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Dokumentation des deutschen Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion zwischen 1941-1945 verknüpft mit dezenten Emotionalisierungsstrategien – in diesem Spannungsfeld bewegen sich die Planungen für die neue Dauerausstellung des Deutsch-Russischen Museums Berlin-Karlshorst.
Um sich dem historischen Ort, an dem die Ausstellung zu sehen sein wird, zu nähern, ist es wichtig, sich die wichtigsten Etappen der Geschichte des Museums zu vergegenwärtigen: Am 8. Mai 1945 wurde im heutigen Museumsgebäude die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht unterzeichnet. Der Zweite Weltkrieg war damit - zumindest in Europa - zu Ende. Bei einem derartigen welthistorischen Ereignis lag es nahe, diesen Ort zu musealisieren. Dies geschah zuerst in den 1960er Jahren. Das als Kasino der Festungspionierschule I der Wehrmacht zwischen 1936 und 1938 erbaute Gebäude wurde 1967 von den sowjetischen Streitkräften in der DDR als „Museum der bedingungslosen Kapitulation des faschistischen Deutschlands im Großen Vaterländischen Krieg 1941-45“ eingerichtet. Die Ausstellung von 1967 feierte den Sieg der sowjetischen Armee über das nationalsozialistische Deutschland, zeigte den historischen Kapitulationssaal und stellte den heldenhaften Kampf der Roten Armee in den Mittelpunkt. Aus dieser Zeit stammen auch die wirkmächtigen Objekte symbolgeladener Repräsentationsarchitektur im Museum sowie die Geschütze und Panzer im Museumsgarten.
Nach dem Abzug der russischen Truppen aus dem wiedervereinigten Deutschland 1994 entstand das Deutsch-Russische Museum Berlin-Karlshorst, welches den inhaltlichen Schwerpunkt auf den deutschen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion von 1941 bis 1945 legte. Ein weiteres Thema waren die deutsch-sowjetischen Beziehungen der Nachkriegszeit bis zur Widervereinigung. Die 1995 eröffnete Dauerausstellung setzt auch den Rahmen für die aktuelle Arbeit. Auf der Ebene der Ausstellungsgestaltung hatte sich das Ausstellungsteam in den 1990er Jahren für ein reduziertes, nüchternes Ausstellungsdesign entschieden. Die Ausstellung sollte auf keinen Fall inszenatorisch emotionalisieren und vertraute ganz auf die Wirkung ihrer Objekte und Dokumente.
Heute, 17 Jahre später, ist das Publikum des Museums jedoch ein anderes als in den 1990er Jahren. Die wenigsten Besucher haben noch biografische Bezüge zum Zweiten Weltkrieg. Weitaus mehr Touristen kommen ins Museum – vor allem, um den historischen Ort des 8. Mai 1945 zu besuchen. Das Museum steht heute vor der Herausforderung, eine jüngere und internationalere Besucherschaft zu erreichen. Zudem ist Deutschland ein Einwanderungsland und vor allem jüngere Besucherinnen und Besucher kommen mit den unterschiedlichsten Familiengeschichten und aus den unterschiedlichsten Erinnerungskulturen ins Museum, ohne direkte familiäre Bezugspunkte zum Krieg gegen die Sowjetunion, dafür aber zum Teil mit Erfahrungen aus anderen Kriegen und Konflikten.
Dies bedeutet für uns als Ausstellungsteam vor allem eines: Wir müssen voraussetzungsloser erzählen, um möglichst viele Besucherinnen und Besucher teilhaben zu lassen. Dies bezieht sich sowohl auf den konzeptionellen Zuschnitt der einzelnen Ausstellungsthemen als auch auf die Textformate der Ausstellung. Zwei Beispiele seien hier vorgestellt:
Der Idee, möglichst voraussetzungslose Zugänge zu den Themen der Ausstellung zu schaffen, folgt der Ansatz der Leitexponate. Jedes Ausstellungsthema wird mit einem Leitexponat eingeführt, welches in zurückhaltender Form inszeniert, in Szene gesetzt wird. Ziel ist es, einen ersten Zugang zum Thema zu schaffen und auch Besucher mit wenig Vorbildung zu erreichen. Komplexe, vielschichtige Zusammenhänge können so akzentuiert und überblicksartig zusammengefasst werden, um anschließend Details zu erläutern.
Nicht zuletzt geht es dabei auch um eine Form der Ergebnissicherung: Wenn sich der Besucher nach 10 Ausstellungseinheiten und 3 Etagen fragt, was er oder sie jetzt eigentlich alles gesehen hat, sollten, im besten Fall, 10 starke visuelle Eindrücke zurückbleiben, die mit den einzelnen Themen verknüpft sind.
Ein Zugang, der in der Vorgängerausstellung fehlte und dessen Abwesenheit von den Besuchern zunehmend moniert wurde, waren individuelle Geschichten, war ein biografischer Ansatz. Die Sonderausstellung „Juni 1941 – Der tiefe Schnitt“ von 2001 kam dieser Besuchererwartung nach. Die Ausstellung stellt 24 Menschen vor, für die der 22. Juni 1941, der Tag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion, auf sehr unterschiedliche Weise zur biografischen Zäsur wurde. Exemplarisch wurde so die Bandbreite von Lebensgeschichten und Lebensläufen auf sowjetischer wie auch auf deutscher Seite gezeigt. Menschen wurden zu Tätern, Opfern und Zuschauern. In der neuen Dauerausstellung knüpfen wir mit den so genannten „Biografischen Schlaglichtern“ daran an. Dieses narrative mediale Format wird sich wie ein roter Faden durch die Ausstellung ziehen. Dies ist sicher keine neue Idee, aber sie stellt eine wichtige Ergänzung in der eher dokumentarisch gehaltenen neuen Ausstellung dar. Die Schlaglichter portraitieren einzelne Individuen, deren Lebensgeschichte mit den in der Ausstellung geschilderten Ereignissen verknüpft ist. Durch ihren individuellen Fokus zeigen sie, dass Geschichte multiperspektivisch ist und verdeutlichen, dass es individuell unterschiedliche Erfahrungen und Umgangsweisen gibt (Stichwort „Handlungsspielräume“). Damit erweitern sie das Feld der Handlungsoptionen historischer Akteure, jenseits der vereindeutigenden Kategorien von Tätern und Opfern.
Unser Ziel ist es, die Besucherinnen und Besucher, ob jung oder alt, zu befähigen, sich zu den historischen Zusammenhängen zu positionieren. Daher setzen wir in unseren Vermittlungsansätzen auch klar und klassisch auf Dokumentation anstatt auf Überwältigung und Emotionalität. Die Ausstellung bietet dennoch – wie in den beiden vorgestellten Ansätzen – Zugänge an, die von einer rein auf ihre Quellen setzenden Erzählung abweichen.
Ein weiteres Ziel der Überarbeitung ist, die Zeitschichten des Museumsbaus sichtbar machen, um das Gebäude als Ort widersprüchlicher, spannender, aufeinander folgender Geschichten vorzustellen – nicht zuletzt, um verständlich zu machen, warum die wirkmächtige sowjetische Militärtechnik im Museumsgarten erhalten bleibt.