Wer in das ostsächsische Bautzen reist, wird schon am Ortseingang eines der zwei Gefängnisse wahrnehmen. Die heutige Justizvollzugsanstalt (JVA) ging 1904 als Königlich-Sächsische Landesstrafanstalt für 1.100 männliche Häftlinge in Betrieb. Nur zwei Jahre später bekam Bautzen I, wegen seiner gelben Klinkerfassade „Gelbes Elend“ genannt, ein weiteres, deutlich kleineres Gefängnis zur Seite gestellt: Bautzen II, ein Gerichtsgefängnis für 200 Untersuchungshäftlinge. Mit diesen beiden Gefängnissen, die im Laufe der Zeit von unterschiedlichen Regimes genutzt wurden, spiegelt sich in Bautzen exemplarisch die Geschichte politischer Verfolgung und Haft im 20. Jahrhundert in Deutschland. Bautzen I diente der NS-Justiz als Strafgefängnis, Bautzen II als Gefängnis für Justiz- und sogenannte Schutzhäftlinge. Später nutzte die Geheimpolizei der sowjetischen Besatzungsmacht das Haus als „Operativgefängnis“, zeitgleich wurde das „Gelbe Elend“ als sowjetisches Speziallager Nr. 4 von 27.000 Gefangenen durchlaufen. Zwischen 1945 und 1950 starben 3.000 Gefangene an den unmenschlichen Haftbedingungen. Anschließend richtete das Ministerium für Staatssicherheit in Bautzen II eine Sonderhaftanstalt für sogenannte „Staatsverbrecher“ ein. Bautzen I wurde eine „ganz normale“ DDR-Haftanstalt des Innenministeriums, in der auch Systemgegner*innen inhaftiert waren. Mit der Friedlichen Revolution endete die Inhaftierung politischer Häftlinge in Bautzen.
Nach der Entlassung aller politischen Häftlinge Ende 1989 wurde Bautzen I zu einer modernen JVA ausgebaut, auch Bautzen II wurde zunächst weiter von der Justiz genutzt. Die Initiative zur Schaffung eines Gedenkortes ging vom Bautzen-Komitee aus, der Vereinigung ehemaliger politischer Häftlinge beider Bautzener Gefängnisse. 1993 beschloss der Sächsische Landtag, dass Bautzen II, die ehemalige Stasi-Sonderhaftanstalt, zu einer Gedenkstätte wird. Diese ist heute Teil der Stiftung Sächsische Gedenkstätten. Sie wird hälftig aus Mitteln vom Freistaat Sachsen und dem Bund finanziert.
Die komplexe Geschichte der beiden Bautzener Haftanstalten wird in drei Dauerausstellungen dokumentiert:
Die Wahrung des historischen Ortes und seiner Merkmale ist der Ausgangspunkt der Gedenkstättenkonzeption. Als steinerner Zeuge des Unrechts ist das Haftgebäude Hauptausstellungsstück. Die Vermittlung der Geschichte von zwei Gefängnissen in drei Verfolgungsperioden erfolgt über den Ort selbst, über Dauer- und Sonderausstellungen sowie vielfältige Bildungsangebote.
Die Gedenkstätte ist als „offener Lernort“ gestaltet. Sie bezieht Position, vermittelt aber keine fertigen Wahrheiten oder gar verbindliche Geschichtsbilder. Die Besucher*innen werden in die Lage versetzt, die Geschichte anhand ihrer Relikte selbst zu rekonstruieren und eigene Schlüsse aus dem Gesehenen zu ziehen. Der historische Ort wird erläutert, historische Zusammenhänge erklärt; auch strittige Fragen werden thematisiert.
Der Darstellung von Biografien kommt ein großer Stellenwert zu: Besucher*innen erfahren, wer hier aus welchen Gründen inhaftiert war, wer hier gearbeitet hat und wer Täter*in wurde. Sie erfahren aber auch, wie politische Justiz in den Diktaturen des 20. Jahrhunderts funktionierte und werden angeregt, über eigenverantwortliches Handeln in der heutigen Zeit nachzudenken.
Die Gedenkstätte möchte mit offenen und partizipativen Formen ihre Bildungsarbeit verbessern und bisher kaum erreichte Zielgruppen ansprechen: Das neue Modul Stage of Memory lässt Jugendliche ihre eigenen Fragen an die Geschichte stellen, wobei eine kreative Auseinandersetzung ausdrücklich erlaubt ist. Das mehrtägige Angebot „Stasiknast: Mach Dein Projekt draus!“ wird von einem Theater-, einem Gedenkstätten-Pädagogen und Zeitzeug*innen begleitet. Die Teilnehmenden lernen zunächst das Haus und dessen Geschichte kennen. Anschließend bringen sie ihre Erlebnisse und Erkenntnisse in szenischem Spiel, Klang- und Bildinstallationen, kreativem Schreiben und manchmal sogar tänzerisch zum Ausdruck.
Für die nächsten Jahre steht die Gedenkstätte vor großen Herausforderungen: So sind Führungen durch ehemalige Häftlinge bislang integraler Bestandteil unseres Angebots. Doch die Zeitzeug*innen schwinden. Deshalb geht 2023 eine App an den Start, mit deren Hilfe sich Besucher*innen individuell von „medial-konservierten“ Zeitzeug*innen durch das Haus führen lassen können. Außerdem sind der Erhalt der historischen Bausubstanz, die dringend gebotene Digitalisierung der Bestände des Zeitzeugenarchivs sowie der Sammlungen, nicht zuletzt die Erarbeitung zeitgemäßer Vermittlungsformate mit Bezügen zur Gegenwart wichtige Aufgaben, die es zu bewältigen gilt.
Literatur
Klewin, Silke: Bautzen, in: Sabrow, Martin (Hrsg.): Erinnerungsorte der DDR, München 2009, S. 43–53.
Gedenkstätte Bautzen
Weigangstraße 8a
02625 Bautzen
Tel.: 0 3591 40474
E-Mail: info [dot] bautzen [at] stsg [dot] de
Homepage: www.gedenkstaette-bautzen.de