Seit Menschen Informationen aus der Vergangenheit und ihrer jeweiligen Gegenwart für die Nachwelt festhalten, berichten sie auch über Kriege. Ob die geschehene Geschichte im gleichen Maße wie die geschriebene eine Kriegsgeschichte ist, sei dahingestellt, zweifellos aber geizt die Vergangenheit nicht mit kriegerischen Auseinandersetzungen. Ebenso ist die Gegenwart von (Bürger-)Kriegen gezeichnet: Sie erschüttern viele Landstriche der Welt, ob nun die Ukraine, im Jemen, in Äthiopien, im Kongo oder anderswo.
Das Gegenbild zum Krieg ist der Frieden, und offensichtlich haben zahllose Kriege der Vergangenheit irgendwann ihr Ende gefunden. Diskutabel ist, inwieweit der Übergang von einer Phase der Kampfhandlungen in eine ohne solche immer die Bezeichnung „Frieden“ verdient, selbst dann, wenn dieser Übergang nicht mit Unterwerfung, Versklavung und Vernichtung verbunden ist. Marksteine wie der Westfälische Friede von 1648 oder die Pariser Vorortverträge von 1919 und 1920 können nicht überdecken, dass ein solcher Übergang keinesfalls durch „Friedensschlüsse“ gestaltet werden muss. Schon der Blick in die Antike verdeutlicht zudem, dass Friedensvereinbarungen keine endgültige Konfliktbeilegung garantieren.
Lohnt sich eine lernende Beschäftigung mit vergangenen Friedensprozessen und -schlüssen unter diesen Voraussetzungen überhaupt – und wenn ja, warum? Dem Einwand, die stetige Wiederkehr des Krieges sei der beste Beweis für die Unfähigkeit der Menschen, aus der Geschichte zu lernen, lässt sich entgegenhalten, dass allein die Diskussion um die Angemessenheit und Erklärungsmacht dieses Gemeinplatzes bereits eine Form historischen Lernens darstellt. Selbst wenn ausgleichende Friedensschlüsse und Versöhnungsprozesse menschheitsgeschichtliche Ausnahmen bilden sollten, ist es gerade dann geboten zu betrachten, welche Bedingungen solche Pazifizierungsprozesse befördert haben.
Dass die Beschäftigung mit Krieg und Frieden grundsätzlich bedeutsam ist, ist weitgehend Konsens; beide stechen unter den viel rezipierten – und nicht unumstrittenen – „epochaltypischen Schlüsselproblemen“ hervor, die der Erziehungswissenschaftler Wolfgang Klafki (1992: 19) als Basisziele pädagogischer Interventionen identifiziert hat. Historisches Lernen hat allerdings keine einfachen Antworten oder Patentrezepte zu bieten. Sieht man einmal von Positionen ab, die den Kriegszustand für erstrebenswert oder naturgegeben halten, kann auch jegliches gegen den Krieg gerichtete Vermitteln höchst unterschiedlich ausfallen. Ob in einer Konfliktsituation ein angestrebter Friedenszustand am besten durch das Wahren absoluter Neutralität, das einseitige Niederlegen der Waffen, die Unterstützung einer Kriegspartei, die eigene Kriegsbeteiligung oder gar durch einen Präventivschlag erzielt werden kann und soll, ist nicht für alle immer wieder neu auftretenden Krisen, die jeweils unterschiedlichen Konflikt- und Legitimationslinien folgen, pauschal zu beantworten. Hier liegen die Tücken eines überzeitlich-exemplarischen Zugriffs auf die Vergangenheit: Stets ist anfechtbar, ob sich einander ähnelnde Vorkommnisse der Vergangenheit ihrem Einzelfallkontext entreißen lassen und sich in ein Muster einfügen, das in der neuen Situation handlungsleitend wirken kann – noch dazu, wenn die Zahl der herangezogenen Vorbilder sehr klein ist.
Oliver Plessow spricht über Chancen und Herausforderungen von Friedensprozessen. © Jens Schubert
Der lernende und vermittelnde Zugriff auf dieses Schlüsselproblem folgt wie jede historische Erzählung Mechanismen, die sogar dort instrumentalisierbar und manipulierbar sind, wo die Absicht vorherrscht, evidenzbasiert „wahre“ Geschichte zu erzählen. Wie alle historischen Sinnbildungen (Barricelli 2012: 257–263) greift auch die zukunftsbezogene Auseinandersetzung mit Krieg und Frieden selektiv, partial, sequenzialisierend und narrativierend auf die Informationen der Vergangenheit zurück. Weitere Herausforderungen für das historische Lernen schließen sich an: Wie weit zurück soll der Blick reichen und auf welche Räume soll er sich beziehen? Geht es um die „große Politik“ und die zwischenstaatlichen oder gar supranationalen Akte oder um den Frieden zwischen den einzelnen Menschen? Wie werden wert- und zweckrationale Gesichtspunkte gegeneinander abgewogen? In welchem Maße sind die Perspektiven welcher kriegführenden oder friedenschließenden Parteien zu berücksichtigen?
Ebenso ist die Perspektive der Lernenden in Betracht zu ziehen: Sollen sie die Entscheidungen der „großen Politik“ nachvollziehen oder sich dem alltäglichen Schicksal der Betroffenen widmen? Wer auch immer ein Bildungsprogramm zu Krieg, Frieden und Friedensschlüssen anbietet, sollte diese didaktischen Entscheidungen reflektieren und Lernenden gegenüber transparent machen. Stets gilt es zu bedenken, welch zentrale (und oft auch verheerende) Rolle Kriegsnarrative für die Ausbildung nationaler Meisternarrative gerade im Bildungswesen gespielt haben (Furrer 2009: 9).
Die Beschäftigung mit Kriegen bringt eine Auseinandersetzung mit extremer Gewalt mit sich. Doch die Vorführung von Kriegsgräueln, die sogleich mit einer klaren politischen Botschaft verbunden wird, birgt die Gefahr einer Überwältigung, wie sie die politische Bildung kategorisch ablehnt. Auch ein individualisierendes Lernen anhand der Biografien von Menschen und ihrer Gewalterfahrungen, das mit Identifikationsangeboten verkoppelt ist, ist ein zweischneidiges Schwert: Einerseits führt die empathische Beschäftigung mit vergangenem Leid Lernenden erst die Relevanz des zu Lernenden vor Augen, andererseits unterliegt ein unterkomplex-emotionalisierender „Das darf nie wieder passieren!“-Zugriff einer Ideologisierungsgefahr. In diesem Dilemma in der Beschäftigung mit Frieden und Friedensschlüssen die Balance zu finden, erfordert pädagogisch-didaktisches Geschick.
Oliver Plessow. © Jens Schubert
Wer sich der Aufgabe stellt, ein Bildungsvorhaben zu Krieg, Frieden und Friedensschlüssen zu entwerfen, sollte dies im Bewusstsein tun, niemals exklusiv auf die Ausbildung des Geschichtsbewusstseins der Lernenden einzuwirken. Historisches Lernen vollzieht sich an unterschiedlichen Orten, insbesondere dann, wenn es um Krieg und Frieden geht. Hier wirken informelle, formale und non-formale Bildungsimpulse in komplexer Weise zusammen.
Im informellen Sektor sind die Erzählungen der älteren Generationen und ihre Wirkmacht einzukalkulieren: Selbst wenn sehr vieles nicht erzählt wird, Schweigegebote und Traumatisierungen wirken, prägen Erzählungen von Kriegserfahrungen wie von Kriegsende- und Friedensrückkehrerlebnissen das intergenerationelle Gespräch. Mitzudenken ist ferner die Welt der sozialen und der Massenmedien, in der Friedensschlüsse allerdings weniger Aufmerksamkeit zu binden vermögen als die omnipräsenten Kriegsdarstellungen.
Nur im formalen Schulwesen gelingt es in einem demokratischen System, alle Personen einer Alterskohorte zu erreichen. Wie nachhaltig das schulische Lernen ist und inwieweit es einem spezifischen gesellschaftlichen Lehrverlangen Genüge tun kann, steht auf einem anderen Blatt – Lehrkräfte sind Allrounder:innen, die vielen Vermittlungsansprüchen gleichzeitig gerecht werden müssen: Krieg und Frieden sind nur Gegenstände unter vielen. Zudem treffen pädagogische Impulse auf eine heterogene Schüler:innenschaft, die aufgrund der verstärkten Fluchtbewegungen aus (Bürger-)Kriegsgebieten im Gegensatz zu vielen ihrer Lehrenden inzwischen oft über eigene Kriegserfahrungen verfügen. Friedenserziehung ist allerdings kein Schulfach, sondern verteilt sich als Querschnittsaufgabe auf den Fächerkanon.
Naheliegend ist, auf die hervorgehobene Rolle des Politik- und insbesondere des Geschichtsunterrichts zu schauen. Das föderale deutsche Bildungssystem erschwert zwar Pauschalaussagen, aber im De-Facto-Kanon von Lehrplänen und Schulbüchern haben Kriege ihren festen Platz. Friedensschlüsse werden hingegen meist nachrangig erwähnt und nur bei herausragenden Einzelfällen zum verbindlichen Thema. Krieg und Frieden erscheinen in die jeweiligen Zusammenhänge des chronologischen Durchlaufs eingebettet, wie er noch immer den Mittelstufenunterricht dominiert. Längsschnitte, wie sie die Didaktik fordert, und die hier etwa vergleichend Bedingungen für Kriegsbeendigung und Friedensschluss vor Augen führen könnten, sind in Lehrplandiskussionen immer noch schwer durchzusetzen. Immerhin gibt es einige einschlägige Handreichungen (z.B. Offergeld/Schulz 1994; Wunderer 2015; von Reeken/Thießen 2018).
Im Gegensatz zu den Schulen erreicht der non-formale Bildungssektor nur ein eingeschränktes Segment der Lernenden, das aber angesichts der (überwiegend) freiwilligen Teilnahme und der höheren Interessenbindung intensivere und spezialisiertere Angebote wahrnehmen kann, die unter anderem vom Trägertyp abhängen. So befassen sich etwa Museen – und zwar nicht nur militärhistorische – durchaus mit Krieg, seltener indessen mit Frieden und Friedensschlüssen. Einige nicht-schulische Bildungsanbieter, vor allem Akteure der Jugendarbeit, bieten mit Projekten, Seminaren und Workcamps Formate an, die eine tiefergehende Auseinandersetzung erlauben. Gerade Angebote mit Bezug zur Vergangenheit befassen sich regelmäßig mit Krieg und Frieden. Besonders hervorzuheben ist neben Angeboten der NS-Gedenkstätten (mit ihrem Schwerpunkt auf der aus Krieg und Nationalsozialismus erwachsenen Verantwortung im Frieden) die sich als Friedenspädagogik begreifende Arbeit mit Kriegsgräbern, wie sie der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. verantwortet und welche die langfristigen schmerzhaften Nachwirkungen von Krieg auch im Frieden verdeutlichen hilft. All diese Akteure, die historische Bildungsarbeit betreiben, zeichnet aus, dass sie ihre spezialisierten Vermittlungsangebote nicht nur unterschiedlichen Gruppen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen zur Verfügung stellen, sondern den Schulen auch direkte Kooperation anbieten und so dazu beitragen, die Beschäftigung mit Krieg und Frieden auf eine breite und profunde Basis zu stellen.
Literatur
Barricelli, Michele: Narrativität, in: ders./ Lücke, Martin (Hrsg.): Handbuch Praxis des Geschichtsunterrichts, Schwalbach/Ts. 2012, Bd. 1, S. 255–280.
Furrer, Markus: Einführende Bemerkungen zu Kriegsnarrativen im Schulgeschichtsbuch, in: ders./ Messmer, Kurt (Hrsg.): Kriegsnarrative in Geschichtslehrmitteln. Brennpunkte nationaler Diskurse, Schwalbach/Ts. 2009, S. 7–14.
Klafki, Wolfgang: Allgemeinbildung in der Grundschule und der Bildungsauftrag des Sachunterrichts, in: Lauterbach, Roland/Köhnlein, Walter/Spreckelsen, Kay/Klewitz, Elard (Hrsg.): Brennpunkte des Sachunterrichts, Kiel 1992, S. 11–31.
Offergeld, Peter/Schulz, Dieter: Krieg und Frieden. Friedensordnungen und Konflikte vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Paderborn 1994.
von Reeken, Dietmar/Thießen, Malte (Hrsg.): Nachkriegsordnungen. 1918–1923, Seelze 2018 (Geschichte lernen 31, H. 186).
Wunderer, Hartmann: Friedensschlüsse 1648–1990, Schwalbach/Ts. 2015.