„Wenn der eine Besatzer den anderen ersetzt…“ / „Gdy jeden okupant zastępuje drugiego…”
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Beitrags-Autor: Ingolf Seidel Sie müssen angemeldet sein, um das Benutzerprofil zu sehen |
Von Maciej Wyrwa
Der 22. Juni 1941 fungiert im Grunde nicht als wichtiges Datum im historischen Bewusstsein der Polen, aber die Ereignisse, die mit diesem verbunden sind, stellen ein wichtiges Element des nationalen Gedächtnisses dar. Der Ausbruch des Krieges zwischen dem Dritten Reich und der Sowjetunion bedeutete neue Opfer, vor allem in den polnischen Ostgebieten, den so genannten Kresy.
Die Unterzeichnung des deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrages, der in die polnische Geschichtsschreibung als „Molotow-Ribbentrop-Pakt“ eingegangen ist, ermöglichte am 1. September 1939 den Beginn des Zweiten Weltkrieges. Polen wurde Opfer von zwei totalitären Diktaturen, die das Land unter sich aufteilten. Das Ziel der Besatzer war die Ausrottung kompletter Völker und der sozialen Klassen. Da der Vormarsch des deutschen Heeres gegen die Sowjetunion am 22. Juni 1941 eine Überraschung für den früheren Verbündeten war, führte er zum panikartigen Rückzug der Roten Armee und der sowjetischen Verwaltung aus den polnischen Ostgebieten. Währenddessen wurden Verbrechen an Häftlingen, Kriegsgefangenen und der wehrlosen Zivilbevölkerung begangen. Die meisten Opfer brachte die Evakuierung aus den sowjetischen Gefängnissen. Die Menschen starben oft vor Hunger, Durst, wegen deutscher Bomben und auf Todesmärschen. Im Gedächtnis der Betroffenen und ihrer Familien blieben vor allem diese langen Märsche. Die anderen, die zum Weg nach Osten nicht fähig waren, wurden getötet. Laut Schätzungen wurden im Juni und im Juli 1941 infolge der Evakuierungen mindestens 10.000 Menschen ermordet. In der Atmosphäre des Chaos und der Straffreiheit kam es zu Plünderungen und Vergewaltigungen, Selbstjustiz wurde geübt.
Die brutale Politik der sowjetischen Machthaber in den östlichen Gebieten Polens nach dem 17. September 1939 führte dazu, dass ein Teil der Gesellschaft die einrückenden deutschen Besatzer als Erlösung betrachtete. Die Aufdeckung der sowjetischen Morde an polnischen Offizieren bei Katyn durch die Deutschen war dabei ein wichtiges Propagandamittel. Die erschütternden Fotos und Filme von der Exhumierung zeigten die Deutschen als diejenigen, die den sowjetischen Übergriffen und Grausamkeiten scheinbar ein Ende gesetzt hatten.
Mit Einwilligung des neuen Besatzers kam es zu erneuten Pogromen gegen die jüdische Bevölkerung, die laut der Propaganda an Gewalttaten des sowjetischen Staates teilgenommen haben solle. An den Pogromen beteiligten sich neben den Deutschen, auch ukrainische und litauische bewaffnete Einheiten und die polnische Zivilbevölkerung.
Die Vertreter der unterlegenen Völker wurden sich immer mehr darüber bewusst, welche Rolle sie im Dritten Reich spielen sollten. Zerstörung des Kulturguts, Vertreibungen, Zwangsarbeit, Konzentrationslager, Mord an der Zivilbevölkerung waren nur einige Elemente der Politik der neuen, faschistischen Machthaber.
Die heutige Wahrnehmung dieser, für die polnische Bevölkerung, tragischen Ereignisse ist durch die Jahre des Verschweigens, der Halbwahrheiten und Lügen nach dem Zweiten Weltkrieg beeinflusst. Eine solche Politik verfolgte die Dank der sowjetischen Macht regierende, polnische, kommunistische Partei. Dabei wurde die Wahrheit über die sowjetischen Gewalttaten zu einem Tabuthema, denn sie schadete der „ewigen Freundschaft mit der Sowjetunion“. Diese Freundschaft war die Grundlage des Systems der „Volksdemokratie“, die bis zum Jahr 1989 galt. Außerdem lagen die betroffenen Ostgebiete überwiegend außerhalb der polnischen Grenzen nach 1945. Dort galten in der Nachkriegszeit ausschließlich die sowjetischen Mythen „des Großen Vaterländischen Krieges“ und der „heldenhaften Verteidigung Russlands“.
Im kommunistischen Polen konnten keine Träger der Erinnerung an die tragischen Ereignisse des Juni 1941 offiziell bekannt gemacht und in Medien oder der Forschung weitergegeben werden. Die Erinnerung an die Ereignisse bewahrten aber die Zeitzeugen, die nach 1945 aus den ehemaligen polnischen Ostgebieten übersiedelt waren.
Die Wahrheit über diese Ereignisse wurde auch mittels der ausländischen Radiosender „Free Europe“, „Stimme Amerikas“ und den eingeschmuggelten, ausländischen Veröffentlichungen vor der Vergessenheit geschützt. Die Wahrheit vermittelten zudem die polnischen Emigranten in der ganzen Welt.
Der Kampf gegen die Lügen war ein wichtiges Thema und ein Impuls zum Handeln für die entstehende Opposition. Viele Veröffentlichungen des Untergrunds handelten von der sowjetischen Besatzung in den polnischen Ostgebieten, den so genannten Kresy. Man veranstaltete geheime Lesungen darüber und Treffen mit Zeitzeugen, Gedächtnisorte wurden gepflegt und so die, infolge der kommunistischen Propaganda entstandenen, „weißen Flecken“ gefüllt. Ein solches Ziel hatte auch das unabhängige „KARTA Zentrum“ mit seinem „Ost-Archiv“ und dem Programm „Index der Unterdrückten“. Der „Index“ dokumentierte Opfer der sowjetischen Repressionen in den Jahren 1939-56 mit Namen und weiteren Details.
Die Wiedererlangung der Souveränität durch Polen nach 1989 bedeutete eine Wende in der Behandlung dieser Fragen. Seitdem konnte man sich mit der Thematik uneingeschränkt beschäftigen. Das Thema der Opfer von Besatzungen wurde sowohl durch Historiker sowie staatliche, unabhängige und private Institutionen und Einzelpersonen behandelt. Die oben beschriebenen Folgen des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion fanden auch Eingang in die Schulbücher. Aber auch Verbrechen beider Besatzer werden dort entsprechend präsentiert. Ihre Charakteristika werden dabei hervorgehoben.
Der 22. Juni ist kein Datum in der Geschichte Polens, das für viele wichtig ist, aber die meisten Polen kennen die Ereignisse, die damit verbunden sind. Die Jahrestage dieser Ereignisse regen uns zum Nachdenken an über das Ausmaß der Oper und Leiden der polnischen Bevölkerung seitens beider totalitären Systeme. Wir gedenken dabei auch der zahlreichen Opfer, die leider oft immer noch namenlos sind.
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- 8 Jun 2011 - 12:59