Wie sehen Juden die Deutschen und wie sehen Deutsche die Juden nach dem Holocaust? Können sie irgendetwas von ihrer Beziehung vor 1933 retten?
Deutsche, zumal deutsche Historiker, versuchen neuerdings das düstere Bild zu weiten und mit dem Hinweis auf historische Zeiten des positiven Zusammenlebens zu erhellen, was für viele Juden schwer möglich ist. Sie und ihre Nachkommen leiden noch zu sehr an der schrecklichsten Zeit dieser gemeinsamen Familiengeschichte. Diese Zeit bleibt die große Mauer, vor der die einen, die Deutschen, mit Schweigen oder zaghaften Versuchen des Dialoges stehen - des Dialoges mit Menschen, für die die gemeinsame Geschichte nur eines bedeutet: die Geschichte vernichteter, abgestorbener Familienzweige.
Um den Beginn eines wirklichen Dialogs zwischen Deutschen und Juden und vielleicht sogar eine Art Heilung zu erreichen, müssen die, die nach 1945 geboren wurden, eine persönliche Verbindung zu dieser Geschichte finden. Sie müssen wissen, was mit ihren Eltern und in ihren Familien passierte. Die Erlebnisgeneration selbst - ob Deutsche oder Juden - war dazu nicht in der Lage! Beide verdrängten: die einen, weil sie ihr Wissen fürchteten und in vielen Fällen um ihre Schuld wussten, die anderen, weil ihr schreckliches Erleben sie am Leben hinderte.Das Ergebnis war Sprachlosigkeit. In deutschen und jüdischen Familien und mehr noch zwischen Deutschen und Juden.
Gottfried Wagner und Abraham Peck wollten diese Mauer der Sprachlosigkeit durchbrechen. Ihr Versuch, ins Gespräch zu kommen, war alles andere als einfach. Unterschiedlicher nach Herkunft und lebensgeschichtlicher Prägung könnten die beiden Autoren kaum sein. Beiden war zudem bewusst, dass der Dialog nicht ohne emotionale Folgen bleiben würde, zumal die Familienkonstellation der Autoren einzigartig ist: Da ist der Sohn eines Vaters und einer Mutter, die als einzige Mitglieder zweier großer Familien den NS-Völkermord an den Juden überlebt hatten. Und da ist der Urenkel Richard Wagners, Sohn einer der berühmtesten und politischsten Familien Deutschlands, die tief verstrickt war in Hitlers Ideologie und Verbrechen.
Abraham Peck und Gottfried Wagner wagten den steinigen Weg des offenen Gespräches, um zu verstehen, wie sie das Erbe ihrer jeweiligen Familiengeschichten geprägt hat und wie sie mit dieser Prägung leben. Über das Persönliche hinaus geht es den Autoren um die Überwindung von Angst, Misstrauen, Hass und Schuldzuweisungen, die jede Form eines wirklichen Dialogs zwischen Deutschen und Juden der zweiten und dritten Generation nach 1945 unmöglich machen. Mit ihrem Dialog wollen Wagner und Peck ihre Familiengeschichten als Teil einer historischen Erkenntnis begreifbar machen.
Statt Schönrederei fordern sie die Bereitschaft, aus den Erfahrungen der Vergangenheit für die Gegenwart zu lernen und zu handeln. Beide Herausgeber und Autoren begründeten 1992 eine Post-Holocaust-Dialog-Gruppe. Ihre Dialogarbeit ist besonders den Post-Holocaust Generationen gewidmet. Beide verbindet das Engagement für Menschenrechte und zwischenreligiöse Dialoge als Reaktion auf ihre Lebensgeschichten, die für Abraham Peck 1946 in Landsberg und Gottfried Wagner 1947 in Bayreuth als Geburtsstädte und einstige Hitler-Hochburgen begannen.
Sie haben sich als Thema ihre jeweilige Familiengeschichte gewählt und sich gemeinsam auf eine Reise durch Zeit und Trauma begeben zu den Orten der Erinnerung an familiäre und deutsche Vergangenheit - Landsberg, Bayreuth, Lodz, Auschwitz und all die anderen Orte. Sie haben in diesen Dialog auch ihre Kinder und nächsten Verwandten einbezogen, eine Familiengeschichte, die keine Verdrängung und Leugnung gestattet, getrieben von der Suche nach Wahrhaftigkeit.
An den Familiengeschichten beider Autoren zeigt sich symbolisch die Ambivalenz des Verhältnisses von Deutschen und Juden zu ihrer Geschichte. Für die Deutschen steht in Sichtweite von Weimar und seiner Tradition der Klassik Schillers und Goethes auch der Ettersberg mit dem KZ Buchenwald. Bei Wagner und Bayreuth mit dem Festspielhaus auf dem Grünen Hügel, der Villa Wahnfried, muss auch das KZ-Außenlager dieser Stadt, Flossenbürg, mitgedacht werden. Insbesondere diejenigen Kulturbeflissenen, die alljährlich auf den Festspielhügel pilgern, sollten sich dessen bewusst sein und, dass Wagners Musik nicht von der antisemitischen Weltanschauung des Komponisten und den Folgen zu trennen ist.
"Gottfried Wagner und Abraham Peck haben sich an ein epochales Thema gewagt - an den Dialog zwischen den Post-Holocaust Generationen ... eines der sensibelsten Themen unserer Gegenwart .... Kompetentere Botschafter ... kann man sich dabei nicht vorstellen.“ schreibt Ralph Giordano, Publizist, und selbst Überlebender der nationalsozialistischen Judenverfolgung im Vorwort. Mit diesem Buch wird den Nachgeborenen von Tätern und Opfern ein Beispiel gegeben: Geht aufeinander zu - redet miteinander! Es kann nicht nachdrücklich genug zur Lektüre empfohlen werden.
Hervorzuheben sind nicht zuletzt auch die Sponsoren, die dieses bemerkenswerte Buch erst möglich machten: Harry Gutermann, der das Ghettos Lodz, Auschwitz und Dachau überlebte, aber auch die Firma Degussa, (einst Lieferant des Zyklon B ), deren heutige Direktoren sich den Verbrechen der Firma in der NS-Zeit durchaus stellen (auch wenn dies im Fall des Holocaust-Mahnmals bezweifelt wurde), ebenso wie die Firmen Siemens und die Steegmann-Foundation in Liechtenstein.
Gottfried Wager ist durch seine Aufdeckung der Lebenslügen des Bayreuther Wagner Clans von diesem nicht nur verstoßen worden. Die beleidigte Kulturfima Wagner tat seit seiner Autobiographie "Wer nicht mit dem Wolf heult" ( (1997) und tut skrupellos weiterhin alles, um ihn, den "Unbotmäßigen", der sich nicht aus Karrieregründen anpasste, persönlich zu diffamieren und beruflich total zu boykottieren.
Gottfried Wagner, Regisseur und freiberuflicher Musikhistoriker mit Schwerpunkt deutsch-jüdische Geschichte des 19.und 20. Jahrhunderts, u.a. Antisemitismus und Musik, Kurt Weill, "Entartete Musik", Kultur in Theresienstadt, setzte sich mit der Geschichte des Nationalsozialismus und dessen Folgen bis heute in Verbindung mit dem Antisemitismus von Richard Wagner, seinem Urgroßvater, und den engen Kontakten der Familie Wagner zu Hitler auseinander. Er promovierte mit einer Arbeit über Kurt Weill und Bertold Brecht. Besonders ist er nach der Katastrophe des NS-Massen und Völkermords an ethischen Fragen interessiert. Für seine humanitären, musikwissenschaftlichen und musiktheatralischen Arbeiten erhielt er zahlreiche Auszeichnungen. Seit 1983 lebt Gottfried Wagner in Italien.
Abraham J. Peck, leistete Pionierarbeit als Historiker im Bereich der Geschichte von Holocaust-Überlebenden und der jüdischen Internierungslager (Jewish DP-Camps) nach 1945. Der aus dem Schtetl Linshits in der Nähe von Lodz gebürtige Vater Abraham Pecks wurde nach einem Leidensweg durch zahlreiche NS-Lager bis auf das Skelett abgemagert von sowjetischen Soldaten in Theresienstadt befreit. Die Mutter Anna hatte Auschwitz, anschließend das KZ Flossenbürg überlebt und wurde von amerikanischen Truppen in Böhmen befreit.
Peck war Direktor der wissenschaftlichen Forschung der American Jewish Historical Society in New York City, Direktor des Holocaust Museums Houston und Verwaltungsdirektor des American Jewish Archives in Cincinnati/Ohio.Er ist derzeit Direktor des akademischen Beirates für Christlich-Jüdisch-Islamische Post-Holocaust-Studien an der Universität von Southern Maine in Portland/USA, lehrt dort im Fachbereich Geschichte und ist als amtierender Wissenschaftler für Judaistik am Sampson Center für Diversity mit Schwerpunkt Überwindung von religiösen Konflikten tätig.