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Sie kämpften für Meinungsfreiheit und Gleichberechtigung: Seit den 1980er Jahren organisierten sich staatlich unabhängige Frauen- und Lesbengruppen in der DDR – beobachtet und verfolgt vom Staat. Noch immer ist über ihre Akteurinnen und Inhalte zu wenig bekannt.
Als Samirah Kenawi mit Freundinnen aus dem Frauenzentrum Fennpfuhl 1988 begann, Materialien zu Frauengruppen der DDR zu sammeln, war nicht absehbar, welchen wichtigen Beitrag sie für die deutschsprachige Frauenbewegung und ihre Geschichtsschreibung leisten würde. Auch wenn nichtstaatliche Frauen- und Lesbengruppen aus Vorsicht ihre Aktivitäten kaum festhielten, wuchs und wuchs der Bestand.
Bis weit in die 1990er Jahre hinein reiste Kenawi durch Ostdeutschland und überzeugte die Frauen, ihre Unterlagen an das Archiv GrauZone zu übergeben. Der Bestand enthält Dokumente von über 100 informellen Frauengruppen, darunter Protokolle, Fotos, Einladungen, Briefe, Tagebücher, Plakate, Zeitschriften, Unterlagen des Unabhängigen Frauenverbandes sowie Film- und Tonmitschnitte.
Etwa sieben Jahre nach der Gründung der GrauZone veröffentlichte Kenawi die Dokumentation Frauengruppen in der DDR der 80er Jahre (s. ausführlich dazu den Artikel „Die ostdeutsche Frauenbewegung in der GrauZone“ von Filiz Gisa Çakır in dieser Magazinausgabe). Obgleich die Veröffentlichung fast ein Vierteljahrhundert zurückliegt und mittlerweile auch zum Thema geforscht wird, stellt sie weiterhin ein wichtiges Grundlagenwerk zur jüngsten Frauenbewegungsgeschichte der DDR und Ostdeutschlands dar. Wer waren also die Frauen, die sich organisierten, und was ihre Motive?
Die Anfänge der nichtstaatlichen Frauenbewegung in der DDR liegen nach derzeitigem Forschungsstand in den frühen 1980er Jahren. Ab diesem Zeitpunkt sind informelle Zusammenschlüsse von Frauen und Lesben nachweisbar. Informell bedeutet, dass Frauen und Lesben sich unabhängig von staatlichen Strukturen und Organisationen sowie Parteien organisiert haben. Diese Form der staatlich nicht kontrollierten Organisierung war in der DDR nicht vorgesehen bzw. erwünscht. Daher suchte eine Vielzahl der Gruppen die räumliche Anbindung an die evangelische Kirche. Zugleich nutzten sie deren Strukturen für ihre Vernetzung und Kommunikation. Die informellen Frauen-/Lesbengruppen fungierten als wichtige Sozialisationsräume. Hier konnten sie jenseits männlicher Dominanz, staatlichen Zugriffs und im relativen Schutz einer vertrauten Umgebung lernen, eigene Probleme ernst zu nehmen, das Wort zu ergreifen und weibliche Solidarität zu leben.
Samirah Kenawi unterscheidet innerhalb der nichtstaatlichen Frauenbewegung der DDR drei größere Strömungen. Sie lassen sich allerdings nicht voneinander trennen und weisen thematisch wie personell Überschneidungen auf.
Die erste Strömung umfasst die Gruppen der Frauen für den Frieden. Sie waren Teil einer blockübergreifenden Friedensbewegung, als Reaktion auf das Wettrüsten (NATO-Doppelbeschluss, 1979) und den Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan am 25. Dezember 1979. Zugleich hatte die Gründung der Frauenfriedensbewegung in der DDR systemimmanente Ursachen: Ausschlaggebend war das am 25. März 1982 in der Volkskammer verabschiedete Wehrdienstgesetz, das im Verteidigungsfall die Wehrpflicht von Frauen zwischen 18 und 50 Jahren vorsah. Daraufhin fand sich eine Gruppe von Frauen zusammen, die gemeinsam eine Eingabe an den Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker verfasste. In den folgenden Jahren entstanden weitere Frauenfriedensgruppen in der DDR wie in Halle (Saale), Leipzig, Dresden, Magdeburg, Erfurt, Schwerin und Weimar.
Die zweite Strömung betrifft die kirchlichen Frauengruppen und die feministische Theologie. Im Vergleich zu den Frauen für den Frieden gehört sie zu den am wenigsten erforschten Gruppen der nichtstaatlichen Frauenbewegung. Kirchliche Frauengruppen und feministisch-theologische Arbeitskreise gehen zurück auf die traditionelle Frauenarbeit der Kirche. Zum anderen entwickelten sie sich aus der ökumenischen Diskussion über die Stellung der Frauen in der Kirche und Gesellschaft sowie aus privaten Arbeitsgruppen, die sich mit feministischer Theorie und Theologie beschäftigten. Bereits 1981 entstand die AG Feministische Theologie. Sechs Jahre später initiierte die Theologin Angelika Engelmann den Arbeitskreis feministische Theologie, der zur wichtigsten Einrichtung der innerkirchlichen Frauenbewegung der DDR wurde (zu den Frauen für den Frieden s.a. den Beitrag von Almut Ilsen „Jung, weiblich, feindlich-negativ – die ‚Frauen für den Frieden’ in Ost-Berlin“ in dieser Magazinausgabe).
Die dritte Strömung der nichtstaatlichen Frauenbewegung in der DDR bilden Lesben und Lesbengruppen inner- und außerhalb der Arbeitskreise Homosexualität. Ausschlaggebend für die Entstehung einer Homosexuellenbewegung war die Tagung Theologische Aspekte der Homosexualität am 9. Februar 1982 in Ost-Berlin. Daraufhin gründeten sich in vielen Städten sogenannte Arbeitskreise Homosexualität, in denen auch Lesben aktiv waren, aber auch separate Lesbengruppen. Da Homosexualität in der DDR tabuisiert wurde, boten die Lesbengruppen einen wichtigen Schutzraum. Hier konnten Frauen Selbstvertrauen erlernen und sich mit ihrer sexuellen Orientierung vorurteilsfrei auseinandersetzen.
Mitte der 1980er Jahre setzte eine zunehmende Vernetzung von Frauen- und Lesbengruppen in der DDR ein. Die Grundlage für lokale und DDR-weite Netzwerke bildeten Bekanntschaften und Freundinnenschaften. Über diese auf Vertrauen basierenden Verbindungen wurden Namen und Adressen weitergegeben und Kontakte hergestellt.
Eine wichtige Vernetzungsmöglichkeit boten die regelmäßig veranstalteten Frauengruppentreffen. 1984 organsierte die Hallenser Gruppe Frauen für den Frieden das erste Frauentreffen. Von da an fanden diese jährlich in einer anderen Stadt statt: 1985 in Ost-Berlin, 1986 in Leipzig, 1987 in Magdeburg, 1988 in Karl-Marx-Stadt und 1989 in Jena. An diesen Treffen nahmen Frauenfriedensgruppen und Akteurinnen aus anderen informellen Frauenzusammenschlüssen teil. Zugleich bildeten sich lokale Festivitäten heraus. Die Lesben des Kirchlichen Arbeitskreises Homosexualität Dresden veranstalteten seit 1985 jährlich das Dresdner Frauenfest für Lesben. Ebenfalls seit 1985 lud die Gruppe Frauenteestube Weimar zum alljährlichen Thüringer Frauentreffen nach Weimar ein. Zusätzlich fanden in Hirschluch und Wilkau-Haßlau regelmäßig Rüstzeiten für Frauen statt. Ferner beteiligten sich Frauen- und Lesbengruppen an den Berliner Friedenswerkstätten, an den dezentralen Veranstaltungen der Friedensdekade und an Kirchentagen. All diese Zusammenkünfte trugen nicht nur dazu bei, überregionale Kommunikationsräume zu schaffen, neue Kontakte zu knüpfen und bestehende Netze weiter zu verfestigen. Sie boten zugleich die Möglichkeit, neue Frauen für die informelle Gruppenarbeit zu gewinnen. Die auf den Treffen diskutierten Themen reichten von Erziehung über weibliche Berufstätigkeit, stereotype Geschlechterrollen in Schulbüchern, Gewalt gegen Frauen bis hin zu weiblicher Sexualität und Macht. Die Einladungen zu den Treffen wurden über Mundpropaganda, selbstgestaltete Karten und Briefe auf Grundlage eigener Adressbücher DDR-weit verschickt und in informellen Frauen-/Lesbenzeitschriften angekündigt.
Möglichkeiten, auf eigene Aktivitäten aufmerksam zu machen und sich auszutauschen, waren in der von der SED-gesteuerten Öffentlichkeit sehr beschränkt. Vor diesem Hintergrund schufen informelle Frauengruppen gegen Ende der 1980er Jahre eigene Publikationsorgane. Für deren Produktion waren die Frauen auf die Ressourcen der evangelischen Kirche angewiesen. Eine Publikation ohne die staatliche Genehmigungspflicht für Druckerzeugnisse in der DDR war nur mit dem Vermerk „für den innerkirchlichen Dienstgebrauch“ möglich. Zwischen 1987 und 1989 erschienen insgesamt sechs Ausgaben der Zeitschrift Lila Band. Von Beginn an war diese als Textsammlung konzipiert. Sie vereinte verschiedene Textsorten wie Berichte und Gedichte und hatte ein breites inhaltliches Spektrum von Frauensprache bis zu Homosexualität und Frauenbildern in Kirche und Bibel. Ein weiteres wichtiges Medium war die Lesbenzeitschrift frau anders. Initiiert wurde diese von der Lesbengruppe Jena, die zugleich die Redaktion übernahm. Eine dritte wichtige informelle Frauenbewegungszeitschrift bildete der kirchliche Rundbrief Das Netz. Dieser wurde zwischen 1988 und 1993 vom Arbeitskreis feministische Theologie herausgegeben und zeitweise an 150 Interessierte verschickt. Wie das Lila Band und frau anders wurde auch Das Netz auf Wachsmatrizen im DIN-A5-Format erstellt.
Ein Aspekt, der die nichtstaatliche Frauenbewegung der DDR in ihrer Entwicklung wesentlich bestimmte, war die drohende und tatsächliche Überwachung und Verfolgung durch das Ministerium für Staatssicherheit (MfS). Zu den bekanntesten Repressionen gegen informelle Frauen-/Lesbengruppen und einzelne Frauen gehört der am 12. Juni 1985 eröffnete Zentrale Operative Vorgang „Wespen“ gegen die Gruppe Frauen für den Frieden. Ziel war es, alle Frauenfriedensgruppen in der DDR zu „bearbeiten“ und zu „zersetzen“. Die Stasi infiltrierte die Frauen für den Frieden mit Inoffiziellen Mitarbeiterinnen (IM), die Informationen über die dort aktiven Frauen sammeln und durch verdeckte, gezielte Störmaßnahmen die Gruppenarbeit beeinträchtigen sollten. Zu den weiteren Überwachungs- und Einschüchterungsmaßnahmen zählten das Abhören und Durchsuchen von Wohnungen, die Postkontrolle, das Vorladen in die MfS-Dienststellen, das Streuen von Gerüchten über mögliche IMs in der Gruppe und Verhaftungen.
Auch 30 Jahre nach dem Fall der Mauer ist noch immer zu wenig über Frauen bekannt, die sich einzeln oder in Gruppen mit hohem persönlichem Risiko für Gleichberechtigung und Vielfalt innerhalb der DDR einsetzten. Hier eröffnet sich weiterhin ein wichtiges Forschungsfeld: Denn auch für aktuelle Auseinandersetzungen um eine freie und gerechte Gesellschaft lohnt der Blick in die frauenbewegte Geschichte.