Beitrags-Autor: Ingolf Seidel Sie müssen angemeldet sein, um das Benutzerprofil zu sehen |
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Was ist ein digitales Museum? Ist es eine 3-D-Animation, in der man sich per Google-Street-View durch die Gänge bewegen kann? Ist es eine App, die sich smart in den digitalen Alltag auf dem Endgerät integriert und den Nutzer*innen ortsunabhängig neuen Input liefert? Ist es eine Website mit Informationen zu Öffnungszeiten und Eintrittspreisen? Ja, das alles kann ein digitaler Auftritt eines Museums sein.
Was vor zwei Jahren in vielen mittelgroßen Museen noch ein Luxus war, ist seit der Corona-Pandemie unabdingbar: ein umfassender stabiler digitaler Auftritt mit Sammlungsfotos, Filmen, Live-Veranstaltungen und nachnutzbaren Informationen. Eine Sichtbarkeit im Netz, die nicht von Lockdowns, regulären Öffnungszeiten und Zeitzonen abhängig ist. Eine Wahrnehmung als Kultur- und Wissensspeicher, der weiterhin zur Verfügung steht und wissenschaftlich gesicherte Fakten, Bild- und Objektdaten bereitstellt. Ein Auftritt als eine weiterhin arbeitende „trusted source“ – eine zuverlässige Wissensquelle. Neben Forscher*innen sind gerade jetzt Schulen und kulturliebende Besucher*innen unsere Gruppen, für die wir gezielt digitale Angebote zuschneiden.
Ein Museum, das zu einem digital nach Hause kommt – Museum at home.
Die digitale Erweiterung ist zentraler Bestandteil des Erneuerungsprozesses des Jüdischen Museums mit der Entwicklung neuer Zugänge zu jüdischer Geschichte und Kultur. Barrierefreie Zugänge zur Sammlung und Vermittlungsangeboten sollen sowohl in der analogen Ausstellung als auch im digitalen Raum erfahrbar sein.
Als das Museum 2016 eine digitale Strategie aufsetzte, lautete die Devise ganz klar, dass es eine Erweiterung in den digitalen Raum anstrebt. Es geht nicht darum, den physischen Ort abzulösen, sondern gezielt gleichberechtigte Angebote zu entwickeln, die im digitalen Raum nachhaltig funktionieren und ansprechend sind. Somit umfasst diese Erweiterung die Bereiche Kommunikation, Vermittlung und Forschung.
Den Einstieg machten wir über die teilweise schon vorhandenen Social-Media-Kanäle. Um aber einen permanenten und kreativen Output zu generieren, musste im Museum erst die Stelle einer/s Social-Media-Redakteur*in geschaffen werden. Mittlerweile betreut dieser Kollege nicht nur unsere Plattformen
sondern koordiniert unseren Blog und produziert zusätzlich selbst Live-Führungen in der Dauer- und Wechselausstellung sowie Filmclips mit Guides und Kurator*innen. Um regelmäßig neuen und inhaltlich soliden Content (d.h. Texte, Bilder, Videos) für Social Media aufzuarbeiten, unterstützt ihn ein abteilungsübergreifendes Team.
Das Ergebnis: Täglich werden auf Instagram, Facebook und Twitter News zu aktuellen Streitfragen, jüdischen Feiertagen, Biographien und Livestream-Veranstaltungen gepostet. Auf diese Weise haben wir ein neues Publikum generiert, das hauptsächlich über die sozialen Netzwerke nach Ausstellungen, Veranstaltungen und Informationen sucht, diese kommentiert und weiterverteilt. Dieser Nachrichtenweg ist eng mit der 2018 neudesignten Website des Museums verzahnt. Seit 2019 werden auf unserem Blog regelmäßig tagesrelevante und zeitgeschichtliche Themen in Zusammenarbeit mit unseren Sammlungen und Ausstellungen erörtert. All dies wird wiederum über die Social-Media-Kanäle kommuniziert.
Der zweite Schritt war die digitale Vermittlung. Den Auftakt bildete die App „Unsichtbare Orte“, mit der Schüler*innen im Stadtraum Geschichte und Orte verschiedener Communities in verschiedenen Zeitschnitten nach 1945 kennenlernen können. In Kooperation mit dem Historischen Museum Frankfurt entwickelten wir die App gemeinsam mit Schulklassen.
Darüber hinaus bietet unsere Bildungsabteilung nun digitale Fortbildungsprogramme für Lehrer*innen an und organisiert digitale Tagungen zur politischen Bildung.
Zwei weitere Meilensteine sind unsere Kooperationen mit Google Arts and Cultures und dem digitalen Archiv „Künste im Exil“. Hier haben wir unsere ersten Online-Ausstellungen konzipiert und offen zugänglich zur Verfügung gestellt.
Bisher:
Moderne Ausstellungen ohne Medienstationen sind heutzutage undenkbar. Die Herausforderung für Kurator*innen und Vermittler*innen besteht darin, diese zweck- und zielgerichtet einzusetzen. So können diese Stationen weitere Vertiefungsebenen zu einem Thema oder Exponat anbieten oder einen ganz anderen Blickwinkel auf das Narrativ werfen.
Ein besonderes Programm ist unser „Museum-to-Go“. Es schafft im wahrsten Sinne des Wortes die nachhaltige Verbindung zwischen dem Museumsbesuch und der Zeit zuhause danach. Jede*r Besucher*in erhält am Eingang ein Lesezeichen, das mit einem RFID-Chip versehen ist. In der gesamten Dauerausstellung sind spezielle „Museum-to-Go“-Stationen installiert, an denen mittels des Lesezeichens Informationen, Filme, Fotos abgerufen werden können und auf einer eigenen Website gespeichert werden. Zuhause kann der/die Besucher*in sich mittels des Passworts auf dem Lesezeichen auf dieser Website einloggen und die eigene Sammlung durchstöbern. Es handelt sich dabei um Inhalte, die er/sie bereits im Museum gesehen hat und auch Extras wie Rezepte der Familie Frank und Familie Rothschild.
Das Jüdische Museum strebt ein holistisches Prinzip an, in dem alle digitalen und analogen Aktivitäten und Angebote, so unterschiedlich sie auch sein mögen, zusammengedacht werden. Sowohl technisch als auch inhaltlich sollen die verschiedenen Produkte miteinander verlinkbar und kombinierbar sein. Auf der digitalen Ebene bedeutet das, einen Hub zu entwickeln, in dem alle Angebote miteinander korrespondieren, sich aber auch solo behaupten können.
Ein zentrales Element dieses Hubs bildet für uns die Online-Sammlung.
Von Anfang an bestand der Wunsch, eine eigene Online-Sammlung aufzubauen. Auf dieser Plattform sollen Forscher*innen, Schüler*innen und Interessierte Zugriff auf Fotos, Daten und Geschichten erhalten. Bei dieser neuen Aufgabe geht es aber nicht nur um den Aufbau einer weiteren Website. Vielmehr müssen wir damit auch eine Herausforderung lösen, die in den vorhergegangenen Projekten aufgetreten war: Jedes Mal wurden Bild- und Informationsdaten manuell aus der Museumsdatenbank herauskopiert und in das jeweilige CMS (Content Management System) der App, der Museumswebsite, der Online-Ausstellungen und Social-Media-Plattformen übertragen. Abgesehen davon, dass dies große Fehlerquellen birgt und mit hohem Zeitaufwand verbunden ist, fehlt auch eine automatische Angabe der Bildrechte. Wir sind daher zu der Lösung gekommen, dass die Museumsdatenbank die zentrale Quelle der Bild- und sogenannten Metadaten (Informationen zur Mediendatei und dem Objekt selbst) ist und ausschließlich dort Korrekturen und Ergänzungen vorgenommen werden dürfen. Der zweite Schritt bedeutet, dass diese Daten immer direkt aus der Datenbank exportiert und in die zahlreichen Kanäle importiert werden müssen. Es geht also darum, eine zentrale Datensteuerung aufzubauen, um eine Qualitätssicherung der wissenschaftlichen Daten zu garantieren. Um diese Daten herum kann dann in den jeweiligen technischen Umgebungen (CMS) weiteres Informationsmaterial je nach Zielgruppe angereichert werden.
Langfristig möchten wir auch unsere Daten auf open platforms wie der Deutschen Digitalen Bibliothek, Europeana, Jewish Heritage und Wikimedia exportieren und von dort dann wiederum mit unserer Online-Sammlung verlinken.
Für die Planung der Online-Sammlung bedeutet dies vorweg eine umfassende Aufräummaßnahme in den Datensätzen (data-clearing): Schreibweisen müssen angeglichen werden, verständliche Titel geschrieben und Leerstellen ausgefüllt werden. Um langfristig auch den besonderen Ansprüchen des semantischen Webs zu genügen, haben wir ein international standardisiertes Normvokabular – einen sogenannten Thesaurus – eingeführt.
Ein weiterer zentraler Punkt für die nachhaltige Bereitstellung von Daten, egal auf welchen Kanälen, ist die Regelung und Angabe der Bildrechte. Hierfür hielten wir sowohl für die Kolleg*innen aus den Sammlungen, der Kommunikation und der Bildung eine mehrtägige Schulung ab. Es geht dabei um Rechte am Foto/Film aus den Sammlungen, Veranstaltungen mit Personen, Vermittlungsprogrammen mit Kindern und Jugendlichen. Um hier die Rechtsverhältnisse zu verdeutlichen, werden Fotos/Filme immer mit der entsprechenden Lizenz versehen.
Im Herbst 2020 haben wir die Online-Sammlung gelauncht. Auf der Website machen wir unsere Objekte und Geschichten aus den Sammlungen Kunst, Geschichte, Judaica, Gegenwartskulturen, Familie Frank Zentrum und Archiv online zugänglich.
Die Online-Sammlung hat über die Funktion des klassischen OPACS (Online Public Access Catalogue) hinaus die Form eines Vermittlungs-Hubs, in dem Geschichten, Biographien sowie mediale Ergänzungen einen gleichrangigen Stellenwert neben den Sammlungsobjekten einnehmen. Diese Materialien sind für Forscher*innen und Besucher*innen gleichermaßen informierend und nachnutzbar. Der Hub soll somit die digitale Anlaufstelle des Jüdischen Museums als Kompetenzzentrum Jüdischer Geschichte in Frankfurt und Hessen bilden.
Langfristig sollen über die Website auch Open Educational Ressources zur Verfügung gestellt werden, auf die Pädagog*innen und Dozent*innen zugreifen und nutzen können.
Dieses Jahr erfolgt die Konzeption und Umsetzung eines Mediaguides. 2016 wurde bereits eine native App für die Dauerausstellung des Museums Judengasse realisiert. Diese wird aber überarbeitet und angepasst werden müssen, da der Mediaguide sowohl in den Standorten Museum Judengasse und Rothschild-Palais als auch in den Wechselausstellungen benutzt werden soll. Auch hier soll es wieder Schnittpunkte zur Online-Sammlung und bereits bestehenden Vermittlungsangeboten geben.
Damit unsere digitalen Angebote von möglichst vielen Endgeräten aus genutzt werden können, sind unsere Websites responsiv. Aber Barrierefreiheit geht noch weiter: Sind die Websites und Apps machine-reader-tauglich? Sind Farbkontraste barrierefrei? Sind Abbildungen mit ALT TEXT (Alternative Texte zur Bildbeschreibung) versehen? Neben der klassischen Planung für Design und Navigation sind wir als öffentliche Institution verpflichtet, unsere digitalen Angebote auch technologischen Barrieren anzupassen.
Das Gleiche gilt für die Einhaltung der DSGVO. Unsere digitalen Programme verwenden Cookies, um das Nutzerverhalten kennenzulernen und unsere Anwendungen dahingehend verbessern zu können. Diese uns zur Verfügung gestellten Daten müssen wir sicher verwahren, daher hosten wir unsere Websites auf Datenspeichern in Europa, die den EU-Richtlinien des Datenschutzes unterliegen.
Museum at home ersetzt nicht den physischen Besuch einer Ausstellung oder Veranstaltung – aber es bietet alternative Programme an, die allein zuhause digital oder in Kombination mit physischen Besuchen erlebt werden können.