Von Franziska Ehricht
Um einem von Jugendlichen vielfach geäußertem Interesse, über den Nahostkonflikt zu sprechen, nachzukommen, erweiterte das Team des Vereins Miphgasch/Begegnung sein Projekttagsangebot zu Themen wie Nationalsozialismus, Holocaust, Jüdische Geschichte und Religion im Jahr 2006 auch um dieses Thema.
Die Hauptzielgruppe der Projekttage sind Jugendliche von Berliner Haupt- und Realschulen. Viele der Schülerinnen und Schüler haben einen Migrationshintergrund und nicht selten besuchen Jugendliche arabisch-palästinensischer Herkunft die Seminare. Kam die Diskussion im Verlauf von Projekttagen auf den israelisch-palästinensischen Konflikt, wurde oftmals deutlich, dass es zwar einen großen Gesprächsbedarf zu diesem Thema gibt, dass jedoch sachliche Diskussionen aufgrund hoher Emotionalität und fehlenden Faktenwissens selten möglich waren.
Mit dem Angebot von Miphgasch/Begegnung e.V. wird versucht, den Gesprächsbedarf aufzugreifen und dabei Fakten und Emotionen zu sortieren und zu strukturieren. Ziel der Projekttage ist es, den Jugendlichen ein näheres Verständnis zu vermitteln, wie es zur Gründung des Staates Israel kam, welche zentralen Ereignisse dem vorausgingen und einen kleinen Eindruck davon zu vermitteln, wie sich die Situation heute auf das Alltagsleben einfacher Menschen auswirkt.
Im ersten Teil des Seminars geht es darum, anhand eines Zeitstrahls einen allgemeinen Überblick über wichtige Ereignisse zusammenzutragen. Dabei können die Jugendlichen ihr Vorwissen einbringen. Deutlich wird hierbei in der Regel, dass dieses Vorwissen zumeist sehr gering ist. Vor allem über die Zeit vor 1948 gibt es nicht nur kaum Faktenwissen, sondern vor allem auch sehr falsche Vorstellungen von der Situation im damaligen Palästina. So denken viele der an den Projekttagen beteiligten Jugendlichen, es hätte vor der Gründung des Staates Israel dort bereits einen Staat Palästina im heutigen Nationalstaats-Verständnis gegeben, der dann durch die Staatsgründung Israels zerstört worden sei.
In diesem Teil des Seminars stehen also die politischen Machtverhältnisse (Osmanisches Reich, Britisches Mandat, UN-Teilungsplan) sowie die Entstehung der jüdischen und der arabischen Nationalbewegungen im Mittelpunkt. Die Annäherung an die Geschichte der Nationalbewegungen erfolgt über biografisches Arbeiten zu Personen wie Theodor Herzl als Vertreter der zionistischen Bewegung sowie über Khalil as-Sakakini als Vertreter der arabischen Nationalbewegung. Anhand der politischen Ziele dieser Akteure sowie mit Hilfe von weiteren Zusatzinformationen können sich die Jugendlichen über die Motive und das Vorgehen der jeweiligen Gruppen informieren.
In einem zweiten Teil beschäftigen sich die Jugendlichen mit der Flüchtlingsproblematik. Auch hier geht es darum, anhand von biografischen Materialien einen Zugang zu schaffen. Die Jugendlichen befassen sich mit der Flucht einer palästinensischen Familie aus Jerusalem wie auch mit der Flucht einer jüdischen Familie aus Libyen. Beide mussten in Folge des Konfliktes ihre Heimat verlassen.
Während die Problematik der palästinensischen Flüchtlinge den Jugendlichen ein Begriff ist, gibt es kaum Kenntnisse über die Auswirkungen des israelisch-palästinensischen Konfliktes auf die jüdischen Gemeinden in der islamischen Welt. Nicht wenige Jugendliche sind überrascht, von der Existenz solcher Gemeinden zu erfahren. Hier bietet sich also die Möglichkeit, den Konflikt in einem weiteren Kontext zu diskutieren und zugleich findet sich ein Anknüpfungspunkt, um mit den Jugendlichen auch über die vielfältige jüdisch-islamische Beziehungsgeschichte zu sprechen. Bei Miphgasch/Begegnung e.V. wurde ein Projekttag entwickelt, der auch diese Thematik aufgreift.
Der dritte Teil des Seminars befasst sich mit einem Briefwechsel zwischen einem jüdischen und einem arabischen Mädchen aus Jerusalem, die sich im Jahr 2000 bei einer Jugendbegegnung kennengelernt haben. Beide haben entdeckt, dass sie sehr wenig übereinander wissen und tauschen sich in dem Briefwechsel über ihre Erfahrungen, Wünsche, Ängste und Lebensrealitäten aus. Die Jugendlichen folgen der Lesung dieser Briefe in der Regel mit großem Interesse und hoher Aufmerksamkeit.
Im Rahmen der zwei Vormittage, die für das Projekt zur Verfügung stehen, bekommen die Jugendlichen die Möglichkeit, verschiedene Perspektiven in Bezug auf den Konflikt wahrzunehmen und sie erhalten einen ersten Eindruck von dessen Komplexität. Sie erkennen, dass viele verschiedene und berechtigte Interessen keine einfache Lösung zulassen. Der Umstand, dass im Konzept jüdische und arabische Perspektiven vorkommen, wird von den Jugendlichen zumeist anerkennend zur Kenntnis genommen und respektiert. In manchen Fällen führt dies dazu, dass Jugendliche in der Auswertung ansprechen, dass sie jetzt mehr Verständnis dafür haben, dass es einen jüdischen Staat gibt. Aber nicht immer ist es einfach, die oftmals von starken Emotionen bestimmten Ansichten zum Konflikt auf eine sachliche Ebene zu bringen. Manchmal ist es schon ein Erfolg, dass die Jugendlichen die jüdische Perspektive überhaupt anhören. Das Seminar gibt den Jugendlichen Denkanstöße, die eventuell vorhandene vorgefertigte Meinungen irritieren und die Jugendlichen mit bisher unbekannten Aspekten bekannt machen.
Zum Weiterlesen des Briefwechsels
Amal Rifa’i, Odelia Ainbinder mit Silke Tempel: Wir wollen beide hier leben. Eine schwierige Freundschaft in Jerusalem. Berlin 2003
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- 16 Dez 2010 - 11:27