Gisela Elsner hat zahlreiche Romane, Essays und sogar ein Opernlibretto verfasst. Nichtsdestotrotz ist ihr Werk im aktuellen Literaturbetrieb kaum sichtbar und auch eine eingehende Forschung zu ihr steht noch aus. Einen wichtigen Beitrag zu einer anderen Entwicklung stellt Christine Künzels Sammelband „Die letzte Kommunistin“ dar. Hier melden sich Literatur- wie Politikwissenschaftler/innen zu Wort, die ihr Schaffen stets auch an die gesellschaftliche Situation der jeweiligen Zeit und die Rezeptionsgeschichte rückbinden.
Bei einer Lesung in der DDR spricht Elsner darüber, dass einige Kolleg/innen versuchten, sie von ihrer positiven Haltung zur DDR abzubringen. Sie entgegnete: „Ich lasse mir aber die DDR nicht miesmachen.“ Chris Hirte berichtet in seinem Artikel über das Verhältnis der Autorin zur DDR. Dieses war geprägt von der Hoffnung, dass der realsozialistische Staat sich tatsächlich als die bessere Alternative zur Bundesrepublik offenbaren würde. In der letzteren wurden ihre Werke ignoriert oder geächtet, ihre fundamentale Kritik an den typisch deutschen Zuständen traf die Bundesrepublik zu sehr ins Mark. Die Mitgliedschaft Elsners in der Deutschen Kommunistischen Partei machte dieses Verhältnis nicht einfacher.
Teile ihres Werks wurden zunächst ausschließlich in Russland und Bulgarien verlegt, in Deutschland weigerte man sich. Doch auch in der Deutschen Demokratischen Republik wurde die Autorin nicht mit offenen Armen empfangen. Hirte weist in seinem Artikel darauf hin, dass dies zahlreiche Gründe gehabt haben mag, etwa der satirische Stil Elsners, der eine deutsche kleinbürgerliche Realität ihr selbst vorführte – und damit nicht nur als Stilelement zu gefährlich für den zensur-orientierten Literaturbetrieb der DDR war, sondern auch gefährlich hätte werden können für die DDR-eigene Kleinbürgerlichkeit. Nichtsdestotrotz konnte Elsner hier teils Erfolge erzielen, die sie mehr befriedigten, als jene in der Bundesrepublik. 1990 zog sie schließlich in den Osten, bekam eine Wohnung zur Untermiete in Berlin angeboten. Dort angekommen vermerkte sie schnell, dass sie es nicht mehr aushält – der kleinbürgerliche Muff war ihr ein Graus. Ihre Traumvorstellung war rasch zerstört, eine tiefgreifende Erfahrung für Elsner, die vier Jahre später den Freitod wählte.
„Die letzte Kommunistin“ wirft insgesamt einen differenzierten Blick auf Gisela Elsner. Sowohl biographische Aspekte als auch die Wirkung ihres extravaganten Auftretens werden analysiert. Einen Schwerpunkt nimmt der literaturwissenschaftliche Teil ein, in dem einige ihrer Werke vorgestellt und untersucht werden. Darüber hinaus finden sich politikwissenschaftliche Darstellungen in dem Sammelband, welche Auswirkungen ihres Schaffens und den persönlichen politischen Hintergrund Elsners nachzeichnen.
Christine Künzel und Elfriede Jelinek widmen sich vor allen Dingen dem Auftreten und der Persönlichkeit der Schriftstellerin. Künzel, die als Herausgeberin des Sammelbands fungiert, konstatiert den fehlenden Forschungsbestand und betont die Wichtigkeit des vorliegenden Buches. Elsners Werk ist vielfach in Vergessenheit geraten, einige wenige aktuelle Versuche der Veröffentlichung weisen aber womöglich in eine andere Richtung. Jelinek beschreibt in ihrem eigenen Stil, wie sie mit zusehen musste, wie ihre Freundin am Literaturbetrieb sowie an den gesellschaftlichen Verhältnissen erstickte. Elsner wurde geächtet, so Jelinek, weil sie sich wagte, die Normalität als etwas Monströses darzustellen. Und zwar nicht in einer Übertreibung, sondern in der erdrückenden Form, wie uns diese Normalität alltäglich begegnet. Die Kritik an ihr richtet sich dabei an jene Punkte, die eigentlich nur ihre Qualität als Autorin unterstreichen, nämlich die Fähigkeit, das Normale als solches vorzuführen. Einen Grund für die breite Missachtung ihres Werkes sieht Jelinek in dem Umstand, dass Elsner eine Frau ist. Der Literaturbetrieb ist männerdominiert, Frauen haben sich an bestimmte geschlechtsspezifische Konventionen zu halten – und diese hat Elsner vielfach übergangen. Werner Preuß betont in seinem Artikel außerdem, dass die breite Ablehnung der Autorin mitunter daher rührte, dass ihrem Blick auch nicht eine sich selbst als radikal verstehende Gesellschaftskritik entging – die in ihren Büchern ebenso wenig Identifikationspotential hat, wie Alt-Nazis auf einer Jagdtour.
Evelyne Polt-Heinzl bietet eine Analyse der „Riesenzwerge“ und Bernd Jahn zeigt semantische Schwerpunkte in „Fliegeralarm“. Insbesondere die Bedeutungen von Essen sowie der Aktualität einer Diskussion um Fliegerbomben und Opferdarstellungen stellt vor. Jahn analysiert außerdem die gesellschaftliche Ablehnung auch dieses Romans und führt ihn darauf zurück, dass auch er keine Identifikationsmöglichkeiten bietet und außerdem Kinder grundlos böse sein lässt: „Wer liebt schon einen Roman, der alles darauf anlegt, vom Leser gehaßt zu werden.“ Elsner legt den Finger auf Wunden deutscher Geschichte und vor allen Dingen des Geschichtsrevisionismus, der sowohl offensichtliches Ignorieren als auch die für Elsner oft nur scheinbare Gegnerschaft meint. Christine Künzel betont in ihrer Analyse zu „Heilig Blut“ entsprechend, dass Katholizismus und Nationalsozialismus für Elsner insgesamt zwei prägende Elemente der deutschen Gesellschaft sind und unmittelbar in Zusammenhang miteinander stehen. Den literaturwissenschaftlichen Teil des Sammelbandes schließt Carsten Mindt ab, der die „Riesenzwerge“ in den Mittelpunkt seiner Analyse stellt. Mindt geht auf Modi der Narration ein, die in dem angesprochenen Roman vor allen Dingen repetitive Elemente sind, die durch ihre spezifische Erscheinungsform bekannte Symbolisierungen aufbrechen. Die Form der Erzählung wird dadurch nicht bloß strukturgebendes Element, sondern selbst Bedeutungsträgerin.
Tjark Kunstreich schließt mit einer politikwissenschaftlich geprägten Analyse ab. Er verweist auf das spezifische Politikverständnis von Elsner, insbesondere ihr Verständnis von Kommunismus. Wichtige Informationen zu ihrem Verhältnis zur DKP und der DDR geben einen vertieften Einblick in Elsners Schaffen.
Der vorliegende Sammelband eignet sich in erster Linie zur Information von Lehrkräften, die Gisela Elsner darauf aufbauend in ihren Unterricht integrieren möchten. Der kurze Text von Elfriede Jelinek bietet sich allerdings auch als Unterrichtsmaterial an, da er in Prosaform verfasst und entsprechend verständlich ab Sekundarstufe II ist.
„Die letzte Kommunistin“ ist für 14,00 € über die Webseite des Magazins konkret erhältlich.
Künzel, Christine: Die letzte Kommunistin. Texte zu Gisela Elsner. KKV konkret, Hamburg 2009. ISBN 978393078656