Ein "Pathos der Nüchternheit" konstatiert der Hamburger Politikwissenschaftler Peter Reichel der Bundesrepublik in seinem Vorwort. Als demokratischer Verfassungsstaat, getragen vor allem durch Verfassungspatriotismus seiner Bürger müsse die Republik überzeugen, nicht überreden wollen, sich den Beschwerlichkeiten pluralistischer Willensbildung aussetzen anstatt nationale Einheitlichkeit, Größe und Mission zu inszenieren. Und trotzdem bleibe auch sie auf die affektive Bindung der Menschen an das als Staat gefasste Gemeinwesen gebunden.
Welche nationalen Symbole bietet die Republik heute als Identifikationsangebote? Jeder Staat ist durch seine Flagge und seine nationalen Farben, seiner Staatshymne und seine Jahrestage, seine zentralen Bauten und Denkmäler sinnlich wahrnehmbar. Der Umgang mit nationalen Symbolen scheint in Deutschland schwieriger als anderswo, seit diese durch ihren Gebrauch im Nationalsozialismus mit Expansions- und Vernichtungspolitik verbunden sind.
Peter Reichel schildert die Probleme im Umgang mit den nationalen Symbolen nach 1945 und geht dabei auch auf ihre Herkunft ein. Er beschränkt sich dabei nicht auf Flagge und Hymne als die klassischen Staatssymbole, sondern bezieht auch Staatsfeiertage bzw. sog. Erinnerungstage sowie politisch bedeutsame Bauwerke - die Paulskirche, den Reichstag, das Holocaust-Mahnmal oder den Berliner Schlossplatz - mit ein.
Reichel beschreibt dabei nicht nur die Entstehungsgeschichte der deutschen Staatszeichen und Gedächtnisorte sondern skizziert ebenso die zahlreichen Debatten über das Selbstverständnis der Republik, die sich an diesen Symbolen entzündeten. Reichels Auswahl und Bewertung nationaler Symbol wird in vielen Fällen umstritten bleiben. So begeistert er sich für das Bundeskanzleramt und sieht es für die Liste der Nationalsymbole wegen seiner Funktion als "gesetzt". Unweit des Besuchermagnets Reichstag ist es bisher jedoch nur eine Station unter vielen. Helmut Kohls gedenkpolitische Nummer Eins, die Neue Wache, gilt für Reichel ebenso wenig als bleibendes Symbol wie das Berliner Holocaust- Mahnmal. Stattdessen fordert er, endlich die "Topografie des Terrors" auf dem früheren Gelände von Gestapo-Hauptquartier und Reichssicherheitshauptamt, den "zentralen Täter-Ort" fertig zu stellen.
Als einziges Bauwerk außerhalb der Hauptstadt geht Reichel allein auf die Frankfurter Paulskirche näher ein, Sitz des ersten deutschen Parlaments 1848. Auch den Jahrestagen als nationalen Symbolen wendet Reichel sich zu: dem 17. Juni, als sich 1953 in der DDR die Arbeiter erhoben, den die Bundesrepublik zu einem "Tag der deutschen Einheit" umwidmete, dem 20. Juli und dem Andenken an das Attentat auf Hitler, dem Tag des Kriegsendes am 8. Mai und dem 9. November, der wegen Pogromnacht und Mauerfall ein Tag von Trauer und Triumph gleichzeitig sei.
Blass bleibt gegenüber diesen Daten der 3. Oktober, der denn auch kein eigenes Kapitel im Buch erhält. Der Tag, an dem 1990 der Vertrag über die deutsche Einheit in Kraft trat, sei "so blass, so emotionslos geblieben, wie es Vertragsunterzeichnungen nun einmal sind". Die gut verständlich geschriebene Kapitel eigenen sich für den fächerübergreifenden Einsatz in der Sekundarstufe II im Geschichts- und Politikunterricht, spiegeln die Auseinandersetzungen um nationale Symboliken doch auf sehr eindrucksvolle Weise den langen und letztlich nur mit Hilfe der Besatzungsmächte erfolgreichen Weg zur Demokratie in Deutschland wieder.