LaG: Liebe Jacqueline Brösicke, warum haben Sie die Vernissage anlässlich der Eröffnung der Ausstellung „Gemeinsam sind wir unerträglich. Die unabhängige Frauenbewegung in der DDR“ im Winter 2023 in Berlin besucht?
Brösicke: Für mich war es ganz logisch, eine Ausstellung anzuschauen, wo nicht nur meine Geschichte, sondern auch die von den vielen anderen Frauen, die an der Bewegung mitgewirkt haben, gezeigt wird. Allerdings habe ich mir die Ausstellung nicht nach dem Motto angeschaut: Ich gucke mal, ob es bei den anderen auch so war wie in unserer Gruppe. Sondern eher unter dem Aspekt: Wie wird das Engagement dargestellt, wie ist es umgesetzt worden?
LaG: Was war Ihr erster Eindruck? Gibt es eine Impression, die Ihnen besonders im Kopf geblieben ist?
Brösicke: Es war eine große Vielfalt da. Das hat mich gefreut, denn es ist so: Wenn man selber Macherin ist, dann macht man erstmal selber vor Ort vieles und bekommt manchmal gar nicht mit, was so im Umfeld los ist. Und auch damals haben wir selbst mehr gemacht als geschaut, was die anderen machen. Das war auch rein pragmatisch gar nicht möglich, es gab noch keine Social Media beispielsweise. Und deshalb fand ich die Vielfalt der Ausstellung sehr ansprechend.
Außerdem gab es kleine gezeichnete Szenen, das fand ich gut. Denn damals gab es wenig Möglichkeiten, Fotomaterial herzustellen. Das war anders als jetzt, wo alle alles mit dem Handy aufnehmen. Damals hatte fast niemand einen Fotoapparat, geschweige denn ihn dabei, wenn man sich heimlich getroffen hat. Und die Bilder zu entwickeln, war auch kaum möglich, denn es fand ja Überwachung statt, die Bilder konnten also auch in falsche Hände geraten. Insofern muss man heute nach Möglichkeiten suchen, wie man bestimmte Aspekte trotzdem visuell darstellt. Und ich finde, das ist durch die Zeichnungen in der Ausstellung gut gelungen.
LaG: Haben Sie bei Ihrem Ausstellungsbesuch direkt Anknüpfungspunkte an Ihre eigene Biografie gefunden? Haben Sie auf Schnittmengen oder auf Dinge, die Sie anders erlebt haben, geachtet?
Brösicke: Ich habe eher auf das Verbindende geachtet. Ich habe mir beispielsweise den Beitrag von Petra Lux angehört, ihre Rede auf der ersten Kundgebung des Neuen Forums am 18.11.1989 in Leipzig, und mich sehr darüber gefreut, weil ich dachte, dass er heute immer noch wahr und echt sein würde. Und ich finde es gerade in diesen Zeiten sehr wichtig zu zeigen: Wir schlittern womöglich in eine Gesellschaft, die ausgrenzt, die Anderssein verschweigt und nicht zulässt, so wie es damals passiert ist. Und mir ist es sehr wichtig, immer wieder darauf aufmerksam zu machen. Deswegen ist mir die Ausstellung wichtig, vor allem aus der Perspektive der Frauen. Dieses Thema bewege ich seit 33 Jahren, nicht nur mit dem Herzen, sondern auch beruflich. Und da ist für mich noch viel Luft nach oben, dass die Frauen die Möglichkeit bekommen, gleiche Chancen, gleiche Rechte zu haben.
LaG: In der Ausstellung werden auch Interviewpassagen mit Ihnen verwendet. Wie kam es dazu, dass Sie mitgewirkt haben?
Brösicke: Schon vor Jahren kam Judith Geffert zu mir, die als wissenschaftliche Mitarbeiter*in zum Ausstellungsteam gehört, und fragte, ob sie über die Geschichte unserer Gruppe, der Unabhängigen Frauengruppe Magdeburg, ihre Masterarbeit schreiben könne. Ich hatte dann über Monate viele Gespräche mit Judith und wir gingen immer tiefer in die Materie. Und von diesem Material floss dann einiges in die Ausstellung ein. Es gibt aber natürlich jenseits von meiner Geschichte noch weitere Porträts zum Thema lesbisches Leben in der DDR, zum Beispiel den Film „Uferfrauen“ von Barbara Wallbraun. Da bin ich aber nicht dabei, weil meine Geschichte nicht so interessant und vielleicht auch nicht unbedingt beispielhaft ist.
LaG: Inwiefern?
Brösicke: Ich habe schon in der DDR-Zeit als Lesbe gelebt, aber ich bin damit nicht aktiv und offen umgegangen. Ich bin zwar zu Orten gegangen, wo es lesbisches, schwules Leben gab – das war natürlich alles nicht öffentlich. Ich habe auch unsere Gruppe mitgegründet, die aber nicht als Lesbengruppe, sondern als unabhängige Frauengruppe nach außen agierte. Und ich hatte einen Freundeskreis, für die das „normal“ war, dass ich lesbisch bin und Teil der Gruppe und dass jede bei uns auch so lebte, wie sie wollte. Ich habe nicht unter staatlichen Repressalien gelitten, anders als viele, die sich gegen bestimmte Auflagen gewendet haben, die zum Beispiel Kinder hatten. Ich habe keine Kinder und bin nicht auffällig geworden. Deswegen ist meine Lebensweise in dem Fall nicht so beispielhaft; andere Lesben haben mehr unter diesem Staat gelitten. Auch wenn wir als Lesbengruppe überwacht worden sind.
LaG: War Ihnen das damals bewusst?
Brösicke: Wenn man in der DDR aufgewachsen ist, dann war einem das immer bewusst. Man konnte überall überwacht werden: in der eigenen Wohnung, weil man sich dort mit anderen trifft, oder an öffentlichen Orten. Man hat sich das nicht jedes Mal vor Augen geführt und jedes Wort überlegt. Aber es war schon klar, dass da bestimmt jemand dabei ist, der sich das genau anschaut und anhört.
LaG: Was hat Sie angetrieben, die Gruppe zu gründen?
Brösicke: Es ist zunächst ein einfaches Bedürfnis, dass man als lesbische Frau andere lesbische Frauen kennenlernen will. Und das war ohne solche Gruppen nicht möglich. Und letztlich war das der Grund, dass wir uns mit ein paar Freundinnen zunächst in Wohnungen getroffen haben. Wir haben dann eine Diakonin kennengelernt, die bei der Kirche einen Raum organisiert hat, und da haben wir uns dann 14-tägig freitags getroffen. Was in der DDR wirklich gut funktionierte, war der Buschfunk. Der reichte bis in die kleinsten Dörfer. Und so wurden es von Freitag zu Freitag mehr. Ich war am Anfang gar nicht so politisch, dass ich dachte, ich müsste jetzt eine Revolution ausrufen oder mir was auf die Fahne schreiben, einen Slogan, mit dem ich jetzt nach außen gehe. Aber ich wollte aktiv dazu beitragen, dass lesbische Frauen sich treffen können. Und je öfter wir das taten, umso mehr merkte ich, dass es auch ein Politikum ist, worüber wir uns austauschten. Über Bücher, die wir gelesen, über Dinge, die wir erlebt haben, darüber, wie es uns mit unseren Familien, mit unseren Arbeitskollegen, mit diesem Thema geht. Wo kommt es überall nicht vor? Nämlich eigentlich überall. Und das führte dazu, dass ich mich politisiert habe, weil ich merkte, das kann man einfach so nicht länger hinnehmen. Die Gruppe wurde dann auch offener: Es kamen Frauen aus kirchlichen Zusammenhängen, die lesbisch waren oder auch nicht, zum Beispiel aus der Gruppe Frauen für den Frieden. Gemeinsam haben wir uns mit Aufrüstung und der Frage befasst, dass Frauen zur Wehrpflicht gezwungen werden sollten. Das führte 1990 schließlich dazu, dass wir aus den beiden Gruppen die Fraueninitiative Magdeburg gegründet haben, um gemeinsam an einer neuen Gesellschaftsordnung mitzuwirken. Denn ich dachte: Wenn wir jetzt nicht das kommunizieren, was uns bewegt hat, dann geht es wieder unter. Klar wussten wir, dass in der BRD die 68er-Bewegung stattgefunden hat, dass aber lesbisch-schwule Belange trotzdem auch da noch ein Tabuthema waren. Und da war für mich ganz klar, dass wir damit politisch nach außen gehen müssen.
LaG: Sie hatten erwähnt, dass Ausgrenzung ein Thema ist, was Sie damals wie heute bewegt. Gibt es weitere Themen, die geblieben sind?
Brösicke: Das ist natürlich nicht nur das Thema lesbische Lebensweisen, sondern vor allem das Thema Chancengleichheit, Diskriminierung, Gewalt gegen Frauen. Wir versuchen mit unserem Projekt und mit vielen Kooperationspartner*innen nach wie vor, diese Themen zu besetzen, Veranstaltungen zu machen, um Menschen zu sensibilisieren, Hilfestellung und Bildungsanstöße zu geben. Ich betrachte das für mich nicht nur als Job, sondern als Lebensinhalt. Und nach wie vor geht mir das nicht schnell genug. Es gibt immer wieder Rückschläge, gerade in den jetzigen Zeiten.
LaG: Gibt es auch Verbesserungen im Vergleich zu früher?
Brösicke: Ja, unbedingt. Wir haben viel mit jungen, feministischen, engagierten Frauen* zu tun. Und damit meine ich alle Menschen, die sich egal wie definieren. Ihr Engagement sehen wir vor allem in der Klimapolitik, wo es viel mehr junge Frauen* gibt als bisher in anderen revolutionären Bewegungen. Und wir versuchen denen, die wir erreichen, sowohl unsere Erfahrungen und geschichtliche Hintergründe mit auf den Weg zu geben als auch sie zu stärken im Sinne von: Geht euren Weg! Sagt, was ihr nicht möchtet! Sagt, was ihr braucht, und bringt euch ein in Bezug auf das, was ihr nicht mehr hinnehmen wollt! Denn das erfordert viel Kraft, Enthusiasmus und Power, aber auch Empowerment. Und das hat man nicht immer zur Verfügung, auch nicht wenn man jung ist, weil für alle jungen Menschen Zeiten der Orientierung auch sehr herausfordernd sind. Aber trotzdem hat sich da viel bewegt.
LaG: Haben Sie in der Ausstellung etwas vermisst?
Brösicke: Man kann nicht alles zeigen. Aber natürlich gab es auch umfassendere Probleme in der DDR, zum Beispiel für Künstlerinnen. Einige sind in der Ausstellung auch benannt. Es gibt weitere dokumentarische Zeugnisse, zum Beispiel den Film „Rebellinnen“ über Gabriele Stötzer, Tina Bara und Cornelia Schleime. Für sie und andere Künstlerinnen war es in der DDR ganz schwierig, zum Zuge zu kommen, wenn sie nicht das wollten, was der Staat gemeinhin für Kunst und Kultur hielt. Auch Annemirl Bauer hat darunter sehr gelitten und ist leider zu früh gestorben. Aber ich sehe natürlich, dass das nicht alles in einer Ausstellung Platz hat. Sie ist ein wichtiger und unerlässlicher Anfang, aber in dieser Richtung zum Beispiel noch ausbaufähig. Ebenso wichtig wäre es, in den Bürgerrechtsbewegungen Anfang der 1990er Jahre die Frauen noch einmal genauer zu beleuchten. Es ist einfach so, dass an den Runden Tischen oder in den Gremien die Männer manchmal mutiger waren und eher vorgeprescht sind. Und die Frauen hatten die Doppelbelastung: den Job, die Kinder, und dann auch noch politisch aktiv zu werden… Das ist genauso wie jetzt: Frauen kommen weniger in Führungspositionen und politische Ämter, weil sie zu großen Teilen immer noch die Care-Arbeit tragen. Aber solange Männer nicht mindestens zur Hälfte Gleiches mittun, wird es nicht funktionieren.
LaG: Gab es einen Impuls durch die Ausstellung, den Sie im Nachgang noch diskutiert haben?
Brösicke: Ja, wir haben bei der Ausstellung eine tolle Begegnung gehabt mit Gisela Notz, die ich immer noch sehr bewundere. Sie hat Bücher geschrieben, feministische Beiträge für Zeitschriften gemacht und war auf vielen Tagungen unterwegs. Ich war ganz begeistert, sie zu treffen, und darüber, dass sie sich immer noch engagiert. Die Ausstellung habe ich mit meiner Freundin Petra K. besucht, sie lebt in Berlin und sie hat in Halle sehr viel bewegt damals, ich in Magdeburg, und wir haben uns immer wieder auch verständigt, getroffen, gemeinsame Sache gemacht. Und es war schön und wichtig für uns, an diesem Abend über die alten Zeiten, die Anfänge nochmal zu sprechen.
LaG: Warum holen Sie die Ausstellung nach Magdeburg?
Brösicke: Wir haben im August 2024 eine bundesweite Frauentagung in Magdeburg, wo ich die Ausstellung unbedingt zeigen wollte. Im Anschluss wird sie dann im Dom präsentiert. Das ist der Ort, wo auch vieles anfing. Der Domplatz war 1989 der Ort, wo sich die Menschen trafen und gemeinsam für Veränderungen auf die Straße gingen. Auch Menschen, die sonst nicht in die Kirche gingen oder gläubig waren, kamen in den Dom, weil sie sich dort sicherer fühlten. Die Ausstellung wird am Ernst-Barlach-Denkmal stehen. Sie da zu präsentieren, ist nicht zu toppen.
Ausstellungsbesucher*in bei der Eröffnungsvernissage © Anna Witzel
LaG: Was macht für Sie grundsätzlich eine gute Ausstellung aus?
Brösicke: Für mich ist eine Präsentation in einfacher Sprache wichtig. Es ist unerlässlich, dass wir den Menschen, die aus verschiedensten Gründen in unser Land kommen und die Sprache nicht gleich beherrschen, trotzdem unsere Geschichte präsentieren können. Hinzu kommt, die digitalen Möglichkeiten auszunutzen: QR-Codes sind hier eine gute Lösung. Es war schade, dass viele bei der Ausstellungseröffnung nicht funktioniert haben, weil das WLAN zu schwach war. Darauf müssen künftige Leihnehmer*innen achten. Auch Bilder und Zeichnungen, um Dinge zu zeigen, die nicht als Foto existieren, finde ich wichtig. Oder kleine Erklärfilme. Und das dann wiederum mit digitalen Portalen zu verknüpfen, es möglichst online zugänglich zu machen und über Social Media zu verbreiten, um eine größere Reichweite zu haben. Denn alles, was dazu beiträgt, Sichtbarkeit von dem herzustellen, was passiert ist, vervollständigt die Geschichte.