Stumme Zeugen - Todesmarsch im Belower Wald
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Eckdaten
Ort/Bundesland: Brandenburg |
Bibliografie
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Akim Jah Mail: akimjah [at] zedat [dot] fu-berlin [dot] de |
Der historische Ort
Das Museum des Todesmarsches im Belower Wald befindet sich im Norden des Landes Brandenburg unweit der Kleinstadt Wittstock. Historisch betrachtet ist der Ort eng mit der Geschichte des Konzentrationslagers Sachsenhausen verbunden. Dieses Lager wurde nach dem raschen Vormarsch der sowjetischen Truppen auf Berlin aufgelöst und die meisten Gefangenen im April 1945 in mehreren Kolonnen zu Fuß Richtung Schwerin getrieben. Unzureichend mit Kleidung und Nahrungsmitteln ausgestattet, kamen sie einige Tage später in der Umgebung von Wittstock an und biwakierten völlig entkräftet im Belower Wald. Zum Schutz vor der Witterung dienten selbst errichtete Unterstände und Erdlöcher. Nach knapp einwöchigem Aufenthalt wurden die überlebenden Häftlinge weitergetrieben und im Raum Schwerin und Ludwigslust von alliierten Truppen befreit. (siehe pdf-Dokumente 1 und 2)
In Erinnerung an die Opfer dieses Todesmarsches wurde nach dem Krieg eine Gedenkstelle errichtet und 1981 ein Museum eröffnet, in dem Zeugnisse und aufgefundene Gebrauchsgegenstände der ehemaligen Häftlinge zu sehen sind. In das Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit gelangte dieser abgelegene Gedenkort, als in der Nacht vom 5. zum 6. September 2002 ein neonazistischer Brandanschlag verübt wurde, bei dem ein Ausstellungsraum sowie ein Teil der Exponate beschädigt und das Mahnmal mit Hakenkreuzen und antisemitischen Parolen beschmiert wurde.
Projektbeschreibung
Die Seminarreihe hatte drei unterschiedliche Teile, die jeweils aus drei Seminartagen in der DGB-Jugendbildungsstätte Flecken Zechlin bestanden.
Am ersten Tag des Seminars ging es für die Jugendlichen zunächst darum, ihren Bezug zum Thema Nationalsozialismus miteinander zu diskutieren sowie sich zentrale Ereignisse und Strukturen des Nationalsozialismus zu vergegenwärtigen, wobei die Verknüpfung von rassistischer Ideologie und staatlichem Aufbau des Konzentrationslagersystems im Mittelpunkt stand. Um den Todesmarsch historisch einordnen zu können, ordneten sie anhand einer Zeitleiste entscheidende Ereignisse der Jahre 1933-1945 den Zielen nationalsozialistischer Politik zu.
Der zweite Tag war der Erkundung des historischen Ortes gewidmet. Die Führung durch den Wald in Below zu den Spuren der Häftlinge dokumentierten die Jugendlichen mit Tonband, Video und Photo. Einige nutzen die Zeit nach der Führung, um noch einmal alleine in den Wald zu gehen und die Stimmung des Ortes auf sich wirken zu lassen. Anschließend teilte sich die Gruppe. Einige der Jugendlichen fuhren nach Wittstock, um dort in einem Einkaufszentrum mit Bewohnern der Region Interviews zum Anschlag auf das Museum zu führen. Andere liefen entlang der ehemaligen Todesmarschstrecke in das nahe gelegene Dorf Grabow, wo sich ein Notlazarett befunden hatte. Hier fand der zweite Teil der Führung statt. Einigen Schülerinnen war es möglich, ein Gespräch mit einer Zeitzeugin zu führen, die noch heute in Grabow lebt und den Zug der Häftlinge beobachtet hatte. (siehe pdf-Dokumente 3 und 4)
Am dritten Tag konnten die Jugendlichen unter der Fragestellung „Was denke ich über meinen Besuch in der Gedenkstätte Belower Wald und was möchte ich anderen darüber mitteilen?“ die rein kognitive Ebene zu verlassen und die Eindrücke des Exkursionstages kreativ verarbeiten. Die Vorgaben waren dabei bewusst weit gefasst: Einzel- und Gruppenarbeiten waren zulässig, auch die Form konnte frei gewählt werden. Es entstanden einige kleine Texte, ein Gedicht, ein in Gruppenarbeit erstelltes Poster und diverse Collagen. Die Kreativität, die in den Arbeiten zum Ausdruck kam, gab einen Eindruck davon, wie intensiv die Jugendlichen sich auch emotional mit dem Thema beschäftigt hatten. Die Ergebnisse wurden anschließend in der gesamten Gruppe vorgestellt. (siehe pdf-Dokument 5)
Am Nachmittag befassten sich die Jugendlichen mit dem Thema „Rechtsextremismus heute“. Sie untersuchten die Funktion und Bedeutung rechtsextremer Musik für die Strategie der extremen Rechten zunächst in Kleingruppen und anschließend im Plenum, indem sie Liedtexte bekannter Rechtsrock-Bands unter verschiedenen Fragestellungen in Bezug auf Inhalte, Bilder und Anknüpfungspunkte an den Nationalsozialismus analysierten. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass sich in weiten Teilen Deutschlands eine Jugendkultur entwickelt hat, die inhaltlich an den Nationalsozialismus anknüpft und Nährboden für eine Ideologie ist, die Anschläge wie in Below als legitimes Mittel politischer Auseinandersetzung verherrlicht.
Die Vielfalt der Methoden und Arbeitsformen ermöglichte den Jugendlichen, die Seminarthemen von unterschiedlichen Gesichtspunkten aus zu bearbeiten, sich intensiv damit auseinander zu setzten und ihre Erlebnisse und Gefühle eigenständig zu verarbeiten. Am Abend nach der Exkursion trafen sich z. B. spontan einige Teilnehmende, um sich bei laufender Kamera in gegenseitigem Erzählen über ihre Erfahrungen in Wittstock und in Grabow auszutauschen. Daraus entstand ein Text, der über den Todesmarsch, den Anschlag und die Reaktionen der Bevölkerung von Wittstock Auskunft gibt, aber auch Gefühle und Stimmungen der Jugendlichen widerspiegelt. Erst vor dem Hintergrund des Brandanschlages und der im Seminar entstanden Arbeiten entwickelten sie die Idee für ihre Ausstellung.
Für das erste Seminar lassen sich zusammenfassend vier Phasen festhalten:
- Einstiegs- und Gruppenbildungsphase
- Kognitive Wissensfundierung zu Nationalsozialismus und Rechtsextremismus
- Besuch des historischen Ortes und Interviews
- kreative und emotionale Bearbeitung des Erlebten
Die Ausstellung
Im Mittelpunkt des zweiten Seminars, das einige Wochen später stattfand, standen die Konzeption der Ausstellung, die Überarbeitung und Diskussion der verfassten Texte sowie die Vertiefung des Themas und die Reflexion der Arbeitsergebnisse des ersten Seminars. Das zweite Seminar wurde arbeitsteilig organisiert. Die Jugendlichen konnten sich einer von vier Kleingruppen zuordnen: Die erste Arbeitsgruppe recherchierte zu Häftlingsbiographien und zum Todesmarsch, die zweite zum Rechtsextremismus und den Hintergründen des Anschlags, die dritte bearbeitete das audio-visuelle Material und die vierte entwickelte ein Konzept für die Ausstellung. Durch diese Vorgehensweise konnten sich die Jugendlichen jeweils die Medien und die Inhalte suchen, die sie besonders ansprachen. Sie hatten die Möglichkeit, Texte zu schreiben, zu recherchieren, sich kreativ, konzeptionell oder handwerklich zu betätigen.
Die Arbeit in den Kleingruppen erfolgte jeweils unter professioneller Anleitung: Die Betreuung der ersten beiden AGs wurde durch das Leitungsteam (ein Historiker und ein Politologe) realisiert, die sowohl bei der inhaltlichen Recherche als auch beim Verfassen der Texte Unterstützung leisteten. Die technische Betreuung der dritten AG erfolgte durch einen Medienpädagogen der Bildungsstätte und die Konzept - AG arbeitete mit einem Ausstellungsdesigner zusammen.
Das Ergebnis dieses Seminars war die Ausstellung, die den Namen "Stumme Zeugen - eine Ausstellung über den Belower Wald“ erhielt. Im ersten Teil der Ausstellung waren Texte und Fotos zur Geschichte des Todesmarsches und zum Brandanschlag auf stilisierten Bäumen angebracht. Dieser angedeutete Wald war von schwarzen Stellwänden umfasst, die trichterförmig auf eine blaue Wand zulaufen, die die Hoffnung der Häftlinge auf Befreiung symbolisiert. Danach gelangte der Besucher zu den reflexiven und künstlerischen Arbeiten der Jugendlichen. Auf sogenannten „Gästebäumen“ wurde den Besuchern die Möglichkeit der Kommentierung gegeben.
Nachdem wichtige konzeptionelle Entscheidungen in gemeinsamen Diskussionen aller AGs getroffen und ein großer Teil des Rohmaterials (Fotos, Tonbandaufzeichnungen, Texte) aufbereitet worden war, konnte mit der Realisierung begonnen werden. Die finanzielle Förderung durch das Respektabel-Programm ermöglichte es, einen Teil der technischen Umsetzung der Ausstellung als Auftragsarbeiten zu vergeben, z.B. die Anfertigung der Holzaufsteller als Träger der Exponate. In der Zwischenzeit wurden auf einem Planungstreffen Details der Ausstellung mit dem Ausstellungsdesigner geklärt. Eine Woche vor Ausstellungsbeginn konnten die Jugendlichen während eines dritten Seminars mit professioneller Unterstützung die Ausstellung in den Räumen des Museums im Belower Wald aufbauen. (siehe Bilder 1-7)
In Vorbereitung auf die Ausstellungseröffnung diskutierten sie eine Ansprache, die zwei Jugendliche vorbereitet hatten. Während der jährlichen Gedenkveranstaltung zum Todesmarsch im April 2003 eröffneten die Jugendlichen die Ausstellung mit der vorbereiteten Rede. Die Resonanz auf die Ausstellung war gerade auch unter den jüngeren Besuchern sehr positiv. Die Exponate blieben zunächst vier Monate im Belower Wald und wurden danach an weiteren Orten in Oranienburg und Berlin gezeigt. Im Oranienburger Runge-Gymnasium wurde ein Exponat gestohlen und Geld aus der Spendenkasse entwendet. Durch den Diebstahl, aber vor allem durch die Kommentare der Besucher auf den „Gästebäumen“ bekam die Ausstellung ihrerseits eine eigene Geschichte und sorgte somit für weitergehende Diskussionen. Abgerundet wurde das gesamte Projekt durch eine informelle Auswertungsrunde der Jugendlichen.
Das Seminarmodell wird auch in gekürzter Form ohne Erstellung einer Ausstellung sowie als 5-Tagesseminar weiterhin angeboten.
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- 13 Mai 2010 - 10:43