Was sich hinter dem Begriff der Demokratiepädagogik verbirgt und wie diese konkret umgesetzt werden kann, damit setzen sich die Beiträge der Broschüre „Demokratiepädagogik in Thüringen – Grundlagen. Schulentwicklung. Praxis. Service.“ auseinander. Zwar ist diese bereits im Jahr 2009 erschienen und damit zehn Jahre alt, doch haben die Ideen mehr denn je Aktualität. Bereits in der Einleitung wird dies deutlich, wenn die Autoren Wolfgang Beutel, Thomas Thieme und Ingo Wachtmeister in ihrem Beitrag darlegen, welchem Zweck Demokratiepädagogik im schulischen Rahmen dient:
„ […] Die damit verbundene Einsicht, dass eine demokratiepädagogische Schule Grundanforderungen an das professionelle Handeln von Lehrerinnen und Lehrern sowie eine kritisch konstruktive Auseinandersetzung mit der Demokratie und eine normativ wirksame prodemokratische Positionierung aller schulischer Gruppen benötigt, damit sie nicht nur gesellschaftsfunktionale Institution effektiven Lernens, sondern auch eine demokratische Atmosphäre und eine im besten Sinne öffentliche bürgerschaftlich fundierte Einrichtung werden kann, ist inzwischen sicherlich konsensfähig“ (S.9).
Doch was ist eigentlich unter Demokratiepädagogik zu verstehen? Unter anderem dieser Frage wird im Kapitel Grundlagen nachgegangen. Peter Fauser sieht in der Demokratiepädagogik einen Sammelbegriff, „der die gemeinsame Aufgabe zivilgesellschaftlich ausgerichteter Initiativen, Konzepte, Programme und Aktivitäten in Praxis und Wissenschaft beschreibt, die das Ziel verfolgen, die Erziehung zur Demokratie zu fördern“ (S.14). Für die Entwicklung des Begriffes macht Fauser drei theorie- und konzeptgeschichtliche Hintergründe aus: die Erfindung der Schultheorie, die Fokussierung auf einzelne Schulen als pädagogische Wirkungs- und Handlungseinheit sowie „die fundamentale Erweiterung des Verständnisses von Lernen und Bildung durch die Kompetenztheorie“ (S.15). Fauser zu Folge mangelt es jedoch an der Umsetzung in der Praxis. So sei gerade die Politische Bildung zu stark wissens- und zu wenig kompetenzorientiert, zu stark auf das Fach und zu wenig auf das Fach an sich ausgerichtet, zu wenig an „Verantwortung für die Demokratie“ orientiert (S.20). Wie bereits erwähnt stammt die Broschüre aus dem Jahr 2009, so dass sich sicherlich der ein oder andere Punkt verbessert hat. Die Kritik von Fauser und seine ebenfalls vorgebrachten Verbesserungsvorschläge bedürften daher einer Überprüfung, bleiben in ihrer Grundsätzlichkeit jedoch aktuell.
Wie die konkrete Umsetzung solcher Vorschläge aussehen könnte, zeigt beispielsweise Wolfgang Beutel auf. Er sieht – wie der Titel seines Aufsatzes bereits sagt – in der Schule vor allem „Gelegenheiten für Demokratiepädagogik“ (S.22). Diese legt er in fünf Schritten dar. Dabei bezieht er sich auch auf das Förderprogramm „Demokratisch Handeln“, auf dessen Grundlage die hier vorgestellte Broschüre entstanden ist. Die Ergebnisse und Angebote des Wettbewerbs behandelt Beutel in einem eigenem Beitrag (S.31ff).
Wie das Förderprogramm „Demokratisch Handeln“ in Thüringer Schulen umgesetzt wird, ist Inhalt des Kapitels Praxis. Wolfgang Beutel, Ute Käppel und Thomas Thieme stellen darin 28 Wettbewerbsprojekte vor, die in Thüringer Schulen durchgeführt worden sind. Wie die Autor*innen angeben, solle dabei die Breite der bearbeiten Themenfelder ebenso abgebildet werden wie die jeweiligen Erfahrungen und Handlungsbedingungen (S.100). Unterteilt sind die Projektvorstellungen dabei nach den Projekträume, d.h. Schulen, Geschichte, Zusammenleben, Welt und Umwelt, Kommune und lokales Umfeld.
Das zweite Kapitel der Broschüre, das gleichzeitig auch das umfangreichste ist, beschäftigt sich mit der Schulentwicklung. Hier werden konkrete Projekte der Schulpädagogik vorgestellt und diskutiert. Dabei handelt es sich sowohl um Methoden als auch um Praxisprojekte, teilweise aus der Lehrer*innenfortbildung. So stellen beispielsweise Kerstin Lüder und Ralph Leipold das Lerndorf vor – laut den Autor*innen eine „Methode selbstorganisierten und eigenverantwortlichen Lernens“ (S.72f). Sie beschreiben den Entstehungsprozesse von der ersten Idee bis hin zur Umsetzung des Lerndorfes („Von der Idee zur Methode“, S.74f). Dies liest sich ein wenig wie ein Leitfaden, ein solches Konzept zu erarbeiten. Von der Gestaltung der Idee über die Festlegung der thematischen Schwerpunkte bis hin zur Suche der Referent*innen wird alles ausführlich dargelegt. Äußerst gewinnbringend ist zudem die Beschreibung unterschiedlicher Situationen aus der Umsetzung des Projektes (S.75f), wodurch das theoretische Konzept auch für Nicht-Teilnehmende nachvollziehbar wird. Die abschließende Reflexion des Lerndorfes und seiner Effekte können dazu beitragen, dass ähnliche Projekte effektiver und zielgerichteter arbeiten. Dabei erörtern die Verfasser*innen auch ihr Verständnis von Demokratie: „Demokratie als Lebensform wird dabei so verstanden, dass in allen Bereichen schulischen Handelns ein demokratischer Habitus anzustreben ist, der sich in der Alltagskultur der Schule darstellt“ (S.73). Damit schließen sie sich den Definitionen von Wolfgang Beutel und Peter Fauser an.
Insgesamt ist „Demokratiepädagogik in Thüringen“ eine umfangreiche Darreichung, die viele Anregungen für die praktische Umsetzung enthält. Gleichzeitig bietet sie auch ausführliche theoretische Überlegungen zur Demokratiepädagogik, die sowohl von Einsteiger*innen in die Thematik genutzt werden können als auch von erfahreneren Pädagog*innen, um neue Impulse zu sammeln. Dabei ist es kaum von Belang, dass die Broschüre aus dem Jahr 2009 stammt. Lediglich Beiträge, die Verbesserungen vorschlagen oder Mängel in der Umsetzung finden, sollten hinsichtlich dessen eventuell auf Aktualität überprüft werden.
„Demokratiepädagogik in Thüringen“ ist in der Reihe „Materialien“ des Thüringer Instituts für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien erschienen. Die PDF-Version kann online kostenfrei abgerufen werden.