Ort/Bundesland: Baden-Württemberg |
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Sabine Grimberg Stadtjugendring Mannheim e.V. Neckarpromenade 46 D-68167 Mannheim Mail: sjr-mannheim [at] t-online [dot] de |
Im März 2005 begann die Vorbereitung auf unsere Studienfahrt nach Gurs in Südfrankreich. Wir wussten alle relativ wenig über das Thema, hatten aber alle Interesse daran, uns mit der Deportation der badischen und pfälzischen Juden nach Gurs auseinanderzusetzen. So wurden auf dem ersten Vorbereitungstreffen 7 Arbeitsgruppen gebildet, die zu verschiedenen Themen recherchieren sollten: Jüdisches Leben in Mannheim, Deportation, Leben im Lager Gurs, Flucht, Überlebensstrategien im Lager, Der Weg in die Vernichtung - Drancy Auschwitz, Deutsche und Franzosen. Um Hintergrundinformationen zu bekommen, suchten wir im Stadtarchiv nach historischen Dokumenten und Bildern.
Im Mai machten wir uns auf den Weg nach Frankreich. Dort besuchten wir den jüdischen Friedhof und das ehemalige Lagergelände. Doch was wir hier vorfanden war kein Lager, sondern ein dicht gewachsener Wald. Es war nicht viel zu sehen, was an die damaligen Geschehnisse erinnert, lediglich einige Gedenksteine.
14.5.05: „Nach dem Frühstück sind wir nach Gurs gefahren und haben uns das ehemalige Lagergelände und den jüdischen Friedhof angeschaut. Es war sehr beklemmend die ganzen Namen zu lesen, die aus so vielen Orten kamen. Zum einen verärgerte uns das sehr, dass es nach so langer Zeit noch immer keine Gedenkstätte oder etwas ähnliches gibt. Aber zum anderen sollten wir es als Chance nutzen, daran etwas zu ändern.“ (Steffi)
An den folgenden Tagen wurden wir von Paul Niedermann begleitet. Er wurde selbst als Kind aus Karlsruhe nach Gurs deportiert. Durch seine Erzählungen entstand für uns ein Bild davon, wie das Lager damals aussah und unter welch miserablen Bedingungen die Menschen hier leben mussten. Die Begegnung mit Paul war für uns eine Erfahrung von unschätzbarem Wert.
15.5.05: „Heute war es für mich ein besonderes Erlebnis mit Paul durch das ehemalige Lager zu laufen und seinen Erzählungen zu folgen. Langsam entsteht vor meinen Augen ein Bild dieses Lagers.“ (Benedikt)
16.5.05: „Mittlerweile kann ich mir das Lager Gurs besser vorstellen, dank Paul, der uns mit viel Liebe und Freude alles erzählt hat.“ (Martina)
Ergänzt wurden die Berichte von Paul durch die Ergebnisse der Arbeitsgruppen, die sich im Vorfeld mit verschiedenen Themen befasst hatten.
Schon während der Fahrt zeigte sich, dass wir in irgendeiner Form das Projekt weiterführen wollten. Gerade weil wir gemerkt hatten, wie wenig wir selbst über dieses Thema wissen, war es für uns wichtig, unsere Erlebnisse weiterzugeben. Wir denken, dass ein Bewusstsein für die Zeit des Nationalsozialismus und seine Ursachen und damit auch für die Verantwortung, so etwas nie wieder geschehen zu lassen auf einer aktiven Erinnerung aufbaut.
19.5.05: „Uns war eigentlich allen klar, dass wir dieses Projekt nach der Reise nicht einfach fallen lassen wollen. Es wurde ganz klar, dass unsere Arbeit in Mannheim weitergehen würde.“ (Urs)
Im Juni fanden erste Nachtreffen statt, bei denen weitere Aktivitäten geplant wurden. Wir entschieden uns dazu, eine Ausstellung zu konzipieren, die zum 65. Jahrestag der Deportation gezeigt werden sollte. Nach vielen arbeitsreichen Treffen wurde sie am 26. Oktober 2005 eröffnet.
„Es war uns wichtig, dass mehr Menschen etwas über die Geschichte der badischen und pfälzischen Juden erfahren. Ganz besonders wichtig war es uns, dass viele Schülerinnen und Schüler diese Ausstellung sehen. Wir haben deshalb beschlossen, dass wir keine Ausstellung machen wollen, die nur auf Zahlen und Fakten basiert, wir wollten die Geschichte von Menschen erzählen. Es ist schwer sich vorzustellen, wie viel 6.000.000 Menschen wirklich sind – aber jeder Mensch wird nachvollziehen können, wie schlimm es ist, als Kind die eigenen Eltern zu verlieren. Den Hauptteil der Ausstellung bilden deshalb Zitate von Paul Niedermann und Amira Gezow.“
Die Ausstellung wandert seitdem erfolgreich von Schule zu Schule in der Mannheimer Umgebung, aber auch in weiter entfernte Städte.
Danach entstand in weiteren Treffen eine Broschüre, die die Ausstellung und das Projekt dokumentiert.
Die Aufstellung eines Straßenschilds mit der Aufschrift „Gurs 1170km“ vor dem Mannheimer Hauptbahnhof forderten wir anlässlich einer Kundgebung zum Gedenken an den Novemberpogrom von 1939. Diese Initiative brachten wir in den Mannheimer Stadtrat ein.
Aus dem Redebeitrag von Benjamin Huhn anlässlich der Kundgebung zum 9. November 2005 in Mannheim:
„Als Zeichen der Anerkennung und der Mahnung vor dem deutschen Antisemitismus fordern wir, an einem im Licht der Öffentlichkeit stehenden Platz das Schild „Gurs 1170km“ aufzustellen, welches den Weg vieler Mannheimer Mitmenschen nachzeichnet: den Weg in das Internierungslager Gurs, den Auftakt zur Vernichtung.“
(s. Liste)
Das Schild wurde im November 2006 auf dem Vorplatz des Mannheimer Hauptbahnhofs enthüllt.