Ein Projekt ist eine Arbeitsform, in der die Teilnehmer/innen möglichst eigenständig ein Thema bearbeiten – von der Formulierung einer Fragestellung bis zur Präsentation der Ergebnisse. Der Projektgedanke korrespondiert mit dem heute in der Pädagogik und der pädagogischen Psychologie vorherrschenden konstruktivistischen Ansatz. Lernen wird dort nicht als bloße (passive) Aufnahme von Wissen betrachtet, sondern als aktiver, gestaltender Prozess, in dem die Lernenden das zu Lernende auf der Basis von Vorwissen und Vorerfahrungen jeweils individuell „konstruieren“.
Die Merkmale von Projektarbeit werden in der Literatur im Detail unterschiedlich, aber im Kern weitgehend übereinstimmend beschrieben:
- Projekte greifen lebenswelt- und situationsbezogene Aufgaben und Probleme auf.
- Sie orientieren sich dabei an den Interessen und Erfahrungen der Beteiligten.
- Projektaufgaben sollen möglichst gesellschaftliche Relevanz haben; Ziel ist das Eingreifen und die Wirksamkeit in einer Ernstsituation.
- Teilnehmer/innen planen, organisieren und verantworten ihre Projektarbeit eigenständig und kooperativ. Die Projektleitung gibt nach Bedarf Unterstützung.
- Es gibt keinen von außen definierten zeitlichen Rahmen, die Zeitplanung ergibt sich aus den Bedürfnissen des Projekts.
- Die methodischen Verfahren orientieren sich an der Aufgabenstellung. Nach Bedarf können Verfahren aus unterschiedlichen Fächern oder Bezugsdisziplinen herangezogen werden. Fragestellung und Methoden können aber auch im Bereich eines Faches oder einer Bezugsdisziplin liegen.
- Projektarbeit sollte handlungsorientiert sein und nach Möglichkeit viele Sinne einbeziehen.
- Projektarbeit zielt auf die Erstellung eines sinnvollen und nützlichen Produkts, das auch nach außen präsentiert wird.
- Zur Projektarbeit gehört die Reflexion des Arbeits- und Kommunikationsprozesses durch die Projektteilnehmer/innen.
- Der Wert der Projektarbeit liegt nicht nur im Ergebnis, sondern in der Gesamtheit des Arbeitsprozesses und seiner Reflexion.
Die folgenden Schritte bilden gewissermaßen ein Minimalprogramm:
- Initiierung: Thema finden, Untersuchungsfrage formulieren
- Planung: in Gruppen organisieren, Arbeitsaufgaben verteilen, Lernorte, Materialien, Methoden, Zeitplanung, Produkt/Präsentation, Adressat/innen klären
- Durchführung: Materialien recherchieren und beschaffen, methodenorientiert untersuchen, Teilergebnisse festhalten und zusammenführen, Ergebnisse intern zusammenfassen, Arbeitsprozess dokumentieren (Projekttagebücher, Protokolle, Arbeitsberichte)
- Produkterstellung und Ergebnispräsentation: unterschiedliche Produkt- und Präsentationsformate mit verschiedenartiger Reichweite bzw. Adressatenschaft, z. B. Portfolio, Broschüre, Wandzeitung, Plakat, Ausstellung, Artikel für die Schul-Homepage, anderweitige Web-Präsentation, szenische Darstellung, Film, Leserbrief, Zeitungsartikel, Initiative zu Straßennamen oder Denkmälern, Podiumsdiskussion
- Reflexion: das Projekt am Ende abschließend reflektieren; während des Projekts wechselseitig Informationen austauschen, organisatorische Fragen gemeinsam beraten und klären, sich über Gruppenprozesse verständigen
Projekte mit Kindern und Jugendlichen können in der Schule, in Verbindung mit der Schule oder in der außerschulischen Jugendarbeit durchgeführt werden. Die bekannteste und etablierteste Einrichtung ist der „Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten“, der alle zwei Jahre von der Körber-Stiftung ausgerichtet wird.
Zwischen den Zielen, Bedingungen und Notwendigkeiten des üblichen schulischen, lehrgangsförmigen Fachunterrichts und dem Projekt besteht zunächst einmal ein Gegensatz. Der Unterricht denkt vom Fach, seinen Inhalten und Methoden her; er dient der systematischen und methodisch kontrollierten Vermittlung von als gesellschaftlich relevant angesehenen Kenntnissen. Das Projekt definiert sich von einer Aufgabe her, zu deren Bewältigung man sich – der Idee nach eigentlich unabhängig von Fächern – der gerade passenden und hilfreichen Verfahren bedient. Und das Projekt verlangt eine längerfristige und kontinuierliche Beschäftigung mit dieser Aufgabe, die die übliche Organisationsform der Schule eigentlich nicht zulässt.
Aber Geschichtsprojekte und moderner Geschichtsunterricht haben auch eine zentrale Gemeinsamkeit. Beide orientieren sich an der Figur einer historischen Untersuchung. Den Ausgangspunkt bildet eine historische Frage; sie wird anhand geeigneter Materialien mit fachspezifischen Methoden verfolgt; am Ende steht eine Beantwortung oder Erklärung. Peter Adamski konstatiert zu Recht: „Projektarbeit […] ist für das Fach Geschichte kein aufgesetztes modernistisches Konzept, sondern hat eine besondere Affinität zu den Zielen und Methoden des Faches.“ (S. 2) Deshalb sollte man Geschichtsprojekte nicht als grundsätzliche Alternative zum institutionalisierten lehrgangsförmigen Lernen auffassen, sondern als Ergänzung, die sich durchaus auch im Rahmen der Institution Schule realisieren lässt.
Projekte fordern von allen Beteiligten einen erheblichen Zeit- und Arbeitsaufwand. Dieser Aufwand muss sich lohnen. Ziel ist nicht nur der historische Erkenntnisgewinn, sondern auch der Erwerb fachlicher und überfachlicher Kompetenzen. Hinzu kommt die Motivation, die für alle Beteiligten von einem solchen Vorhaben ausgehen kann; sie muss allerdings auch intensiv und dauerhaft genug sein, um über die zahlreichen Stolpersteine, die es geben kann, hinwegzuhelfen.
Üblicherweise wird vor allem der Gewinn allgemeiner Kompetenzen durch Projektarbeit betont: selbstständiges Planen, Entscheiden, Organisieren, Problemlösen. Mindestens genauso wichtig sind freilich die geschichtsspezifischen Kompetenzen. Es geht um das Formulieren von Fragen und Hypothesen, um die Quellenrecherche (wie arbeite ich in einem Archiv?), um den Umgang mit unterschiedlichen Quellengattungen, um Interviews mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen und deren kritische Auswertung; dies alles soll münden in eine eigene, argumentativ plausible und beleggesättigte historische Darstellung und Deutung und deren adäquate Präsentation. In gelungenen Projekten kann also tatsächlich forschendes historisches Lernen stattfinden. Freilich können die Teilnehmenden die notwendigen Kompetenzen nicht erst in der Projektsituation selbst erwerben. Grundlagen müssen vorhanden sein oder benötigte Kompetenzen vorbereitend geübt werden.
Für Geschichtsprojekte besonders geeignet sind lokal- oder regionalgeschichtliche Themen. Hier ist am ehesten der direkte Bezug zur Lebenswelt und zu den Erfahrungsbereichen der Teilnehmenden gegeben; häufig sind einschlägige Themen auch von geschichts- und erinnerungskultureller Aktualität und Relevanz. Praktische Forschungsprobleme sind weniger ausgeprägt als bei anderen Themen: Objekte (Orte, Gebäude, Denkmäler), Personen (Zeitzeugen oder Experten) und Institutionen (Bibliotheken, Archive, Verwaltungen, Betriebe) können leichter aufgesucht werden. Und schließlich besteht eine größere Chance, mit den Ergebnissen eines Projekts lokale Aufmerksamkeit zu gewinnen.
Geeignete und überschaubare Themen in diesem Sinne können die Geschichte eines Denkmals, eines Hauses, einer Straße, einer Schule, einer Kirche oder Synagoge, eines Vereins oder Betriebs sein. Das Projekt kann dann münden in einen Zeitungsbericht, der die Ergebnisse für ein breiteres Publikum aufbereitet; in eine Dokumentation als Basis für eine historische Selbstverständigung der untersuchten Institution; in eine Initiative, die Straße oder das Denkmal mit einer Informationstafel zu versehen, für deren Text im Projekt ein Vorschlag erarbeitet worden ist.
Aufgabe der Projektleitung ist die Begleitung und Beratung der Teilnehmer/innen. Dabei muss sie ihre Angebote klug dosieren: Mal gilt es bei auftretenden Problemen Zurückhaltung zu üben, weil die Teilnehmenden selbst zu einer Lösung finden sollten; mal ist ein Impuls oder Ratschlag angebracht.
Idealerweise sollten die Durchführenden bereits ihr Projektthema selbst finden. In der Realität ist dies sicherlich der Ausnahmefall. Bei der Themenwahl müssen bereits die Umsetzungsmöglichkeiten mitbedacht werden. Deshalb bedarf es der Absprache zwischen Projektleitung und Projektteilnehmenden. Und die Projektleitung sollte auch eigene Vorschläge in der Hinterhand haben, die sie zur Wahl stellen und für die sie die Teilnehmenden motivieren kann.
Ein wichtiger Punkt für vorherige Klärung und Beratung durch die Projektleitung ist die Frage, ob sich das angedachte Projekt tatsächlich durchführen lässt. Ist eine ausreichende Materialbasis mit vertretbarem Arbeitsaufwand zu beschaffen und zu bearbeiten? Oder ist umgekehrt das Material viel zu umfangreich und nicht zu bewältigen? Welche Kontakte und Besuche bei Institutionen, Expertinnen und Experten oder Zeitzeuginnen und Zeitzeugen sind notwendig? Lassen sie sich tatsächlich realisieren? Auch wenn zu einem Projekt eigentlich gehört, Irrwege und Fehler in Kauf zu nehmen und daraus zu lernen, muss die Gefahr des völligen Scheiterns vermieden werden. Sinnvoll kann es auch sein, dass die Projektleitung überschaubare Materialien bereitstellt, mit deren Hilfe die Teilnehmenden überhaupt erst einmal ins Projekt starten können.
Den laufenden Arbeitsprozess gilt es, soweit das möglich ist, zu beobachten. Unterstützung kann bei inhaltlichen, forschungsmethodischen, aber auch kommunikativen Problemen gefragt sein. Reflexion und interne Evaluation des Projekts sollte vornehmlich in Eigenregie der Teilnehmer/innen stattfinden; aber auch hier können Hilfestellungen und Anregungen notwendig sein.
Ein pragmatisches Resümee: Geschichtsprojekte bieten viele Lern- und Erfahrungschancen, die über den eigentlichen Projektzeitraum hinaus weiterwirken können. Die völlige Selbstständigkeit, wie sie dem Projektgedanken prinzipiell zugrunde liegt, wird sich allerdings nur in den seltensten Fällen realisieren lassen. Die Maxime sollte lauten: so viel Selbstständigkeit wie möglich, so viel Unterstützung wie nötig.
Adamski, Peter, Historisches Lernen in Projekten (Basisartikel), in: Geschichte lernen H. 110 (2006), S. 2–9.
Dieser Beitrag ist eine Kurzfassung des folgenden Aufsatzes:
Sauer, Michael, Projekte und Projektarbeit in Geschichte, in: Sauer, Michael (Hrsg.), Spurensucher. Ein Praxisbuch für historische Projektarbeit, Hamburg 2014, S. 9–30.