Das sowjetische Speziallager in Sachsenhausen (1945-1950)
Von Lutz Prieß
Im Jahr 1990 wurden in unmittelbarer Nähe der damaligen „Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Sachsenhausen“ drei Massengräber mit Opfern des sowjetischen Speziallagers Nr. 7/Nr. 1 gefunden. Die Diskussion über die Fortexistenz und Neugestaltung der Gedenkstätte musste von nun an die „doppelte Vergangenheit“ des Ortes berücksichtigen. Das führte in den nachfolgenden Jahren zu heftigen Debatten zwischen den Opfergruppen aus dem nationalsozialistischem Konzentrationslager und dem Speziallager des NKWD/MWD. Aber es beförderte auch die wissenschaftlich fundierte Erforschung der Nachkriegsgeschichte, die Erschließung von bislang größtenteils geheimen sowjetischen Archivmaterialien sowie die Befragung von Zeitzeugen zur Geschichte des sowjetischen Lagers.
Im Dezember 2001 eröffnete das Museum „Sowjetisches Speziallager Nr. 7/Nr. 1 in Sachsenhausen (1945-1950)“. Es ist nach dem im Mai 1997 eingeweihten Ausstellungsgebäude in der Gedenkstätte Buchenwald der zweite Museumsneubau in Deutschland (neben weiteren Ausstellungen an Orten anderer Speziallager), in dem die Geschichte der sowjetischen Internierungs- und Haftpraxis zwischen 1945 und 1950 präsentiert wird. Vier Jahre nach der Museumseröffnung in Oranienburg ist in der Schriftenreihe der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten nun der Katalog der Speziallagerausstellung erschienen.
Der zweisprachige Band (deutsch/englisch) wird eingeleitet mit einem Vorwort von Günter Morsch (Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten) sowie mit Grußworten von Jutta Limbach (ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts), Knut Nevermann (ehemaliger Ministerialdirektor beim Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien), Johanna Wanka (Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg), Ulf Müller (Vorsitzender der Beiratskommission II der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten) und Kurt Weiß (ehemaliger Häftling des Speziallagers Nr. 7/Nr. 1).
In seinem Hauptteil folgt der Katalog der Gliederung der Ausstellung und enthält damit fünf Abschnitte: „Aufbau und Organisation des sowjetischen Speziallagers in Sachsenhausen“ (A); „Die Häftlinge“ (B); „Die Haftbedingungen“ (C); „Bilder und Gegenbilder. Die Debatte um die sowjetischen Speziallager in der Öffentlichkeit“ (D); „Die Steinbaracken – die Geschichte des Ortes“ (E).
Für Besucher des Museums erschließt sich die Geschichte des Lagers und seiner Insassen auf mehr als 350 Quadratmetern Ausstellungsfläche und mit Hilfe von über 700 Exponaten. Die in der Ausstellung und im Katalog enthaltenen 22 Themenkomplexe, die wiederum in mehr als 50 Einzelthemen untergliedert sind, stellen eine in Breite und Differenziertheit anspruchsvolle Dokumentation dar, die dem Stand der zeithistorischen Forschung entspricht. Die Heterogenität der Häftlingszusammensetzung dieses größten sowjetischen Speziallagers auf deutschem Boden findet ihren Ausdruck in der Auswahl von 25 Einzelbiografien von Angehörigen des so genannten „Spezkontingents“, Verurteilten der Sowjetischen Militärtribunale (SMT), gefangenen Wehrmachtsoffizieren sowie russischen Emigranten und Bürgern der Sowjetunion oder auch dem Verfolgungsschicksal der Familie Timm. Darüber hinaus werden drei unterschiedliche Gruppenschicksale vorgestellt: Angehörige des Polizeibataillons 9 (wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ verurteilt), die „Greußener Jungs“ (Denunziation als Mitglieder des „Werwolf“) und Feuerwehrleute aus Güstrow (Vorwurf der „Zugehörigkeit zu einer terroristischen Gruppe“).
Die Präsentation der Exponate offenbart auch den komplizierten Umgang mit den überlieferten Sachzeugnissen von Opfern und Tätern in der Ausstellung. Die Gedenkstätte hat trotz Protest aus den Reihen der Überlebenden des Speziallagers zu Recht nicht darauf verzichtet, Dokumente, Fotos und Gegenstände aus dem Nachlass des sowjetischen Lagerleiters auszustellen. Diese Exponate sprechen dreifach: Erstens dokumentieren sie die jahrzehntelange Berufskarriere eines Vertreters des sowjetischen Geheimdienstes, zweitens wurden etliche überlieferte Gegenstände von ehemaligen Lagerhäftlingen angefertigt, drittens betrachtet der in Moskau lebende Sohn des ehemaligen Kommandanten des Lagers die Übergabe eines Teils des persönlichen Nachlasses als Beitrag zur Wiedergutmachung.
Das Museum „Sowjetisches Speziallager Nr. 7/Nr. 1 in Sachsenhausen (1945-1950)“ ist von der Öffentlichkeit inzwischen als neuer Bestandteil der demokratischen Erinnerungskultur in Deutschland angenommen worden, und der vorliegende Katalog ist ein weiteres Beispiel dafür, wie Diktaturerfahrungen am historischen Ort erforscht und präsentiert werden können. Die Gedenkstätte Sachsenhausen trägt mit ihrem dezentralen Konzept und der Schaffung differenzierter thematischer Dauerausstellungen dazu bei, die Erinnerungskonkurrenz vergangener Jahre durch „sachlich-dokumentarische Argumentationsweise“ überwinden zu helfen (so Günter Morsch im Vorwort, S. 15).
Der Katalog enthält abschließend u.a. ein umfangreiches Impressum (in dem die „Gründungsmitarbeiter“ der Projektgruppe Speziallager leider ungenannt bleiben), Danksagungen an die Leihgeber, darunter eine Vielzahl Überlebender des Lagers und deren Angehörige, sowie einen Pressespiegel mit Berichten über die Museumseröffnung 2001. Der Band dokumentiert die Professionalisierung der Gedenkstättenarbeit; er leistet gleichermaßen einen Beitrag zur zeitgeschichtlichen Einordnung wie auch zur Erinnerung an individuelle Erfahrungen.
Dieser Text erschient zu erst auf dem Webportal H-Soz-u-Kult am 28.03.2006.
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- 11 Mär 2013 - 10:19