„Schwierige Fragen im polnisch-jüdischen Dialog“
Forum Dialogue among Nations, American Jewish Committee (ed.), Difficult questions in Polish-Jewish dialogue, Warszawa 2006, 260 Seiten, ca. € 8.
Von Markus Nesselrodt
Der Sammelband „Schwierige Fragen im polnisch-jüdischen Dialog“ wurde herausgegeben vom polnischen Forum for Dialogue among Nations und dem American-Jewish Committee. Ausgangspunkt für das Buchprojekt war die Erfahrung im bilateralen Jugendaustausch, dass viele Jugendliche nur wenig über die jüngere Geschichte Polens und Israels wussten. Sofern überhaupt Kenntnisse zur Geschichte der Juden in Polen vorhanden waren, kreisten sie häufig diffus um die Begriffe Vernichtung und Antisemitismus. Dazu die Herausgeber: „In einem Land, in dem die jüdische Kultur einst blühte, verbleiben heute nur noch Erinnerungen – nicht immer angenehme und oft von Stereotypen durchdrungene“. (9)
Um die komplexen polnisch-jüdischen Beziehungen näher zu beleuchten, werteten die Herausgeber über eintausend Fragebögen aus, die sie in zahlreichen internationalen Jugendbegegungen ausfüllen ließen. 50 Fragen wurden ausgewählt und von namhaften polnischen und US-amerikanischen Autoren wie den Historikern Wladyslaw Bartoszewski und Feliks Tych, dem Philosophen Leszek Kolakowski oder dem Antisemitismus-Experten Andrew Baker beantwortet. In den zwei- bis dreiseitigen Artikeln geht es um die Anfänge der polnischen Judenheit, Momente der Toleranz, des Zusammenlebens, aber auch um die Ursprünge des Antisemitismus in Polen. Der Schwerpunkt der gestellten Fragen liegt allerdings auf dem 20. Jahrhundert und dem Zweiten Weltkrieg.
Die kurzen Texte wurden sichtlich für den Einsatz in der bilateralen Bildungsarbeit verfasst. Sie bieten konkrete Antworten auf häufig gestellte Fragen, die manchmal ein wenig schlicht zu sein scheinen. Dies lässt sich u.a. damit erklären, dass der polnisch-israelisch Jugendaustausch nicht die Dimensionen und Traditionen z.B. des deutsch-polnischen Austausches besitzt. Ein weiterer Aspekt ist der fehlende Kontakt, der einen Dialog erst ermöglicht. Obwohl jährlich Tausende junge Israelis die ehemaligen Konzentrations- und Vernichtungslager in Polen besuchen, kommt es selten zum Austausch zwischen Polen und Israelis. Die Ursachen für das Nichtzustandekommen dieses Dialoges lagen häufig gar nicht in den Einstellungen der Jugendlichen, sondern eher auf Seiten der Schulleitung und des israelischen Bildungsministeriums. Lange Zeit schienen Schulfahrten von Israel nach Polen eher der Identitätsbildung und Selbstvergewisserung der jungen Israelis zu dienen als dem bilateralen Dialog. Doch zeichnet sich ein Umdenken ab. Seit der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen im Jahre 1990 gab es immer wieder Annäherungen zwischen Polen und Israelis. Staatliche Einrichtungen wie das Warschauer Museum der Geschichte der polnischen Juden und Nichtregierungsorganisationen wie das Forum for Dialogue among Nations, das Jüdische Historische Institut Warschau oder die zahllosen Vereine zum Erhalt des jüdischen Erbes in Polen bemühen sich seit Jahren um einen konstruktiven Dialog.
Die 50 Texte des Sammelbandes richten ihr Augenmerk auf kurze, aber nicht vereinfachende Antworten auf die titelgebenden „schwierigen Fragen“. Dass dieses Buch überhaupt existiert, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die Beschäftigung mit der Shoah, dem Antisemitismus und den „weißen Flecken“ in der eigenen Vergangenheit nahm in Polen jahrzehntelang die Rolle eines Tabus ein. Erst seit den 1980er Jahren gab es Versuche, das vorherrschende Opfer/Täter-Bild zu hinterfragen und historisch aufzuarbeiten. Aus diesem Grund ließe sich von einer doppelten Schwierigkeit im Umgang mit der polnisch-jüdischen Vergangenheit sprechen. Die Notwendigkeit für historische Informationen ist nicht nur im polnisch-israelischen Jugendaustausch offensichtlich, sondern auch im innerpolnischen Erinnerungsdiskurs. Nach Ansicht von Wladyslaw Bartoszewski, einem profilierten Kenner der polnisch-jüdischen Geschichte, gibt es keine Alternative zum aufrichtigen Dialog. Nur so könne zukünftig Antisemitismus und Hass bekämpft werden. (14)
Das Buch kann bei der Herstellung dieses Dialoges eine gute Hilfestellung bieten, denn es versammelt in Kürze wesentliche Fragen und nimmt die Jugendlichen dabei ernst. Sicher, das komplexe Verhältnis der Polen zum Holocaust lässt sich auf drei Seiten eigentlich nicht beschreiben. Allerdings kann ein kurzer, prägnanter Text Inspiration und zugleich Grundlage sein für die weitere Beschäftigung mit einem schwierigen Thema, welches im schulischen Alltag der meisten Jugendlichen wenig Raum findet.
Englischsprachige Informationen zum Buch finden Sie hier.
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- 12 Okt 2010 - 21:30