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Von Filiz Gisa Çakır
Wenn wir heute über die deutsche Frauenbewegung sprechen, müssen auch all jene Frauengruppen miteinbezogen werden, die in der DDR existierten und unter den Bedingungen der SED-Diktatur für ihre Rechte kämpften. Das Wissen, welches im Archiv GrauZone liegt, ist hierfür unerlässlich. Für eine Betrachtung der unabhängigen Frauenbewegung in der DDR sei auf den Artikel von Jessica Bock „Die nichtstaatliche Frauenbewegung der DDR“ in dieser Magazinausgabe verwiesen.
Die Entstehung des Archivs
Das Archiv GrauZone blickt auf eine wechselvolle Geschichte zurück, welche es zu dem werden ließ, was es heute ist. Es ist vor allem dem Engagement einer Frau, Samirah Kenawi, zu verdanken, dass die wichtigen Zeugnisse der ostdeutschen Frauenbewegung, wie Schriftgut, Fotos, Plakate, Samisdatzeitungen und vieles mehr, zusammengetragen und im Archiv GrauZone gesichert wurden. Auf Initiative Kenawis begann die Gruppe Frauenzentrum Fennpfuhl in Berlin bereits ein Jahr nach ihrer Gründung 1987, die Sammlung Grauzone anzulegen. Die Frauen sammelten Zeugnisse der ostdeutschen Frauenbewegung und begannen so eines der wenigen Archive zur nichtstaatlichen Frauenbewegung der DDR aufzubauen.
Interne Konflikte und die politischen Ereignisse der Umbruchzeit 1989/1990 führten 1990 schließlich zur Auflösung der Gruppe. Doch der Wunsch, die DDR-Frauenbewegung zu dokumentieren und ihre Zeugnisse der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, blieb. Nach der Friedlichen Revolution 1989/90 übergaben immer mehr Frauen, die in Frauengruppen aktiv waren, ihre Materialien dem Archiv. Dadurch konnte auch eine eigene Bibliothek entstehen.
Um die anstehende Arbeit bewerkstelligen zu können, wurde in der gemeinnützigen Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft für Frauen namens „Chance“ das Projekt „Graue Literatur“ initiiert. „Chance“ suchte Beschäftigungsmöglichkeiten für Frauen im Rahmen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und war die erste Einrichtung ihrer Art in Ostdeutschland.
Neben der Sammlung und Archivierung, um die wissenschaftliche und nichtwissenschaftliche Arbeit der Frauen der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, wollte das Projekt „Graue Literatur. Archiv der Frauenbewegung in der DDR“ auch eine Begegnungsstätte sein: für Wissenschaftlerinnen, die sich Frauenthemen widmen, und als Anlaufpunkt für Begegnungen von Frauen aus der ostdeutschen Frauenbewegung.
Nach einem Jahr intensiver Arbeit an den Beständen des Archivs entschlossen sich die drei Projektmitarbeiterinnen Samirah Kenawi, Barbara Pietsch und Helga Uhlenhult, eine Namensänderung vorzunehmen. Barbara Pietsch, Diplom-Dokumentarin und seit 1992 im Archiv „Graue Literatur“ tätig, schrieb zur Vorgehensweise der drei Frauen „Es gab verschiedene Möglichkeiten, die Dokumente formal und inhaltlich aufzubereiten. Wir entschieden uns für die dokumentarische Methode. [...] Nach eingehender Beschäftigung mit der Spezifik Frauenarchiv/-bibliothek erkannten wir, dass sich solche Einrichtungen eigene Ordnungsprinzipien aufgebaut haben. Für unseren spezifischen Bestand gab es keine vergleichbaren Ordnungsprinzipien, so dass wir uns gezwungen sahen, eigene Methoden zu entwickeln.“ (Pietsch, Barbara: Begründung für den Namenwechsel des Archivs „Graue Literatur [1994], unerschlossener Bestand Geschäftsunterlagen GrauZone im Archiv der DDR-Opposition).
Da die Bestände des Archivs wesentlich mehr umfassten, als der Name vermuten ließ, wurde aus dem Archiv „Graue Literatur“ die „GrauZone – Dokumentationsstelle zur nichtstaatlichen Frauenbewegung“. Ab 2000 nannte sich die GrauZone schließlich „GrauZone – Archiv der ostdeutschen Frauenbewegung“.
Das Archiv GrauZone war immer bestrebt, Verbindungen zu anderen Projekten, die sich mit frauenpolitischen Themen befassten, herzustellen. Die Mitarbeiterinnen reisten zu Treffen mit Vertreterinnen von verschiedenen Frauenarchiven und -bibliotheken, lernten deren Arbeitsweise kennen und initiierten Treffen der verschiedenen Einrichtungen in Ostdeutschland. Die konservierten Vernetzungen sollten lebendig bleiben.
Und heute?
Nachdem das Archiv GrauZone die Räume der Robert-Havemann-Gesellschaft bereits seit 1997 genutzt hatte, übergab Samirah Kenawi das gesamte Archiv Grauzone 2003 der Robert-Havemann-Gesellschaft. Die Sammlung des Archivs umfasst heute ca. 28 laufende Meter Schriftgut und enthält Informationen und Geschichten von Frauengruppen und einzelnen Frauen, die so in keinem anderen Archiv zu finden sind.
Der Bestand des Archivs GrauZone lässt sich wie folgt gliedern:
- Frauenbewegung in der DDR: Personenbestände, Gruppenbestände, Persönliche Sammlungen, Kleinere Übernahmen
- Samisdat
- Wissenschaftliche Arbeiten
- Zeitungen-, Zeitschriftensammlung
- Unabhängiger Frauenverband
Des Weiteren enthält er eine umfangreiche Fotosammlung, die circa 4000 Bilder umfasst. Auch Audio- und Videomaterial, Transparente und weitere Objekte liegen vor.
Unter dem Punkt Frauenbewegung der DDR befinden sich die Personenbestände, Gruppenbestände sowie Persönliche Sammlungen. Sie sind jedoch nicht immer klar trennbar, da sich in Personenbeständen und persönlichen Sammlungen auch Überlieferungen der Gruppen befinden. Hier wurde die ursprüngliche Systematik des Archivs GrauZone weitestgehend beibehalten.
Wichtige Akteurinnen wie Karin Dauenheimer, Samirah Kenawi oder Marinka Körzendörfer sind in den Personenbeständen durch ihre Korrespondenzen und Selbstzeugnisse abgebildet. Aber auch die Unterlagen der Gruppen, in der die jeweiligen Frauen aktiv waren, sind enthalten. So umfassen z. B. die Bestände von Christiane Dietrich und Petra Streit Materialien ihrer Aktivitäten in der Teestube Weimar. Die Frauen der Teestube Weimar setzten sich verstärkt mit dem Thema Gewalt gegen Frauen auseinander. Obwohl sie stets befürchten mussten, vom Ministerium für Staatssicherheit überwacht und verfolgt zu werden, hielten sie DDR-weit Vorträge, schrieben Essays und führten eine anonyme Umfrage unter Frauen zum Thema Gewalterfahrung von Frauen in der DDR durch – ein einmaliger Vorgang in der Geschichte von Opposition und Widerstand in der DDR. Teile der Fragebögen sowie die Auswertung dieser Umfrage befinden sich in den Beständen. Die Personenbestände werden ergänzt durch zahlreiche Unterlagen von weiteren Frauen. Diese umfassen u. a. Eingaben, Briefwechsel und handschriftliche Aufzeichnungen und sind unter dem Punkt Persönliche Sammlungen abgelegt. Sie geben Aufschluss über das Alltagsleben in der DDR, die Aktivitäten der Frauenbewegung und zeigen auf, mit welchen Themen sich die Frauen beschäftigten.
In den Persönlichen Sammlungen, welche die Unterlagen von 90 weiteren Frauen enthalten, sind verschiedene Materialien von Gruppen aus der Frauenbewegung in der DDR zu finden. Unter andrem der Frauen für den Frieden Eisenach, des Feministischen Arbeitskreises und der Gruppe Alleinstehender Frauen Dresden. Auch Materialien der verschiedenen Fraueninitiativen, die sich v. a. 1989/1990 bildeten, sind hier archiviert. Genannt seien hier z. B. der Fraueninitiative Magdeburg e. V., des Berliner Autonomen Frauenzentrums und der Frauen für Veränderung Erfurt. Aber auch Selbstzeugnisse, Eingaben und Korrespondenzen werden hier verwahrt.
Neben den Personenbeständen und den Persönlichen Sammlungen existieren zu insgesamt 13 Frauengruppen Unterlagen. Es handelt sich dabei u. a. um den Arbeitskreis Homosexualität Leipzig, Autonome Brennnessel, frau anders, Frauen für den Frieden, Frauenzentrum Fennpfuhl Berlin, Frauenzentrum Weimar, hex libris, Künstlerinnengruppe Erfurt, lila offensive und die Gruppe GrauZone.
Die Überlieferungen der umfangreichen Samisdat- und die Zeitschriftensammlungen des Archivs GrauZone stammen aus allen Teilen Ostdeutschlands und enthalten u. a. „Das Netz“, „lila band“, „frau anders“ sowie „Die Andere Welt“ und „Die Monatliche. Frauen-Abhängige Zeitung für Thüringen“.
Der Bestand des Unabhängigen Frauenverbandes (UFV) bildet den größten Teil der Überlieferung im Archiv GrauZone. Das Material des Unabhängigen Frauenverbandes dokumentiert dessen Arbeit von seiner Gründung im Dezember 1989 bis zu seiner Auflösung 1998. Es enthält neben den Akten aus dem Bundesbüro, Mitschriften von Zusammenkünften, Briefwechsel, Redemanuskripte und Themensammlungen. Zudem finden sich in dem Bestand Unterlagen zur frauenpolitischen Arbeit am Zentralen Runden Tisch und am Frauenpolitischen Runden Tisch der DDR sowie zum Wahlbündnis des UFV mit der Grünen Partei anlässlich der Volkskammerwahl in der DDR im März 1990. Der Teilbestand UFV des Archivs GrauZone wird aktuell im Rahmen eines durch das Digitale Deutsche Frauenarchiv geförderten Projektes überarbeitet. Es werden konservatorische Maßnahmen durchgeführt, historische Schlüsseldokumente digitalisiert und das Schriftgut so aufgenommen, dass es für Archivnutzer und –nutzerinnen problemlos recherchierbar sein wird. In diesen Dokumenten lässt sich nicht nur der Transformationsprozess des UFV selbst, sondern auch der ostdeutschen Frauenbewegung, nachvollziehen.
Nach Abschluss des Projektes wird das Schriftgut des Unabhängigen Frauenverbandes im Archiv GrauZone bis zum Jahresende nahezu komplett überarbeitet und zugänglich sein und uns Perspektiven, Positionen und Diskussionen, die die Frauenbewegung, aber auch die einzelne Frau der DDR und darüber hinaus beschäftigten, aufzeigen.
Die Themen der Frauen von damals sind in vielen Punkten noch immer aktuell. Auf dem langen Weg zu einer wirklichen Gleichberechtigung aller Geschlechter benötigen wir ein vollständiges Bild der Vergangenheit. Dazu gehört es auch, die ostdeutsche Frauenbewegung wahr und ernst zu nehmen und aus ihrer Grauzone zu holen.
Adresse und Kontakt
Robert-Havemann-Gesellschaft e.V.Archiv der DDR-Opposition
Ruschestraße 103, Haus 17
10365 Berlin Filiz Gisa Cakır
Tel.: +49 (0) 30 577 9980 15
Email: fc [at] havemann-gesellschaft [dot] de
Öffnungszeiten
Montag, Donnerstag, Freitag 9 bis 16 Uhr;
Mittwoch 9 bis 20 Uhr
Zur Nutzung des Archivs wird um eine Voranmeldung gebeten.
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- 6 Apr 2020 - 11:09