Ort/Bundesland: Berlin |
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Franziska Mandel Kreisau-Initiative Berlin e.V., c/o Allianz An den Treptowers 3 D-12325 Berlin Tel.: +49 (0) 30 5383 63 62 Fax: +49 (0) 30 5302 79 23 Mail: mandel [at] kreisau [dot] de http://www.kreisau.de |
Ziel des Projekts ist es, für den Schutz und die Unveräußerlichkeit der Menschenrechte zu sensibilisieren und Schülerinnen das Mittel des internationalen Strafrechts und seiner Institutionen als Instrument des Menschenrechtsschutzes bzw. der Sanktionierung von Verletzungen der Menschenrechte Kriegssituationen nahe zu bringen. Dabei sollen Grundkenntnisse des Ablaufs rechtsstaatlicher Verfahren vermittelt sowie Feinheiten und Schwierigkeiten juristischer Beweisführung und Urteilsfindung deutlich gemacht werden. Einerseits entwickeln die Teilnehmer entsprechend ihrer Rolle und den Umständen des Falls eine eigene Position bzw. ein Urteil, und entwickeln so ihre Fähigkeiten, ihre Meinung öffentlich und effektiv zu vertreten. Andererseits müssen sie sich mit Gegenpositionen auseinander setzen, in der Rolle als Richter die Beweise gegeneinander abwägen sowie die Urteile entsprechend des rechtlich vorgegebenen Rahmens formulieren. Somit bedeutet die Teilnahme an der Simulation auch immer eine Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen Gerechtigkeitsempfinden und Rechtssprechung.
Darüber hinaus ist es ein Anliegen des Projektes, die Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus in einem für die Schüler ungewohnten Rahmen anzuregen, der es zulässt, sich insbesondere mit den Handlungsmotivationen und –Legitimationen der Täter auseinander zu setzen. So entstammt in jeder Simulation mindestens ein Fall den Gerichtsprotokollen der Nürnberger Prozesse oder deren Nachfolgeprozesse.
Als geeignete Methode der außerschulischen politischen Bildung wurde für das Projekt die der Simulation gewählt: Jugendliche verstehen es als Herausforderung, sich in reale Situationen und Rollen hineinzuversetzen. Sie lernen dabei freiwillig und mit hoher Ausdauer kognitive und prozedurale Kompetenzen, die ihnen sonst auf Grund ihrer Abstraktheit und des fehlenden Bezugs zum Alltag im „normalen“ Unterricht verschlossen bleiben. Die Simulation verbindet kognitives Lernen über den (rechtlichen) Handlungsrahmen, die inhaltlichen Fragestellungen (die Verbrechen in ihrem spezifischen historischen Kontext und ihre juristische Ahndung) und den Entscheidungsprozess (innerhalb des simulierten Verfahrens) mit Selbsterfahrung durch eigenes Handeln und ermöglicht als gruppenzentriertes Verfahren alle lernfördernden Effekte, die durch ein soziales Miteinander im Vergleich zum Einzellernen erzielt werden können.
Das Pilotprojekt des Model International Criminal Court fand erstmals vom 7.-11. Dezember 2005 in Krzyzowa/ Kreisau (Polen) statt. Im Juli desselben Jahres kam es zu einem ersten Vorbereitungstreffen mit einigen Schülerinnen und Lehrerinnen aus den teilnehmenden Ländern, Organisatoren und pädagogischen sowie juristischen Beratern, auf dem die Struktur und das Programm der Simulation partnerschaftlich festgelegt wurden. Dabei einigte man sich auf die zu simulierenden Rollen als Ankläger, Verteidiger und Richter und gegen die Rollen von Zeugen oder Angeklagten im Prozess, den Ablauf der Veranstaltung und die zu verhandelnden Fälle. Letztere stammten vom Nürnberger Tribunal und dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien. Dabei wurde darauf geachtet Fälle zu wählen, die aus Sicht eines internationalen Strafgerichtshofes hinsichtlich der Verantwortlichkeiten der Angeklagten schwer zu entscheiden sind.
Den Lehrern oblag in der folgenden Zeit sowohl die Auswahl als auch die pädagogische Betreuung der Teilnehmer in den Teilnahmeländern vor Beginn der eigentlichen Simulation in Kreisau. In den Folgemonaten wurden die Prozessunterlagen (Zeugenaussagen, Beweisstücke) zusammengestellt und den Voraussetzungen der Schüler entsprechend bearbeitet. Zudem wurde ein offizielles Handbuch mit Ablauf, Regeln und Anleitungen für die Ausarbeitung der Plädoyers mit Hilfe von juristischen Beratern erstellt.
Den Rahmen „borgte“ man sich hierfür vom existierenden Internationalen Strafgerichtshof, reduzierte aber die Komplexität auf ein auch für Schülerinnen leicht zu verstehendes Grundregelwerk. Dazu gehörte es, den eigentlichen Prozess auf die Grundelemente Anklage, Verteidigung, Befragung beider Parteien durch das Gericht, Urteilsverkündung und -begründung zu konzentrieren und die zulässigen Unterlagen und Beweise streng zu begrenzen. Zugleich wurde ein Presseteam organisiert, das während des Projekts eine Zeitung in zwei Ausgaben erstellen und einen Film sowie eine Presskonferenz produzieren sollte.
In ihren Rollen als Ankläger oder Verteidiger der jeweiligen Fälle arbeiteten die Schüler „position papers“ aus, in der sie ihre Argumentation darlegten. Auf dieser Basis erarbeiten die Richter vorläufige Urteile. Die Lehrerinnen übernahmen keine inhaltliche Unterstützung der Schülerinnen sondern halfen bei der Organisation der Reise.
Vom 13. bis 18. April 2007 fand bereits das dritte MICC School Seminar statt, dessen Arbeitsergebnisse hier exemplarisch ebenfalls dokumentiert werden. Aufgrund der Erfahrungen der vorangegangenen Veranstaltungen konnten 2007 Änderungen umgesetzt werden. Dazu gehörte ein zusätzlicher Vorbereitungstag über die Thematik der Menschenrechte und des humanitären Völkerstrafrechts vor Ort in Kreisau/Krzyzowa mit interaktiven Übungen zum Kennenlernen und der Optimierung der Zusammenarbeit der Jugendlichen in den gemischtnationalen Gruppen.
Während der Durchführung der Simulation wurde den Lehrern keine offizielle Funktion eingeräumt. Sie wirkten aber bei pädagogischen Zwischenauswertungen und kurzfristigen Entscheidungsfindung sowie in Einzelgesprächen mit ihren Schülern mit. In Seminar MICC 2007 wurde den Lehrern ein eigener, eineinhalbtägiger Workshop zu Menschenrechtsbildung mit verschiedenen praktischen Übungen angeboten. Basis für diesen Workshop ist der „Kompass“, eine Handreichung des Europarates.
Vor Eintritt in die Prozesssimulationen fanden einen Tag lang rhetorische und juristische Trainingsrunden jeweils mit den Gruppen Ankläger, Verteidiger und Richter statt, wobei jeweils ein juristischer und ein rhetorischer Berater mit den Gruppen arbeitete. Die Zeit wurde von einigen Gruppen bis in die Nacht hinein intensiv genutzt, um wie im Seminar 2005 zum Teil mit Videoauswertung die einzelnen juristischen Strategien und das Auftreten zu optimieren. Es entwickelte sich ein regelrechter Konkurrenzkampf zwischen Anklägern und Verteidigern. Besonders auffallend war es, wie viel und wie schnell die einzelnen Teams von den angebotenen Hilfestellungen der Trainer direkt umsetzten.
Um den formalen Charakter der Prozesse zu betonen und eine Realitätsnähe zum simulierten Rahmen „Gerichtshof“ herzustellen, wurde um formale Kleidung gebeten, die Richter trugen Talare. Es gab förmliche Gerichtsdiener und feste Regeln der Abfolge: Plädoyer der Anklage, Plädoyer der Verteidigung, Befragung durch die Richter, Schlussplädoyers beider Parteien, Urteilssprechung. Die Teams waren jeweils tri-national, d.h. ein Anklageteam bestand z.B. aus einem polnischen, deutschen und bulgarischen bzw. tschechischen Schüler.
In den Verfahren selbst war eine unglaubliche Leistungssteigerung durch die Trainings zu beobachten. Eine weitere Leistungssteigerung wurde dadurch bewirkt, dass unmittelbar anschliessend an jeden Prozess eine detaillierte Auswertung stattfand, deren „Lehren“ von den Folgeteams ebenfalls sofort umgesetzt wurden. Teilnehmer, die nach dem Urteil ihrer Lehrerinnen als bisher eher distanziert galten, wuchsen über sich selbst hinaus. Die Plädoyers waren sowohl durch rhetorische und juristische Finessen, als auch politische und historische Bewertungen gekennzeichnet. Die Richter erfüllten als genau Nachfragende ihre Pflicht, durch eine möglichst umfassende Sicht des Falls zu einem gerechten Urteil zu kommen.
Allen Beteiligten wurde, nicht zuletzt durch die begleitende Berichterstattung des Presseteams durch die Simulation und deren Auswertung der Unterschied zwischen einer moralischen Verurteilung eines Verbrechens einerseits und seiner schwierigen und komplexen juristischen Verfolgung bzw. Ahndung andererseits deutlich. Auch die Ambivalenz einer Verurteilung entsprechend der individuellen Schuldfähigkeit kam zur Sprache.
Selbst für die erfahrenen Trainer war es sehr bemerkenswert, wie mit so viel Spannung Erkenntnisse über die einzelnen Fälle und ihren historischen Rahmen, aber auch in Grundprinzipien eines rechtstaatlichen Verfahrens vermittelt werden konnten. Am Ende der Veranstaltung wurden Preise vergeben für den jeweils besten Verteidiger, Ankläger und Richter sowie für das beste Team.
Das abwechslungsreiche Rahmenprogramm bestand im Seminar MICC School 2005 zum einen aus einem Bericht des Konfliktforschers Prof. Anastase Shyaka von der Staatsuniversität Ruanda über die Entwicklung des dortigen Konfliktes und die Arbeit des „International Criminal Tribunal for Rwanda“ (ICTR). Zum zweiten wurde eine Führung durch die Gedenkstätte Kreisau angeboten und ein längeres Interview mit einem ehemaligen jüdisch-polnischen Zwangsarbeiter als Zeitzeugen durchgeführt. Es verband sich inhaltlich gut mit einem der simulierten Fälle, indem auch über die Frage von Zwangsarbeit verhandelt wurde. Mit dem Film „No Man’s Land“ wurde schließlich insbesondere die Rolle der internationalen Gemeinschaft in Konfliktsituationen thematisiert.
Im Seminar MICC School 2007 erwies sich der zusätzliche Einführungstag, vor allem jedoch die interaktiven Übungen zur Menschenrechtsthematik zum besseren Kennenlernen und miteinander Arbeiten der Gruppen als überaus positiv und für den Lernerfolg insgesamt unbedingt notwendig. Insbesondere der Einführungsvortrag über die historische Entwicklung der Menschenrechte und humanitäres Recht durch die Projektleiterin, Andreea Pavel, statt durch einen von außen kommenden, akademischen Experten entsprach inhaltlich und in der Vortragsform den pädagogischen Intentionen des Projekts, vor allem aber den Erwartungen der Schüler. Über die Frage, wie man sich Alltag im Krieg vorstellen muss, sprach 2007 ein Zeitzeuge des Krieges in Bosnien und der Belagerung Sarajevos. Die Rolle der internatinalen Staatengemeinschaft in Konfliktsituationen wurde mit dem Dokumentarfilm „Shake hands with the devil“ thematisiert, in dem der ehem. Kommandeur der UN-Truppen in Ruanda, Romeo A. Dallaire, über den Genozid von 1994 spricht.
Die Simulation wird mit einem Fragebogen ausgewertet, welcher nach der Veranstaltung per E-Mail verschickt wird. Die Rückmeldungen sind positiv bis euphorisch, wobei sich die Schülerinnen 2005 noch insbesondere auf den Erwerb rhetorischer Fähigkeiten bezogen. Dieses Feedback führte zu Veränderungen des Ablaufs der folgenden Simulation.
Nach dem ersten Seminar wurde einer inhaltlichen Auswertung mehr Raum gegeben. So müssen die schlimmsten Verbrechen gegen die Menschenrechte stärker mit den Verletzungen der Menschenrechte im Alltag der Schüler ins Verhältnis gesetzt werden, ohne sie auf „platte Art“ gleichzusetzen. Auch gilt es stärker die spezifischen historischen Gegebenheiten in den Blick zu nehmen, unter denen die Verbrechen stattfanden, deren juristische Verfolgung beim MICC simuliert wird.
Die dritte Durchführung des Seminars lässt eine positive Antwort auf die anfangs offene Frage zu: die auf hohe Teilnehmeraktivität setzende Methode der Simulation ist dazu geeignet, eine Sensibilisierung und wirkliche inhaltliche Auseinandersetzung mit den Verbrechen gegen die Menschlichkeit und deren juristische Verfolgung zu bieten. Auch der hohe Aktivitätsgrad der Schüler steht einer intensiven Auseinandersetzung mit der Menschenrechtsthematik nicht entgegen. Das Projekt kann für sich in Anspruch nehmen, einen nachhaltigen Anstoß für die inhaltliche Auseinandersetzung mit diesen Fragen zu geben und darüber hinaus zu einem für Schülerinnen sehr weitgehenden Verständnis prozeduraler Strukturen der internationalen Rechtssprechung zu verhelfen.
Es werden zweimal jährlich deutsche Schulen für den Model International Criminal Court gesucht. Details zur Anmeldung sind auf der Homepage zu finden: http://www.model-icc.org