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Zwangsarbeit. Die Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg

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Beitrags-Autor: Ingolf Seidel

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Volkhard Knigge, Rikola-Gunnar Lüttgenau, Jens-Christian Wagner (Hrsg.): Zwangsarbeit. Die Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg. Weimar (2010), 260 S., € 19,80

Ingolf Seidel

Die Ausstellung "Zwangsarbeit. Die Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg“ der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, deren gleichnamiger Begleitband hier besprochen wird, ist sicherlich ein ebenso ehrgeiziges wie eindrucksvolles Projekt, das durch die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ gefördert wird. Damit wird auf das Schicksal von 20 Millionen Menschen aufmerksam gemacht, die unter unwürdigen und menschenverachtenden Umständen gezwungen wurden, für das Deutsche Reich und dessen Krieg zu arbeiten. Als Kurator/innen der Ausstellung wirkten Volkhard Knigge, Jens-Christian Wagner, Rikola-Gunnar Lüttgenau. Die Ausstellung ist als internationale Wanderausstellung konzipiert worden.

Der Begleitband dokumentiert wesentliche Texte, Dokumente und Fotografien der Ausstellung. Die ausführlichen Archivrecherchen, die für die Konzeption von Ausstellung und Begleitband durchgeführt wurden finden unter anderem darin ihren Ausdruck, dass die Betrachter/innen mit einer Fülle von fotografischen Überlieferungen konfrontiert werden. Der Logik der Ausstellungsgestaltung folgend, sind den Fotos Dokumente als Faksimiles beigegeben. Kurz gehaltene Texte ermöglichen eine Kontextualisierung der Dokumente. Um den Zugang zur komplexen Thematik zu erleichtern, wurden sechzig Fallgeschichten recherchiert, die den Kern der Ausstellung bilden und allen Opfergruppen mit ihren spezifischen Erfahrungen Raum geben.

Der Katalog ist in zwei Hälften gegliedert. Der erste Teil ist der Ausstellungsdokumentation gewidmet. In fünf Abschnitten mit jeweiligen Unterkapiteln wird die Geschichte der NS-Zwangsarbeit erzählt. Unter der Überschrift „Gewöhnung“ findet man den Zeitraum von 1933 bis 1939. Hier wird der NS-Arbeitsbegriff thematisiert, ebenso die frühe „Erziehung durch Arbeit“ in den Emslandlagern, die Funktion von Arbeit als Mittel zur Demütigung von politischen Gegnern und Juden und Stigmatisierung und die Kriegspropaganda eines vorgeblichen „Volks ohne Raum“.

Ab 1939 fand durch den Krieg eine Radikalisierung des Einsatzes von Arbeitskräften statt. Unter dieser Überschrift steht denn auch der folgende Abschnitt, der das Bild nachzeichnet, das die deutschen Besatzer von den Menschen in den unterworfenen Ländern hatten: Sie wurden als Kriegsbeute gesehen und der Zwangsarbeit unterworfen. Eine Ausnahme stellten zunächst Kriegsgefangene aus der Sowjetunion dar, die als Gefahr für das Reich galten. Zwei Millionen Kriegsgefangene wurden so bis zum Frühjahr 1942 dem Hungertod preisgegeben oder ermordet. Auch Juden sowie Sinti und Roma wurden in den Ghettos und Konzentrationslagern zur Arbeit gezwungen, wobei deren Vernichtung für NS-Führung und SS Vorrang hatte. In Auschwitz kam die Mehrzahl derjenigen, die als arbeitsfähig eingestuft wurden nach Auschwitz-Monowitz, wo der Chemiekonzern IG Farben ein KZ-Nebenlager betrieb.

Die Phase von 1942 bis 1945 wird unter der Überschrift „Massenphänomen. Zwangsarbeit im Deutschen Reich“ zusammengefasst. Im Mittelpunkt der Darstellung steht hier die Ausbeutung von verschleppten Menschen im sogenannten Reichseinsatz. Dieser fand auch, aber bei weitem nicht nur, in Industriebetrieben wie bei BMW in München oder in den berüchtigten Stollen des Rüstungs-KZ Mittelbau-Dora statt. Wie in kaum einem anderen Abschnitt wird hier deutlich, dass die Zwangsarbeit in engster Nachbarschaft der deutschen Bevölkerung stattfand. Deutlich wird auch, wie sehr verstrickt die Einzelnen in die NS-Herrschaft sein konnten und wie breit die Skala der Handlungsmöglichkeiten war. Sie reichte von aktiver Unterdrückung und Vergewaltigungen über Gleichgültigkeit bis hin zu Mitmenschlichkeit und Hilfsmaßnahmen für die Zwangsarbeiter/innen. Es gab keinen Sektor der deutschen Gesellschaft, der nicht von der Zwangsarbeit profitierte, so dass die Kuratoren mit Recht von einem Gesellschaftsverbrechen sprechen.

Das Kapitel „Befreiung“ greift schließlich die Lage der nun ehemaligen Zwangsarbeiter/innen nach 1945 auf. Bilder dokumentieren die Freude über die Befreiung, es wird aber auch deutlich wie schwierig die Rückkehr für viele Menschen ist. In den Camps für „Displaced Persons“, wie Föhrenwald in Bayern, wurden auf westalliiertem Gebiet Zigtausende untergebracht; häufig argwöhnisch beobachtet von der deutschen Bevölkerung. Der weitere Bogen des Kapitels wird über die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse zu dem schwierigen, oft aussichtslos erscheinenden Ringen um eine Anerkennung des Leides und um Entschädigung der ehemaligen Zwangsarbeiter/innen gespannt. Abgeschlossen wird der erste Teil des Bandes mit kurzen, eher schlaglichtartigen Äußerungen von früheren Zwangsarbeiter/innen.

Der anschließende zweite Teil bietet den interessierten Leser/innen vertiefende Essays zur Problematik. In ihnen wird der aktuelle Forschungsstand zu unterschiedlichen Aspekten der NS-Zwangsarbeit aufgezeigt. Die Aufsätze stammen von Jens-Christian Wagner, Andreas Heusler (Zur Genese des Forschungsfeldes NS-Zwangsarbeit in der Kriegswirtschaft), Dieter Pohl (Zwangsarbeit im besetzten Osteuropa), Manfred Grieger (Vernichtung und Arbeit im NS-Zwangsarbeitssystem), Dietmar Süß (Zwangsarbeit und deutsche Gesellschaft) und Constantin Goschler (Auseinandersetzung, Anerkennung und Entschädigung der Zwangsarbeiter).

Aus den durchgängig hochinteressanten und fundierten Darstellungen sollen hier nur einige Grundlegende herausgehoben werden. Jens-Christian Wagner, Leiter der Gedenkstätte Mittelbau-Dora bietet einen notwendigen Überblick und legt die Problematik eines vereinheitlichenden Begriffes wie Zwangsarbeit/des vereinheitlichenden Begriffes Zwangsarbeit dar, unter den sehr unterschiedliche Arbeits- und Lebensbedingungen gefasst werden. Die Überlebenschancen der Betroffenen variierten danach, unter welche Kategorie des rassistischen Wertesystems sie gefasst wurden. Dort standen Juden und Sinti am unteren Ende der Stufenleiter, gefolgt von slawischen „Fremdarbeitern“ und Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion, während Nord- und Westeuropäer weiter oben in der NS-Rassenhierarchie angesiedelt waren. Zudem unterlagen die Ausformungen und Bedingungen der Zwangsarbeit regionalen und sich mit dem Kriegsverlauf wandelnden Bedingungen.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass mit der Ausstellung und dem Begleitband die Thematik von NS-Zwangsarbeit und ihrer europäischen Dimension in einem bisher nicht vorhandenen Überblick dargeboten wird. Es ist das erste Mal, dass die komplette Geschichte der Zwangsarbeit im Nationalsozialismus unter Einbeziehung ihrer Nachgeschichte im Anschluss an die militärische Zerschlagung des NS-Staates erzählt wird. Damit haben die Verantwortlichen nicht nur eine wichtige historische Arbeit geleistet. Mit der Ausstellung wird auch der Millionen von Zwangsarbeiter/innen erinnert, die häufig spät oder keine Entschädigungen erhalten haben.

Das Jüdische Museum Berlin bietet ein pädagogisches Begleitprogramm mit Workshops und Führungen an und es wurden pädagogische Begleitmaterialien erarbeitet. So bestehen gute Möglichkeiten die Ausstellung für den schulischen Betrieb nutzbar zu machen und zu besuchen. Im Angesicht des Umfangs ist sicherlich eine Schwerpunktsetzung auf Teilaspekte notwendig und eine Vorbereitung auf die Thematik im Unterricht ist dringend anzuraten. Hierfür bietet der Begleitband ausreichend Material, auf dessen Basis sich interessierte Lehrkräfte in die Thematik und in den aktuellen Forschungsstand einarbeiten können.

Zwei Audiodateien mit Zeitzeugenberichten aus dem Ausstellungskapitel zu "Zwangsarbeit als Massenphänomen".

Szene "Verbotener Umgang"

Helene Pawlik, geboren 1915 in Racławice bei Krakau (Polen), musste von 1940 bis 1945 Zwangsarbeit in der Landwirtschaft in Amstetten (Niederrösterreich) leisten. Als einzige Arbeitskraft am Hof fühlte sich Helene Pawlik anfangs einsam und fremd. Nach der Geburt ihres Sohnes 1941 fand sie Unterstützung bei der Bäuerin gegen den jähzornigen Bauern. Sie blieb seinen Repressalien - von Essensentzug bis Schlägen - aber ausgesetzt.
Quellenangabe: Videointerview 2001, Privatarchiv Hornung/Langthaler/Schweitzer

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Szene "Mittelbau-Dora. Arbeit im Rüstungs-KZ"

"... zu einer Prüfung vor diesem Deutschen antreten". George Stein berichtet über eine Facharbeitermusterung in Auschwitz. George Stein wurde 1944 als ungarischer Jude über Auschwitz in das KZ Mittelbau-Dora deportiert. Bericht von 2005.
Quelle: KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora
 

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