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Mit der Entscheidung, Schülerinnen und Schüler beim Geschichtswettbewerb zu unterstützen, beginnt ein kleines, aufregendes Abenteuer. Während der normale Schulunterricht durch Vorgaben des Lehrplans und Prüfungstermine abgesteckt ist, folgt das entdeckende und forschende Lernen einer ganz eigenen Logik. Entscheidungsträger des Lernprozesses sind die Lernenden und dies in mehrfacher Hinsicht. Sie entscheiden, ob sie überhaupt am Wettbewerb teilnehmen, über das konkrete Thema ihrer Forschungsvorhaben, über Schwerpunkte ihrer Recherche und die Art der Präsentation – und das alles nach einem selbst gewählten Tempo und damit in einer selbst bestimmten Lernzeit.
Diese Lernautonomie stellt natürlich ein Idealbild dar. Die Selbstständigkeit des Lernens muss selber erst erlernt werden. So ist vielleicht die größte Herausforderung für Tutorinnen und Tutoren, die Waage zwischen möglicher Selbstbestimmung und notwendiger Hilfestellung auszutarieren und das Augenmaß für Lenkung und Laufenlassen zu finden.
Gleichzeitig liegt hierin ein besonderer Reiz: Wenige Situationen spiegeln Lernerfolg so sichtbar und direkt, wie die Höhen und Tiefen der Projektarbeit. Das halbe Jahr des Geschichtswettbewerbs ist lohnend, aber auch anstrengend und verlangt zweifellos zusätzliches Engagement. Wichtig ist es also, die Kräfte und Ressourcen gut aufzuteilen sowie personelle und strukturelle Hilfen zu nutzen.
Den Geschichtswettbewerb gibt es seit 40 Jahren. Neue Tutorinnen und Tutoren können also auf einen breit gefächerten Erfahrungsschatz bei der Betreuung von historischen Projektarbeiten zurückgreifen. Die Körber-Stiftung bietet einen zentralen Workshop in Hamburg an, dazu kommen zahlreiche Auftaktveranstaltungen und Fortbildungen von Partnern und Bildungseinrichtungen in allen Bundesländern. Sie bieten Anregungen für das aktuelle Wettbewerbsthema, methodische Schulungen, Erfahrungsberichte und praktische Tipps aus vorangegangenen Wettbewerbsrunden.
Für die Arbeit an der Schule ist es natürlich hilfreich, nicht als Einzelkämpfer für den Wettbewerb oder die historische Projektarbeit zu stehen, sondern im Team zu arbeiten. Dies ist nicht immer und vor allem nicht immer sofort möglich. Oft bedarf es erster sichtbarer Erfolge, um Rückhalt im Kollegium und in der Schulleitung zu finden. Gerade bei letzterer gilt es jedoch, für ganz pragmatische Unterstützung der Wettbewerbsteilnahme zu werben, beispielsweise die Freistellung von Schülern und Tutoren für Workshops oder Archivbesuche.
Entlastungsstunden für die Wettbewerbsbetreuung, die Unterstützung durch mehrere Kolleginnen und Kollegen oder die fächerübergreifende Betreuung eines Projekts sind dann fast schon luxuriöse Bedingungen für eine Wettbewerbsteilnahme. Solche Möglichkeiten, etwa ausgehend vom Schulprofil und den Bildungsplänen, "abzuklopfen" lohnen jedoch allemal.
Personelle Unterstützung lässt sich auch von außen einbinden. Viele Schulen haben bereits positive Erfahrungen mit Studierenden gemacht, die eine Tutorentätigkeit etwa als Praktikum oder Seminararbeit anrechnen lassen können. Und da sich die historische Projektarbeit überwiegend auf Recherchen jenseits des Klassenzimmers stützt, bietet sich ein frühzeitiger Kontakt zu außerschulischen Lernorten an, mit denen sich mit der Zeit ein kleines Unterstützungsnetzwerk aufbauen lässt. Das ist oft einfacher als gedacht. Für viele Einrichtungen sind Schülerinnen und Schüler eine interessante Zielgruppe, für die es eigene pädagogische Ansprechpartner/innen gibt. Dies gilt nicht nur für Museen und Gedenkstätten. Der Geschichtswettbewerb und seine Erfolge hängen und hingen immer stark mit der Nutzung von Archiven zusammen. Einige Archive verfügen über eigene archivpädagogische Angebote oder zumindest einen Ansprechpartner bzw. eine Ansprechpartnerin für Schulen. Sie sind eine ideale Anlaufstation für die erste Orientierung im weiten Feld überlieferter Quellen und helfen bei der konkreten Recherche nach Archivalien.
Noch vor der Wettbewerbsbetreuung steht die Gewinnung von teilnehmenden Schülerinnen und Schülern – und vor dieser eine grundsätzliche Entscheidung: Kann und soll die Teilnahme im Rahmen des Regelunterrichts oder außerhalb und damit als zusätzliches Engagement erfolgen? Grundsätzlich setzt das entdeckend-forschende Lernen das Prinzip der Freiwilligkeit und Eigenmotivation voraus, was eine Verbindung mit dem obligatorischen Fachunterricht problematisch erscheinen lässt. Auf der anderen Seite ist der Zeitdruck für Lehrende und Lernende gestiegen und Profilfächer, Differenzierungs- und Projektunterricht, Fach- und Präsentationsarbeiten bieten eine Vielzahl an Möglichkeiten, im Stundenplan Freiräume für den Geschichtswettbewerb zu finden. Dies erleichtert die Zeitplanung und erhöht die Verbindlichkeit. Tutorinnen und Tutoren müssen sich jedoch bewusst sein, dass sie in diesen Fällen vor dem Spagat stehen, einerseits unterstützender Lernbegleiter bzw. unterstützende Lernbegleiterin und andererseits benotende Fachkraft zu sein.
Eine weitere organisatorische Entscheidung bezieht sich auf die Form der Betreuung und damit auf die Strukturierung der Lernzeit. Bei einer Einbindung in der Regelunterricht ist dies bereits gesetzt, andernfalls bietet sich die Möglichkeit einer individuellen Betreuung nach flexibler Absprache zwischen Tutor/in und Teilnehmer/in oder aber die Einrichtung einer regelmäßigen Geschichts-AG, zu der sich nach Möglichkeit alle Teilnehmenden und Betreuenden treffen.
Für die Teilnehmenden stellt sich die Frage, ob sie ihre Beiträge in Einzel-, Partner- oder Gruppenarbeit verfassen wollen. Sofern nicht die Teilnahme im Klassen- oder Kursverband bereits gesetzt ist, sollten die Schüler hierüber selbst entscheiden. Arbeitsteilung kann entlasten und bietet die Möglichkeit, jeweils ganz unterschiedliche Fähigkeiten ins Spiel zu bringen. Sie verlangt aber auch ein hohes Maß an Absprachen und Verlässlichkeit – ein Punkt, auf den Tutorinnen und Tutoren bei der Betreuung von Gruppen besonders achten müssen.
Der Geschichtswettbewerb beginnt mit der Bekanntgabe des Themas zum 1. September. Tutorinnen und Tutoren bleibt ausreichend Zeit, sich zunächst einmal selbst auf das Thema einzustellen und erste Ideen und Anregungen zu sammeln, um interessierte Schülerinnen und Schüler anzusprechen. Dies kann über eine zentrale Informationsveranstaltung in der Schule, eine Stellwand oder Kurzvorstellungen in den Geschichtsklassen und –kursen erfolgen. Bei diesen Gelegenheiten sollte zum einen auf die speziellen Anforderungen des entdeckend-forschenden Lernens hingewiesen werden, damit die Schüler wissen, worauf sie sich einlassen. Zum anderen können erste Themenanregungen zu dem ausgeschriebenen Rahmenthema vorgestellt werden. Das Wettbewerbsmagazin „spurensuchen“ und die Homepage des Geschichtswettbewerbs bieten hierfür Inspiration. Falls gute Kontakte zu einem Museum oder Archiv bestehen, lassen sich Themenideen bereits zu diesem Zeitpunkt mit konkreten Fallbeispielen vor Ort illustrieren. Während mit derartigen Informationsangeboten eine breite Streuung in der Schülerschaft erreicht werden kann, sollte dies die direkte Ansprache von geeigneten Schülerinnen und Schülern nicht ersetzen. Oftmals sind es gerade die persönlichen Kontakte, die zurückhaltenden Schülern und Schülerinnen den letzten Anstoß für eine Teilnahme geben.
Die ersten Wochen der Projektarbeit – sei es in der gemeinsamen AG-Sitzung, in der Einzelbetreuung oder im Klassen- bzw. Kursverband – dienen zunächst einmal der Themenfindung und Frageformulierung. Es ist wichtig, sich hierfür ausreichend Zeit zu nehmen, denn die Themenwahl setzt wichtige Impulse für das Gelingen – oder eben auch Scheitern – eines Projekts. Ausgangspunkt für die Wahl sollten Neugier und Ideen der Teilnehmenden sein, die sich hierfür auch Anregungen von Eltern, Verwandten und Freunden holen können. Nehmen mehrere Schülerinnen und Schüler am Wettbewerb teil, empfiehlt sich ein gemeinsames Brainstorming, selbst wenn keine gemeinsame Gruppenarbeit geplant ist.
Dadurch können die Teilnehmenden die verschiedenen Aspekte des Themas entfalten und auf ihre Lebenswirklichkeit oder die aktuelle, mitunter auch persönliche Relevanz abklopfen. Immerhin muss ihr Interesse an dem Projekt mehrere Monate und sicher auch die eine oder andere Durststrecke überstehen.
Die Hauptaufgabe einer Tutorin oder eines Tutors ist es in dieser Phase, darauf zu achten, dass die Projektideen inhaltlich zu dem ausgeschriebenen Wettbewerbsthema passen, einen historischen regionalen oder familiären Bezug aufweisen und so gefasst sind, dass sie sich innerhalb von sechs Monaten ertragreich bearbeiten lassen. Die letzte Entscheidung für oder gegen ein Thema sollte immer bei den Schülern liegen. Allerdings sollten sie neben ihren Interessen auch eine erste Recherche unternehmen, ob für die Bearbeitung auch genügend Material - Archivquellen, Zeitzeugen/-zeuginnen und Literatur - zur Verfügung steht. Falls hier Schwierigkeiten absehbar sind, sollten Lernende und Tutor/innen gemeinsam überlegen, wie sich das gewünschte Thema in eine besser zu bearbeitende Richtung "drehen" lässt.
Der Schulunterricht bietet bekanntlich wenig Anlässe, sich über einen längeren Zeitraum selbstständig intensiv mit einer Thematik zu befassen. Unterstützung bei der Planung und Selbstorganisation ist daher ebenfalls eine zentrale Betreuungsaufgabe. So sollten alle Beteiligten überlegen, welche schulischen und privaten Termine anstehen (Klassenarbeiten, Klassenfahrten, Ferien etc.) und welche Zeitfenster tatsächlich für die Projektarbeit zur Verfügung stehen. Hieraus kann ein Projektkalender entwickelt werden, in dem sich die einzelnen Arbeitsphasen grob einplanen lassen. Diesen Kalender führen die Lernenden dann selbstständig weiter und passen ihn an den individuellen Projektstand an. Zusätzlich sollten sie ein Forschertagebuch zum Sammeln von Ideen, Kontakten und Hinweisen anlegen, das – fortlaufend geführt – zugleich die Grundlage für den Arbeitsbericht darstellen kann.
In den einzelnen Projektphasen stehen konkrete methodische und inhaltliche Hilfestellungen an. Für die Tutorinnen und Tutoren ergibt sich dabei die Aufgabe, den Lernenden genügend Hintergrund- und Methodenwissen zu vermitteln, um selbständig weiterforschen zu können. Bewährt hat es sich hier, einzelne Methoden nicht „trocken“ zu unterrichten, sondern dann, wenn sie gebraucht werden, am konkreten Beispiel einzuüben, z. B. anlässlich einer Zeitungsrecherche, der Vorbereitung eines Interviews, der Auswertung eines Fotoalbums. Hilfestellung bieten hierbei die auf der Homepage der Körber-Stiftung angebotenen Arbeitsblätter, die in der Summe einen kleinen „Werkzeugkoffer“ ergeben.
In inhaltlicher Hinsicht sollten die betreuenden Lehrkräfte auf dem Laufenden sein, die Entwicklung des Forschungsprojektes und die nächsten Arbeitsschritte nachvollziehen. Eine – zumindest gedankliche – Einarbeitung in das Wettbewerbsthema und die Lektüre einzelner Kapitel wird also nötig sein, um Anregungen und Impulse geben und bei Bedarf darüber hinaus auch auf weiterführende Sachaspekte hinweisen zu können. Zu den Aufgaben eines Tutors gehört es dagegen sicherlich nicht, die gesamte Arbeit und ihre Ergebnisse zu antizipieren und damit den Forschungsgang der Teilnehmenden in eine vorgegebene Richtung zu zwingen. „Ein guter Tutor sollte“, wie es ein Teilnehmer aus der Oberstufe zusammenfasste, „ansprechbar sein, gleichzeitig […] eine gewisse Distanz wahren, da der Schüler sich ja die Antwort selber erarbeiten soll, die er dem Tutor vielleicht sogar voll Stolz präsentieren kann.“
Ein derartig arrangierter Entdeckungs- und Forschungsprozess ist recht anspruchsvoll – darüber sollten keine Illusionen bestehen. Betreuende Lehrkräfte können und sollen nicht alle Probleme lösen. Vielmehr sollten sie die Jugendlichen ermutigen und zeigen, dass Hindernisse, Umwege, Sackgassen, Höhen und Tiefen Teil der Projektarbeit sind und beraten, wie sich Rückschläge produktiv wenden oder umschiffen lassen. Wenn eine Spur ganz ins Leere führt, eine Quelle gar nicht auffindbar ist, ist dies immer noch kein Grund, die Arbeit „sausen zu lassen“. Im Arbeitsbericht, der zu jedem Wettbewerbsprojekt gehört, sind gerade die Rückschläge und Schwierigkeiten in der Arbeitsphase von besonderem Interesse für die Beurteilung.
Sieht eine Teilnehmerin bzw. ein Teilnehmer keine Chance, das Projekt wie geplant abzuschließen, muss das im Zweifelsfall respektiert werden und nicht als Scheitern – weder des Tutors noch des Schülers – gewertet werden. Allerdings sollten Tutorinnen und Tutoren dazu motivieren, die bisherigen Ergebnisse in Form eines Berichts zusammenzufassen. Damit hätte das Projekt zumindest einen Abschluss statt eines bloßen Abbruchs erfahren.
Mit dem erfolgreichen Ende der Projektphase stellt sich auch bei Tutorinnen und Tutoren zweifellos das Gefühl ein, etwas geschafft zu haben. Zugleich drängt sich die Frage auf, ob der Aufwand an Zeit und Arbeit in einem angemessenen Verhältnis zu den Ergebnissen steht. Da viele Tutorinnen und Tutoren „Wiederholungstäter“ sind, scheint die Antwort eindeutig. Denn in der Tat bietet die historische Projektarbeit wie kaum eine andere Lernform einen breiten Ertrag. Gut erkennbar ist der Kompetenzzuwachs auf den verschiedenen Ebenen, angefangen vom historischen Fragen über das Recherchieren und die historischen Erkenntnismethoden bis hin zum Urteilen, Bewerten, Reflektieren und Präsentieren. Ebenso ist zu beobachten, wie und in welchem Maße einzelne Schüler und Schülerinnen bisher unentdeckte Stärken und Potenziale entfalten und so weit über sich hinauswachsen. Diese gewachsene Eigenständigkeit des Arbeitens und Forschens kann wiederum in anderen Lernkontexten weiterhelfen. Für die betreuenden Lehrkräfte ist die Begleitung des Lernfortschritts – ob im Großen oder im Kleinen – ohne Zweifel eine besondere Erfahrung. Und die zu beobachtende Lernfreude ist oftmals geradezu ansteckend.