Nach den europäischen Juden waren die sowjetischen Kriegsgefangenen im Zweiten Weltkrieg die zweitgrößte Gruppe von Opfern des Nationalsozialismus. Fast sechs Millionen sowjetische Militärangehörige wurden gefangen genommen, die Mehrheit von ihnen schon in den ersten Monaten nach dem Überfall auf die Sowjetunion. Weniger als die Hälfte überlebte. Unzählige wurden am Straßenrand erschossen, verhungerten, erfroren oder starben an Seuchen, den Bedingungen von Zwangsarbeit und Misshandlungen in den Konzentrationslagern. Sie wurden in Massengräbern verscharrt oder verschwanden spurlos. Die genaue Zahl der Opfer lässt sich nicht mehr feststellen.
In der deutschen Erinnerungskultur zählen sie zu den vergessenen Opfern. In den Reden zum 27. Januar, dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus werden sie ebenso wenig erwähnt wie die anderen Millionen osteuropäischen Zivilisten, die als „slawische Untermenschen“ Opfer deutscher Angriffs- und Besatzungspolitik wurden. Die Klagen überlebender Kriegsgefangener auf Gleichbehandlung mit zivilen NS-Zwangsarbeitern wurden mit formaljuristischen Argumenten abgewiesen. Nur etwa 20.000 Anträge wurden überhaupt gestellt. Auch von dem Fonds "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" zur Entschädigung der Zwangsarbeiter blieben sie als "nicht Leistungsberechtigte" ausgeschlossen.
Nicht nur die rechtliche Diskriminierung in Deutschland, auch lückenhafte gesetzliche Regelungen im eigenen Land, Vorurteile in der Gesellschaft und wenig Akzeptanz im Alltag, Armut und Elend kennzeichnet ihre Lage. Besonders dramatisch ist die Notlage der ehemaligen Kriegsgefangenen in Armenien. Der Verein »KONTAKTE-KOHTAKTbI« e.V. rief deswegen zum Bürgerengagement für diese vergessenen NS-Opfer auf, damit Betroffene durch private Spenden finanziell unterstützt werden können. Die bescheidene Unterstützung der Opfer durch den Verein Kontakte ist keinen universelle Lösung der Probleme, kann aber den Lebensabend der Betroffenen ein wenig erleichtern. Spenden für die Betroffenen sind weiterhin dringend nötig und hoch willkommen.
Die ermittelten Empfänger der symbolischen Unterstützung wurden um Aufzeichnungen ihrer Erinnerungen an die Zeit des Krieges, ihrer Gefangenschaft und der Nachkriegszeit gebeten. Diese Berichte werden von Verein gesammelt und archiviert. Aus den in den Jahren 2004 - 2006 beim Verein Kontakte eingegangenen mehr als 1000 Briefen aus Belarus, Russland und der Ukraine wurden 60 für diesen Band »Ich werde es nie vergessen« ausgewählt, übersetzt und durch eine einführende historische Darstellung von Christian Streit ergänzt, der 1978 mit seiner Untersuchung „Keine Kameraden“ erstmals auf das Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen aufmerksam machte.
Die Schreiber dieser beeindruckenden und erschütternden Schilderungen sind über 80 und bis 90 Jahre alt, und jedes Jahr sterben viele von ihnen. In fast allen Briefen wiederholt sich eine These: Frieden und Versöhnung sind ohne Erinnerung nicht vorstellbar. Das Buch ist weiterhin beim Verein oder über den Buchhandel erhältlich und für Bildungsarbeit nachdrücklich zu empfehlen.
Zum 60. Jahrestag der Befreiung im Mai 2005 lud der Verein "KONTAKTE-KOHTAKTbI" zwölf ehemalige sowjetische Kriegsgefangene aus Armenien, Belarus, Russland und aus der Ukraine nach Berlin ein. Aus den Gesprächen mit ihnen während ihres Berlinbesuchs haben der Regisseur Zoran Solomun und sein Kameramann Dusan Solomun einen 45-minütigen eindrucksvollen Dokumentarfilm mit dem Titel "Wie schwer sich daran zu erinnern" hergestellt.
Die Aufzeichnung der Interviews war für die betagten Zeitzeigen erneut ein schmerzvoller Prozess. Kraft gab ihnen dazu ihr Vermächtnis an die heutige Generation, dass sich nie wiederholen soll, was ihnen in ihrer Jugend angetan wurde. Solange die Sicht auf diese Millionen vergessenen Opfer in Osteuropa nicht revidiert wird und sie in die Erinnerung an den Nationalsozialismus eingeschlossen werden, bleibt der Blick auf die nationalsozialistischen Verbrechen beschränkt.
Der Film kann als DVD für die Bildungsarbeit für 10 Euro vom Verein Kontakte angefordert werden.
Auf der Homepage des Vereins werden in der Spalte „Freitagsbriefe“ (unter Aktuelles) fortlaufend weitere Briefe veröffentlicht, deren regelmäßige Zusendung man per E-mail auch abonnieren kann.