Beitrags-Autor: Ingolf Seidel Sie müssen angemeldet sein, um das Benutzerprofil zu sehen |
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In den Bereichen von Schulen, Jugendclubs und anderen Bildungseinrichtungen sind die dort arbeitenden Pädagog/innen immer wieder mit Äußerungen über den realen oder vermeintlichen Charakter des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern konfrontiert. Dabei ist die Verunsicherung häufig hoch, ob es sich bei einer Äußerung um eine harsche Kritik des israelischen Regierungshandelns handelt oder um den Ausbruch eines antisemitischen Ressentiments, dass Israel stellvertretend für alle Jüdinnen und Juden meint. Was bedeutet es also, wenn Jugendliche, aber auch Kolleg/innen meinen, sie müssten Israel als Apartheitsstaat bezeichnen oder Aktionen der israelischen Armee mit den Verbrechen der Nazi-Wehrmacht in eins setzen?
Die Amadeu Antonio Stiftung hat eine Broschüre herausgegeben, die dafür sensibilisieren will, dass viele Äußerungen, die unter dem Etikett einer Israelkritik daher kommen, im Grunde genommen eine antisemitische Meinungsäußerung sind. Dahinter steht nicht die Unterstellung, dass jeder und jede, die sich israelkritisch äußern, gleich über ein geschlossenes antisemitisches Weltbild verfügen. Gerade weil offener Antisemitismus in der Folge des Holocaust geächtet ist, beruhen seine Ausdrucksformen auf verschiedenen Formen der Umwegkommunikation.
Einleitend stellt Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung daher die grundlegende Frage, warum ausgerechnet „Israel überhaupt so allgegenwärtig die öffentlichen Debatten bewegt.“ (S.3) Kahane macht darauf aufmerksam, dass in der Region, der antiisraelische Hass ein „Ventil für die Wut und Resignation über das Stagnieren der Region auf niedrigem ökonomischen Niveau“ (S.5 ) sei und konstatiert, dass viele Europäer/innen geneigt seien eher „Israel zu dämonisieren und die Juden dabei zu meinen“ (ebda.), statt die Länder des Mittleren Ostens auf ihrem Weg von Despotien zu einer demokratischen Gesellschaft zu unterstützen.
Die Antworten auf die Frage nach den Gründen für den Hass auf Israel sind so breit gefächert, wie es die Ursachen für das Aufkommen von Antisemitismus im Allgemeinen sind. Für die Bundesrepublik spielt dabei sicherlich immer noch ein sekundärer Antisemitismus eine Rolle. Dieser zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass er eine Täter-Opfer-Umkehr betreibt und postuliert, dass das was der israelische Staat heute mit den Palästinenser/innen betreiben würde, im Prinzip dasselbe wäre, wie die nationalsozialistische Vernichtungspolitik (vgl. S. 10). Jan Riebe macht in seinem Aufsatz „Was ist israelbezogener Antisemitismus“ (S. 7) auf Kriterien aufmerksam, wie Kritik am Handeln der israelischen Regierung von Antisemitismus unterschieden werden kann und lehnt sich dabei an zwei Modelle an. Dazu gehört der von Nathan Sharansky entwickelte 3D-Test und die sogenannte Working Definiton of Antisemitism des European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia. Nach Sharanskys Modell könne man von einer Form des Judenhasses sprechen, die auf den Staat Israel projiziert würde, wenn dieser Staat dämonisiert wird, wie in Vergleichen „Israels mit dem Nationalsozialismus und der palästinensischen Flüchtlingslager mit Auschwitz.“ ( S. 8) Dazu gesellen sich als Messlatten die Verwendung von Doppelstandards in der Beurteilung israelischer Politik im Verhältnis zum tagespolitischen oder legislativem Handeln anderer Staaten und schließlich die Delegitimierung des Staates indem Israel das Existenzrecht abgesprochen wird.
In einem zweiten Beitrag widmet sich Riebe dem gewaltförmigen Potential des israelbezogenen Antisemitismus. Dieses belegt er vor allem an zum Teil dramatischen Beispielen aus der politischen und radikalen Linken der Bundesrepublik im Zusammenhang mit dem politischen Aufbruch der späten 1960er Jahre, der unter dem verkürzten Begriff der 68er Studentenbewegung bekannt ist. Riebe widersteht dabei dem Reflex, Antisemitismus an den gesellschaftlichen Rändern zu verorten und weißt darauf hin, dass „Aussagen, die die Verbrechen des Nationalsozialismus extrem relativieren und Israels Politik dämonisieren, in Deutschland Zustimmungsraten von 30% bis über 50% erzielen“. (S. 16)
Hinweise zu einem Umgang mit israelbezogenem Antisemitismus im pädagogischen Rahmen geben Jan Riebe und Hanne Thoma sowie Heike Radvan in zwei Beiträgen. Riebe und Thoma skizzieren die Thematisierung von israelbezogenem Antisemitismus in Workshops mit Multiplikator/innen aus der Bildungs-, Sozial- und Jugendarbeit sowie mit zivilgesellschaftlichen Akteur/innen. Die Workshops zielen in erster Linie auf eine Sensibilisierung von Pädagog/innen in Bezug auf die Thematik und darüber hinaus auf die Selbstreflexion der Teilnehmenden. Aktuelle Ausprägungen von Antisemitismus würden, so halten die beiden Autor/innen fest, nicht als Teil judenfeindlicher Ideologie erkannt, „weil die Sensibilisierung für Formen des Antisemitismus, die auf den ersten Blick nicht der historischen nationalsozialistischen Ausprägung desselben entsprechen“ (S. 24) fehlen würde. Häufig führt somit beispielsweise das Fehlen einer rassistischen Komponente im aktuellen Antisemitismus dazu, dass er aus dem Blick der Betrachter gerät.
Im Anschluss gibt Heike Radvan Hinweise darauf, wie Auswege aus „antisemitischen Differenzkonstruktionen“ (S. 26) aussehen können. Dabei wäre es verfehlt, so zeigt Radvan an unterschiedlichen Beispielen auf, als Reaktion auf antisemitische Äußerungen mit den Jugendlichen darüber zu sprechen wie Juden vermeintlich ‚wirklich’ seien. Vielmehr müsse „nach der jeweiligen Funktion einer antisemitischen Äußerung für den einzelnen Jugendlichen“ (ebda.) gefragt werden.
Den Abschluss der Broschüre bilden zwei Beiträge, die auf aktuelle Formen von Israelfeindschaft verweisen. Unter dem Begriff des sogenannten Pinkwashing wird Israel international von politischen Aktivist/innen aus dem Bereich der Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Inter-Menschen (LSBTI, vgl. S.29) vorgeworfen, es würde seine „scheinbar liberale und demokratische Haltung gegenüber LSBTI’s“ ausnutzen, „um von Menschenrechtsverletzungen in den palästinensischen Gebieten abzulenken“. (S. 29) Dabei beinhalten diese Vorwürfe des Reinwaschens , so Autorin Nina Rabuza, Motive von verschwörungstheoretischem Denken wonach die israelische Regierung ihre wahren Machtinteressen perfide verschleiern würde. Rabuza kommt zu dem Schluss, dass es sich bei dieser Form von israelfeindlichen Vorwürfen nicht um eine eigene Ausprägung eines „queeren Antisemitismus“ (S.33) handelt, sondern um Klassifizierungen, die aus einer problematischen Tradition antiimperialistischer Theoriebildung stammen.
Daniel Poesgen macht in seinem Monitoring der Berichterstattung deutscher Tageszeitungen schließlich darauf aufmerksam, dass der mediale Diskurs im Zusammenhang mit der „gewaltsamen Aufbringung der Gaza-Flottille“ durch israelisches Militär im Mai des Jahres 2010 „anschlussfähig für antisemitische Weltbilder sein kann.“ (S. 34) Bei dem damaligen Versuch von politischen Aktivist/innen die israelische Seeblockade zu durchbrechen starben neun Teilnehmer/innen . Dabei wurde in der Berichterstattung, so weist Poesgen nach, vielfach die Grenze einer kritischen Haltung überschritten, etwa wenn in Zeitungsartikeln „direkt von »Deportationen« oder »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« durch Israel die Rede ist“ (S.38), da vor allem im deutschen Kontext diese Begriffe mit dem Holocaust in Verbindung gebracht würden.
Abschließend lässt sich festhalten, dass die Amadeu Antonio Stiftung mit der Herausgabe der vorliegenden Broschüre einen wichtigen Beitrag zur Auseinandersetzung um das, quer durch politische Lager und soziale Schichtungen verbreitete Phänomen des israelbezogenen Antisemitismus geleistet hat. Sie ist Teil des Projekts „Israelbezogener Antisemitismus in Ost- und Westdeutschland“ – Aktionswochen gegen Antisemitismus 2012. Ernüchternd bei der Lektüre ist die immer wieder auftauchende Erkenntnis, dass Antisemitismus zwar wesensgemäß zum Rechtsextremismus gehört, aber eben auch dort auftaucht, wo er meist nicht vermutet wird: Bei Menschen, die sich in der Eigensicht als antirassistisch und demokratisch definieren würden.
Die Broschüre ist im Druckformat derzeit vergriffen, steht aber auf der Website der Stiftung zum Herunterladen als PDF-Dokument bereit.