles für die einzelnen Menschen bedeutet, wie sie beteiligt sind, fühlen und handeln. So führt die Ausstellung von einer leicht zugänglichen Oberfläche zu wichtigen Fragen des Lebens heute und damals.
Jeder Erfahrungsraum enthält Sets von Erzählungen, Geschichten und Situationen – in kurzen Hörstationen und Kurzfilmen, in Bildern und Fotografien aus verschiedenen Zeiten, mit Kurzgeschichten und Zitaten, in Computer- und Rauminstallationen, groß und klein, laut und leise, mit den verschiedensten Exponaten und Requisiten.
Sie alle laden Kinder und Jugendliche ein, die Assoziations- und Erfahrungsräume zu erkunden: Was war damals, was ist heute? Was hat mein Leben heute mit dieser Geschichte zu tun? Und was bedeuten für uns heute Zusammenhalt und Respekt?
Die Ausstellung stellt dar, wie Kinder und Jugendliche in der NS-Zeit lebten, welche Erfahrungen sie selbst gemacht haben. In einem Kurzfilm berichtet beispielsweise die gebürtige Berlinerin Marion House von ihren Erlebnissen ab 1933. Von einem Tag auf den anderen wurde sie von ihrer besten Freundin gemieden. Marion war Jüdin, die andere nicht. Um einer Konfrontation aus dem Weg zu gehen, legte Marion ihrer Freundin darum heimlich das Poesiealbum vor deren Tür. Sie war verwirrt und traurig. Marion war elf Jahre alt, sie erinnert sich gut daran, dass sie als Kind die Ausgrenzung und Ignoranz der Anderen nicht verstand.
Diese Begebenheit hat Regisseur Robert Thalheim mit Marion House und Berliner Kindern für die Ausstellung in ungewöhnlicher dokumentarisch inszeniert. Anhand solcher Erinnerungsmomente lernen junge Besucherinnen und Besucher, sich in Situationen hineinzuversetzen, diese zu ergründen und Handlungsoptionen abzuleiten.
Gesicht Zeigen! bietet Projekttage fürSchulklassen und Jugendgruppen an, in denen Fragestellungen der historisch-politischen Bildung und des Menschenrechtslernens mit vielfältigen kulturpädagogischen Methoden verbunden werden. Ausstellung und Programm richten sich an Kinder und Jugendliche verschiedener Altersgruppen und Bildungshintergründe und werden von einem Team aus Pädagoginnen und Pädagogen unterschiedlicher Fachrichtungen und kultureller Hintergründe durchgeführt.
Die Projekttage verbinden empathische Zugänge zu menschlichen Erfahrungen in Geschichte und Gegenwart mit kreativen und auch spielerischen Lernformen ebenso wie mit wichtigen kognitiven Elementen. Die Erfahrungsräume zum Sport und zum Draußen sein ermöglichen viel Bewegung, im Musik-Raum können die Kinder und Jugendlichen selbst Musik vorstellen, die ihnen wichtig ist, sie können selbst kurze Comics entwerfen, und vieles andere mehr.
So schafft 7 x jung - Dein Trainingsplatz für Zusammenhalt und Respekt eine persönliche (Lern-) Atmosphäre, die von Gruppe zu Gruppe unterschiedliche Formen annimmt. Das Modellprojekt wächst mit seinen Erfahrungen, ist offen für neue Ideen und Anfragen.
Am 1. März 2010 startet die Pilotphase der Ausstellung. Von März bis Mai ist die Ausstellung 7 x jung zunächst ausschließlich für Klassenbesuche und Jugendgruppen zugänglich. Anmeldungen und Vorgespräche sind jederzeit möglich.
Weitere Informationen und in Kürze auch hier
Das Projekt wird vom Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Bundesprogramms „VIELFALT TUT GUT. Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie” und von der Stiftung Deutsche Klassenlotterie sowie vom Beauftragten des Berliner Senats für Integration und Migration gefördert und von der Arcandor AG und der Commerzbank AG unterstützt.