Filme für die pädagogische Arbeit mit jungen Muslimen
Von Markus Nesselrodt
Die vorliegende DVD-ROM „Islam, Islamismus & Demokratie“ entstand im Rahmen des Modellprojekts „Filme zur Integrations- und Präventionsarbeit mit jungen Muslimen – gegen kulturell und religiös legitimierte Radikalisierungstendenzen“ an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg. Die Regisseurin Deniz Ünlü befragte in insgesamt fünf Filmen muslimische Religionslehrer und junge wie ältere Muslime und Muslimas zu verschiedene Fragen des Islam. Der Islamwissenschaftler und Betreiber des Webportals ufuq.de Jochen Müller fungierte als Co-Autor und erstellte die pädagogischen Materialien, die zu jedem Film auf der DVD vorliegen.
Ein innovatives Projekt
Ausgangspunkt für das Projekt war die Feststellung, dass „die pädagogische Auseinandersetzung und die politische Bildungsarbeit mit islamistischen und islamisch begründeten Ideologien, Überzeugungen und Verhaltensweisen bisher nicht zum schulischen oder sozialpädagogischen Alltag“ gehören, so Müller. Die Filme wie auch die sie begleitenden Hefte verfolgen deshalb das Ziel, eine Diskussion zwischen Lehrenden und Lernenden anzuregen. Die in den Filmen zitierten muslimischen Autoritäten wie Imame, Islamwissenschaftler/innen und Theologen sollen einen Dialog ermöglichen, auch für den Fall, dass in der Lerngruppe bzw. bei den Lehrkräften kein Expertenwissen über den Islam vorhanden sein sollte. Die Absicht der Filmemacher/innen, eine anregende und zugleich informative Vorlage für die pädagogische Auseinandersetzung mit dem Islam zu liefern, ist deutlich erkennbar.
Bevor die Filme in der Bildungsarbeit verwendet werden, empfiehlt Müller, zuerst die Hefte zu lesen. Denn die Texte in den Begleitheften liefern Hintergrundinformationen und sollen helfen, einzelne, unter Umständen kontroverse Filmszenen vorzubereiten. Jedes Heft hat einen ähnlichen Aufbau. Auf eine kurze thematische Einführung zum jeweiligen Gegenstand folgen Hinweise und Kommentare zu einzelnen Szenen des Films. Die Einführungen greifen besonders Fachbegriffe, Grafiken sowie Zahlentabellen auf und geben vertiefende pädagogische Hinweise. Abgerundet wird jedes Begleitheft durch einen Anhang, in dem kurze ergänzende wissenschaftliche Texte, Projektberichte sowie zahlreiche Web- und Literaturtipps zusammengetragen wurden.
Filme in der pädagogischen Arbeit
Der erste Film „Allah liebt alle Menschen gleich“ thematisiert den religiös begründeten Antisemitismus. Im Interview macht der Professor für Islamische Religionspädagogik Bülent Ucar deutlich, dass im Islam vor Gott alle Menschen gleich seien. Ausschließlich ihre Taten würden sie unterscheiden. Die zumeist aus dem Zusammenhang gerissenen Zitate über Anders- und/oder Ungläubige würden häufig manipulierend eingesetzt, um bestimmte Vorstellungen zu legitimieren. Umso wichtiger sei es, die Korantextstellen aus ihrem historischen Kontext heraus zu deuten, so die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor.
Der zweite Film widmet sich einem Problem, das nicht ausschließlich religiöse Ursachen hat, aber dennoch in das Projekt aufgenommen wurde, da seine Auswirkungen im hiesigen Schulalltag merkbar sind. In „Die Geschichte des Nahost-Konflikts“ wird versucht, multiperspektivisch zu erklären, was Ursprünge und aktuelle Trennlinien des Konfliktes sind. Der Film setzt im 19. Jahrhundert ein, sein Schwerpunkt liegt allerdings auf der Zeit nach 1945. Ein junger Muslim berichtet im Gespräch von der Fluchtgeschichte seiner Familie, die Palästina 1948 verlassen musste. Sein Beispiel soll stellvertretend stehen für die intergenerationelle Weitergabe antisemitischer Einstellungen. Einen möglichen Ausweg aus dieser Sackgasse sieht die Filmemacherin in der Erzählung von jüdischen und muslimischen Fluchtgeschichten. Auf diese Weise soll Empathie für die Narration des Anderen geweckt werden.
Der dritte Film „Islam ist keine Ideologie“ reflektiert das Verhältnis von Islam, Islamismus und Demokratie. Laut Aussage der hier vorgestellten Imame und Theologen könne eine Theokratie (Gottesherrschaft) nicht mit dem Koran begründet werden. Die Frage, wer regieren darf, sei eindeutig zu beantworten. Gott habe den Menschen den Auftrag erteilt, sich selbst zu beherrschen. Soweit die Theorie. In der Praxis bestimmen jedoch oftmals Minderheiten, was islamisch ist und was nicht, was erlaubt ist und was verboten. Solche Vorstellungen einer radikalen Minderheit über die vermeintlich einzig wahre Auslegung der heiligen Schriften finden sich auch in anderen Religionen.
Der letzte hier vorgestellte Film behandelt die Scharia. Wenig sei über sie bekannt und oft werde sie als das islamische Gesetz dargestellt. Doch die Scharia ist komplexer. Wörtlich bedeutet Scharia „Weg zur Quelle“ oder auch „der Weg zu Gott“. Entgegen mancher Vorstellungen ist sie kein Gesetzesbuch, auch wenn es in manchen Ländern islamische Gesetze gibt, die als Scharia bezeichnet werden. Unter der Scharia wird die Gesamtheit aller religiösen Gebote verstanden, wie sie im Koran und in der Sunna stehen. Da es sich aber um keine Liste von eindeutigen Regeln handelt, spielt die Frage der Auslegung eine zentrale Rolle. In der Diskussion um den richtigen „Lebenskodex“ (Bülent Ucar) gebe es fundamentalistische und liberale Positionen. Unter muslimischen Religionslehrern ist die Auslegung der Quellen (Koran und Sunna) immer aktuell und somit ein fortlaufender Prozess.
Fazit
Die Filme und die Begleithefte füllen eine Lücke in der Bildungsarbeit mit muslimischen Jugendlichen (natürlich auch mit Nicht-Muslimen) und verfolgen das klare Ziel, Stereotype aufzugreifen und zu reflektieren. Den Schülerinnen und Schülern soll keine vermeintlich „richtigere“ Position gelehrt werden, aber sie sollen sich mit unterschiedlichen Perspektiven auf ihre Religion auseinandersetzen. Mit den Mitteln der Kontroverse und der Multiperspektivität kann womöglich tatsächlich ein tiefgehender Reflexionsprozess initiiert werden. Trotz der vielen positiven Seiten des Modellprojekts sollen einige Schwachstellen nicht verschwiegen werden. So ist beispielsweise die musikalische Untermalung der Bilder zum Teil äußerst irritierend. Bilder von betenden Muslimen und engagiert predigenden Imamen mit bedrohlich klingender Musik zu unterlegen, kann den Zielen der Filme eigentlich nur schaden. Auch ist die sehr textlastige Aufbereitung der Filmhefte entspricht sicher nicht den begrenzten zeitlichen Möglichkeiten in der Projektarbeit bzw. im Unterricht. Nichtsdestotrotz lässt sich über diese Mankos durchaus hinwegsehen, denn Filme und Hefte bieten genug Anregungen zur Diskussion.
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- 12 Okt 2011 - 12:35