Eckdaten
Ort/Bundesland: Auschwitz / Oświęcim |
Bibliografie
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Projekt Kontakt
Internationale Jugendbegegnungsstätte ul. Legionów 11 32-600 Oświęcim Tel.: 0048 (33) 843 23 77 Fax: 0048 (33) 843 39 80 http://www.mdsm.pl/ |
Konzeption des Projektes
Die Verbrechen des Zweiten Weltkriegs sind für immer Bestandteil der Geschichte des neuzeitlichen Europas. Der deutsche Völkermord hat die Geschichte der Stadt Oświęcim dauerhaft gezeichnet. Gerade deshalb sollten die Erinnerung an und die Achtung vor den Opfern der nationalsozialistischen Verfolgungen die Einwohner der Stadt und die Kommunalverwaltung dazu bewegen, aus dem heutigen Oświęcim die Antithese von Auschwitz zu machen, ein internationales Bildungs- und Begegnungszentrum für Frieden, Toleranz und Aussöhnung der Kulturen. Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang die Bildung.
In vielen polnischen Städten bedecken Graffitis Fassaden, Zäune, Verkehrszeichen und Brückenpfeiler: Parolen, Zeichen, Symbole, Bilder. Freihändig gezeichnet oder unter Verwendung zuvor angefertigter Schablonen, differenziert in Formgebung und Inhalt, sind sie verborgenes Material für grundsätzliche Überlegungen über die Gesellschaft und Kultur der Gegenwart. Unter den Graffitis allgegenwärtig sind Zeichen und Parolen, die Feindlichkeit ausdrücken - Aufschriften und Symbole rassistischen Inhalts. Die negativen und sogar feindlichen Bedeutungen der Symbole und Parolen stoßen im städtischen Raum auf Gleichgültigkeit. Die aggressive Haltung des Verfassers ist ebenso wie die Teilnahmslosigkeit des Lesers Symptom einer gesellschaftlichen Entfremdung.
Das Projekt „Mauern sprechen“ soll aktiv gegen diese Toleranz gegenüber der Verbreitung von Hass auftreten. Die Initiative, die sich an Gymnasiasten aus Oświęcim und Umgebung richtet, soll auf das Vorhandensein nationalsozialistischer und rassistischer Symbole im öffentlichen Raum der Stadt aufmerksam machen und Widerspruch dagegen wecken, dass Inhalte dieser Art toleriert werden. Die seitens der Projektorganisatoren angebotenen Workshops lehrten die Jugendlichen, sich dem Hass aktiv entgegenzustellen und versetzte sie in die Lage, Antisemitismus zu analysieren. Denn der Kampf gegen die „Sprache des Hasses“ muss damit begonnen werden, ihren Ursprung kennen zu lernen.
Dokumentation der Hassparolen
In der ersten Phase des Projektes waren die Jugendlichen dazu aufgefordert, eine fotografische Dokumentation über nationalsozialistische und rassistisch Symbole und Parolen im öffentlichen Raum der Stadt Oświęcim anzufertigen. Die Fotografien von rassistischen Parolen und Symbolen, mit Angaben über das Datum und den Ort, an dem das Foto aufgenommen wurde, und versehen mit einer kurze Notiz des Fotografen (warum war es mir wichtig öffentlich auf dieses Symbol/ diese Parole aufmerksam zu machen?) sollten im Zuge des späteren Workshops analysiert werden.
Öffentliche Debatte
Die Materialsammlung, die die Hassparolen und -symbole an den Mauern der Stadt dokumentierte, wurde zum Auslöser für eine öffentliche Debatte, die auch die im heutigen Polen verbreitetet Toleranz gegenüber solcher Zeichen als Thema aufgriff. Die Diskussion wurde auf Internetportalen geführt und vorangetrieben. Ebenfalls im Internet bemühte man sich, eine Vorgehensweise zu entwickeln, wie bei der Beseitigung rassistischer Aufschriften von Fassaden vorgegangen werden könnte.
Workshops
Im Rahmen eines vierteiligen Workshopszyklus analysierten die Jugendlichen die fotografisch dokumentierten Symbole und Parolen. Dabei sollte ein vertieftes Wissen zum Thema Rassismus und Antisemitismus sowie darüber, wie die Sprache eine Gesellschaft, z.B. durch rassistische Botschaften, beeinflusst, die Jugendlichen dazu befähigen, einen kritischen Blick auf die gesellschaftliche Realität zu werfen und bewusst Stellung zu beziehen („es ist mir gleichgültig….“ oder „es ist mit nicht gleichgültig, dass die Mauern in Oświęcim mit Hasssymbolen und rassistischen Parolen bedeckt sind“). Zudem sollte ihnen ermöglicht werden, sich an konkreten Maßnahmen für eine offene Gesellschaft zu beteiligen, z.B. an einer Bürgerlobby gegen rassistische Symbole.
Der erste Teil der Workshops thematisierte nationalsozialistische Parolen und Symbole. Das Seminar stützte sich dabei auf den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust. Vor diesem historischen Hintergrund waren die Jugendlichen dazu aufgefordert, die nationalsozialistische Propaganda zu analysieren, deren Elemente, wie Theorien von einem geheimen Feind oder Spion und Mythen bezüglich der Juden oder Roma, trotz der Zeit, die seither verstrichen ist, weiterhin in der Gesellschaft existent sind. Die Jugendlichen lernten, auf solche Inhalte zu reagieren, indem sie Protestbriefe schrieben, lokale Aktionen initiierten und mit Medien zusammenarbeiteten.
Im zweiten Workshop vermittelten Trainer das Konzept der Gewaltfreien Kommunikation. Die Jugendlichen lernten, Gefühle zu diagnostizieren und auszudrücken sowie Verantwortung für ihre eigenen Gefühle zu übernehmen. Sie übten negative Sprachbotschaften anzuhören und mit einer positiven aktionsbezogenen Sprache zu reagieren, um sich so auf die aktive Unterstützung der demokratischen Gesellschaft vorzubereiten. Der Schwerpunk des Workshops lag also auf der Entwicklung von Durchsetzungsvermögen und einer toleranten Haltung.
Beim dritten Teil des Workshops stand die Kulturanthropologie Pate. Es wurde versucht eine kulturelle Analyse der „Sprache der Mauern“ vorzunehmen. Die Workshopteilnehmer setzten sich mit gesellschaftlichen Aspekten von Antisemitismus, Rassismus und Ausschließung auseinander. Zudem versuchten sie, die versteckten anonymen, rassistischen oder antisemitischen Botschaften der „Sprache der Wände“ zu enthüllen und zu verstehen.
Der letzte Teil des Workshopzyklus war dem Gedenken in der Kunst gewidmet. Der Vortrag des Akademikers und Künstlers Rafa Jakubowicz beschäftigte sich mit Kunstwerken – Malerei, Denkmälern, Anti-Denkmälern, Installationen und Filmen in der Konvention eines Dokumentes – die sich mit der Problematik der Judenvernichtung auseinandersetzen. Die Jugendlichen standen dem Vortrag, als Form eines Workshops, distanziert gegenüber, wie die Evaluation, die am Ende des Projektes durchgeführt wurde, zeigte.
Zusammenfassung des Projektes
Für die Durchführung des Projektes konnten viele externe Akteure gewonnen werden: Der Künstler Rafał Jakubowicz, Beata Machul-Telus, Autorin des „Landesweiten Programms gegen Rassendiskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und damit verbundener Intoleranz 2004-2009“, die internationale Trainergruppe und Vertreter der Gesellschaft der Roma in Polen –Joanna Talewicz-Kwiatkowska und Daniel Bartłomowicz.
Didaktischer Text
Das Projekt macht auf die Zeugnisse des Hasses aufmerksam, die auf den Mauern der polnischen Städte zu finden sind. Obwohl Oświęcim ein Ort von besonderer historischer Bedeutung ist, liegt die Ursache für die nationalsozialistischen und rassistischen Parolen im öffentlichen Raum der Stadt in demselben Hass begründet, der auch an anderen Orten des Landes die Quelle für Aggressionen, Intoleranz und Antisemitismus ist. Es ist deshalb außergewöhnlich wichtig, auf das tolerierte Vorhandensein der Zeichen und Botschaften des Hasses im Alltag der polnischen Städte aufmerksam zu machen. Das Böse, dass darin Ausdruck findet, ist umso gefährlicher, als es als unwichtig unterschätzt wird.
Im Zuge des Projektes lernen Jugendliche, dass der öffentliche Raum einen gemeinsamen Wert der lokalen Gemeinschaft darstellt und deshalb vor Hass oder Intoleranz in jeder Gestalt geschützt werden muss. Indem sie Formen gesellschaftlicher Aktivität in ihrem Umfeld kennen lernen, werden die Jugendlichen ermuntert, lokale Aktionen zu initiieren. Die Übungen nach dem Konzept der Gewaltfreien Kommunikation ermöglichen eine Verbesserung der Beziehungen unter den Jugendlichen.
Übersetzung: Thekla Lange
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- 13 Mai 2010 - 10:50