Empfehlung Zeitschrift

Aktuelle Diskussionen in der interkulturellen Bildungsarbeit zum Holocaust

van Driel, Barry/van Dijk, Lutz (Ed.): Intercultural education (formerly European Journal of Intercultural studies), Volume 21. Supplement I: Teaching the Holocaust in diverse Classrooms: Opportunities and Challenges. 2010 Taylor & Francis.

Von Dorothee Ahlers

Die Autoren der vorliegenden Zeitschrift sind sowohl Praktiker aus NGOs, Schulen und Gedenkstätten, als auch Theoretiker mit einem universitären Hintergrund. Die unterschiedlichen Beiträge stellen einen Überblick über die derzeitigen Diskussionen in der interkulturellen Bildungsarbeit zum Holocaust dar. Die diskutierten Fragen betreffen beispielsweise das Verhältnis von historischen Fakten und persönlichen Geschichten, die Verbindung von Holocaust mit anderen historischen Themen oder dem Nahostkonflikt, den Wert von moralischer Erziehung anhand des Holocausts sowie einige andere Themen.

Die englischsprachige Zeitschrift Intercultural Education wird bereits seit 1997 von der International Association for Intercultural Education (IAIE) herausgegeben und erscheint fünf Mal im Jahr. Die IAIE vereint seit 1984 Pädagogen und Pädagoginnen, die sich mit unterschiedlichen Themen aus dem weiten Bereich Vielfalt und Gleichheit in der Erziehung beschäftigen. Neben der Publikation der vorliegenden Zeitschrift organisiert die IAIE Workshops, Seminare und Konferenzen, sowie evaluiert größere Bildungsprojekte.

Die Beiträge dieser Ausgabe sind in zwei Abschnitte sortiert: der erste Teil beschäftigt sich mit theoretisch-methodologischen Fragen, der zweite Teil stellt einige best-practice-Beispiele vor.

Tali Nates, Direktor des Johannesburg Holocaust Centre in Südafrika zeigt die Herausforderungen von Holocaust-Erziehung in einem Land, das selbst unter starken Gewalterfahrungen während des Apartheidsregime litt. Lehrer stehen vor der Herausforderung, den Holocaust mit der aktuellen Situation in Südafrika zu verbinden und die Relevanz der Geschichte eines anderen, weit entfernten Landes für die Realität und Zukunft des eigenen Landes aufzuzeigen. Zudem seien sie selbst von traumatischen Erfahrungen geprägt, müssten mit Schülern mit unterschiedlichen Muttersprachen umgehen, die Schulen seien häufig schlecht ausgestattet, ihr eigenes Wissen über den Holocaust gering.

Tracey Petersen vom Cape Town Holocaust Centre beschäftigt sich in ihrem Beitrag ebenfalls mit diesen Schwierigkeiten und geht auf Ausbildungsworkshops für Lehrer der South African Holocaust Foundation ein. In diesen wird Inhalt, Methoden sowie Relevanz des Holocaust für das heutige Südafrika behandelt. Die Stiftung sehe die Lehre über den Holocaust als Teil des Weges zu einer humaneren Gesellschaft, Lehrer sollten somit Motor einer sozialen Transformation sein. Petersen hinterfragt jedoch, ob diese Aufgabe überhaupt erfüllt werden kann und mahnt an, dass zu diesem Zweck das Selbstbild der Lehrer und ihr Bild in der Gesellschaft verändert werden müsste.

Die beiden Beiträge gehen von dem Ansatz aus, historische Ereignisse mit der heutigen Lebenswelt der Lernenden zu verbinden. Gegen solch einen Zugang wendet sich Doron Avraham – Historikerin an der Bar Ilan Universität, Israel – und beschreibt die Schwierigkeit, (historische oder aktuelle) Parallelen in der Lehre über den Holocaust zu ziehen.

Ein weiterer interessanter Beitrag stammt von Elke Gryglewski, Mitarbeiterin der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannseekonferenz in Berlin. Sie beschreibt die Schwierigkeiten interkultureller Bildungsarbeit über den Holocaust in Deutschland. Die deutsche Gesellschaft habe noch nicht akzeptiert, dass sie eine Einwanderungsgesellschaft ist; das Holocaust-Gedenken werde als ein „deutsches“ Problem betrachtet. Kindern aus Familien mit Migrationshintergrund werde die Beziehung zur deutschen Geschichte abgesprochen. Sie bekämen das Gefühl vermittelt, dass ihre eigene Geschichte in Widerspruch stehe zum Erinnerungsdiskurs der Mehrheitsgesellschaft; ihre Position in der deutschen Gesellschaft werde in Frage gestellt. Ausgehend von dieser Situation verlangt Gryglewski ein Umdenken in der Bildungsarbeit: jedes Kind habe einen Anspruch darauf, sich mit der Geschichte des Holocaust zu beschäftigen. Gleichzeitig müsse es Pädagogen und Pädagoginnen gelingen, auch den geschichtlichen Hintergrund der Kinder miteinzubeziehen. Dazu müsse jedoch auch die ökonomisch-soziale Situation von Kindern mit Migrationshintergrund verbessert werden.

Das Haus der Wannseekonferenz hat für multikulturelle Besuchergruppen spezielle Lehrkonzepte entwickelt, die auf einer „Pädagogik der Anerkennung“ beruhen. Informationsmaterialien stehen auch auf Türkisch und Arabisch zur Verfügung und die unterschiedlichen Geschichtsbezüge der Schülerinnen und Schüler werden berücksichtigt.

Unter dem Namen „GeschichteN teilen“ hat der Verein Miphgasch und die Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannseekonferenz einen Dokumentenkoffer für eine interkulturelle Pädagogik zum Nationalsozialismus herausgeben, auf den wir in einer früheren Ausgabe des Magazins bereits hingewiesen haben.

Weitere Beiträge der Zeitschrift beschäftigen sich mit den Herausforderungen, wie Holocaust gelehrt werden kann in anderen Ländern. Mariela Chyrikins und Magdalena Vieyra vom Anne Frank Haus Amsterdam diskutieren in ihrem Beitrag die Bedeutung, die eine Holocaust-Erziehung für Jugendliche in Lateinamerika haben kann (vergleichen Sie dazu auch den Diskussionsbeitrag von Mariela Chyrikins und Barry van Driel in dieser Magazin-Ausgabe). Karen Polak – ebenfalls Mitarbeiterin des Anne Frank Haus Amsterdam – beschreibt aktuelle Entwicklungen in der historischen Bildung in Marokko. Dienke Hondius von der Universität Amsterdam schließlich vertritt in seinem Beitrag die Ansicht, dass die Art und Weise wie die Geschichte des Holocaust und der Sklaverei erinnert und gelehrt wird Parallelen aufweist.

Der zweite Teil der Zeitschrift bietet drei best-practice-Beispiele. Karen Murphy stellt einen Ansatz von Facing History and Ourselves vor, der Verbindungen zwischen der Geschichte des Holocaust und dem eigenen Leben und der Geschichte des eigenen Landes aufzeigt. Das Center for Humanistic Education im Haus der Ghettokämpfer in Israel bringt arabische und jüdische Schüler und Schülerinnen zusammen, wie Raya Kalisman in ihrem Beitrag zeigt. Lutz van Dijk verbindet die Verfolgung von Juden mit der Verfolgung von sexuellen Minderheiten. Im Anhang der Zeitschrift sind Erklärungen verschiedener internationaler Organisationen zum Holocaust Gedenken abgedruckt, sowie einige Buchrezensionen zum Thema Holocaust-Pädagogik.

Die vorliegende Zeitschrift bietet einen kompakten Überblick über aktuelle Diskussionen rund um das Thema interkulturelle Bildungsarbeit zum Holocaust. Schwierigkeiten und Herausforderungen in anderen Ländern regen zur Reflexion über die eigene Lehrpraxis an.

Weitere Informationen zur Zeitschrift finden Sie auf den Seiten des Verlages.

 

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