Im Mai 2009 wurde eine ungewöhnliche Theaterproduktion zum Thema Holocaust am Theater der Jungen Welt in Leipzig uraufgeführt. Begonnen hatte alles, als Elisabeth Kohlhaas, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Instituts für Geschichtsdidaktik und Lehrerbildung der Uni Leipzig, Jürgen Zielinski, Intendant des Theaters der Jungen Welt, von ihrer Arbeit an einer Edition von Interviewprotokollen mit überlebenden jüdischen Kindern, die kurz nach dem 2. Weltkrieg in Polen niedergeschrieben wurden, erzählte. Das Buch Kinder über den Holocaust sollte erstmals eine Auswahl von 55 Protokollen in deutscher Sprache enthalten. Ein Stoff für das Kinder- und Jugendtheater – meinten beide.
Erste Prämissen waren schnell gesetzt: Jugendliche und Schauspieler sollten sich gemeinsam in eine szenische Auseinandersetzung zum Thema Holocaust begeben. Die Schicksale dieser jüdischen Kinder sprengten einfach die Dimensionen von Alltäglichkeit oder Normalität. Da verbot sich von vornherein jeder Vergleich oder jeder Versuch der Bebilderung oder des Nachspielens. Der Holocaust ist für uns nicht nacherlebbar. Aber die Interviewprotokolle konnten ein Spiegel sein – die Folie, die uns genauer schauen lässt auf das, was wir so täglich tun und was wir vielleicht besser unterlassen sollten. Es ging uns um die Eröffnung von Denk- und Assoziationsräumen. Unser Wunsch war, dass die Zuschauer dieses Angebot annehmen, um ihre ganz eigenen Bild- und Gedankenwelten zu finden und sich so vielleicht sehr viel aktiver, gegenwartsbezogener mit dem Thema Holocaust auseinandersetzen. Eine Ermutigung, diese eigene Sicht jenseits von schulischem Faktenwissen und medialen Bildern zu suchen.
Aus über 30 Bewerbern wurden elf Jugendliche ausgewählt. Schüler, Azubis, Studenten – mit einem Altersunterschied von über 11 Jahren. Der Jüngste war 14, die Älteste 25. Über ein halbes Jahr dauerte die Probenzeit mit den Jugendlichen. Und aus ihren Improvisationen entstanden Geschichten, die ganz nahe an ihrem eigenen Leben sind und die mit den Texten der Kinder des Holocaust, die von vier Schauspielern gesprochen werden, trotzdem eine ganz besondere Symbiose eingehen. Kombiniert mit Videosequenzen, die Erfahrungen der jugendlichen Spieler aus dem Probenprozess und ihre eigenen Zweifel und Unsicherheiten im Umgang mit dem Thema dokumentieren, entstand ein faszinierendes Puzzle, das auch Momentaufnahmen unserer Erinnerungskultur spiegelt.
Die Vorstellung Kinder des Holocaust wird als Repertoirebestandteil auch in der nächsten Spielzeit noch am Theater der jungen Welt zu sehen sein. Ergänzend dazu entstand als theaterpädagogisches Projekt ein Materialienkoffer mit Spielangeboten für den Unterricht, der über das Medienpädagogische Zentrum in Leipzig und über das Theater der Jungen Welt ausleihbar ist und von der 90-Minuteneinheit bis zum Projekttag eine Menge Denk- und Spielansätze bietet. Gefördert von: “Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft”, Berlin und Sparkasse Leipzig, unterstützt durch: Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. Marion Firlus ist die Dramaturgin der Theaterinstallation „Kinder des Holocaust“.
Auf unserem Webportal befindet bereits sich die Dokumentation eines Kunst- und Theaterprojektes mit Jugendlichen in der Gedenkstätte Hadamar: [node:4304]