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Christa Niclasen Löcknitz-Grundschule Berlin Berchtesgadener Straße 10-11 D-10779 Berlin Tel.: +49 (0) 30 75 60 71 64 Fax: +49 (0) 30 75 60 43 15 |
Die Löcknitz-Grundschule in Berlin-Schöneberg - Der geschichtliche Hintergrund
Das Bayerische Viertel in Berlin-Schöneberg wurde zu Beginn des Jahrhunderts auch "Jüdische Schweiz" genannt, denn es war ein Zentrum jüdischen Lebens. Anfang der dreißiger Jahre lebten ca. 16.000 Juden und Jüdinnen im Umkreis der Löcknitz-Grundschule. Auf dem heutigen Gelände der Schule wurde 1910 die jüdische Synagoge Münchener Straße 37 eingeweiht. Sie bildete das Zentrum jüdischen Lebens im Bayerischen Viertel. Die Synagoge wurde am 9. November 1938 kaum beschädigt, fiel aber den Bombenangriffen während des Zweiten Weltkrieges weitgehend zum Opfer und wurde 1956 endgültig abgerissen. Heute steht der Schulpavillon an der Stelle der Synagoge.
An der Hecke in der Münchener Straße, die an das Schulgebäude grenzt, steht ein Denkmal des Bezirks zur Erinnerung. Seit 1993 sind die Straßen des Einzugsbereichs der Schule gesäumt von Schildern, die von den gesetzlichen Repressalien bzw. der Judenverfolgung berichten.
Hieraus ergibt die besondere Bindung der Schule an diesen schrecklichen Abschnitt unserer Geschichte. Teil der Unterrichtseinheit "Nationalsozialismus" in der 6. Klasse ist daher immer wieder die altersgemäße intensive Beschäftigung mit dem Schicksal der jüdischen Mitbürger. Zeitzeugen berichten von ihren Erlebnissen im Unterricht, auf Unterrichtsgängen werden die Erinnerungsschilder erarbeitet, Klassen nehmen an der jährlichen Kranzniederlegung des Bezirks teil und besuchen die Ausstellungen und Unterrichtsangebote des Heimatmuseums, der Synagogen und des Jüdischen Museums Berlin.
Der Anfang eines Denkmals
Im Schuljahr 1994/95 entstand im Rahmen einer Unterrichtseinheit zum Thema Nationalsozialismus in einer 6. Klasse die Idee, eine Denksteinmauer für jüdische Mitbürger des Bezirks Schöneberg auf unserem Schulgelände zu errichten. Sie geht auf den Kasseler Künstler Horst Hoheisel zurück, der ein "Mahnmal von unten" anregte.
Die Schülerinnen und Schüler beschäftigten sich zunächst intensiv mit Listen des Schöneberger Heimatmuseums, in denen mehr als 6.000 Namen jüdischer Mitbürger des Bezirks Schönebergs aufgezeichnet sind, die durch den Nationalsozialismus den Tod fanden. Jede Schülerin und jeder Schüler sucht sich aus diesen Listen den Namen eines damaligen jüdischen Mitbürgers heraus, dem ein Stein gewidmet werden sollte. Ob dabei Bezugspunkte zum Namen, zum Alter, zum Geburtsdatum oder zur Straße und Hausnummer von der jeweiligen Schülerin bzw. dem Schüler gewählt wurde, war ihnen völlig freigestellt. Jedes Kind der Klasse gedachte eines Menschen, indem der Name und das Todesdatum auf einen Mauerstein geschrieben wurde (siehe Bilder).
Viele Schüler versuchen in den entsprechenden Häusern noch etwas von "ihrem jüdischen Mitbürger" zu erfahren, haben sie Erfolg, berichten sie mit Engagement und teilweise offener Bestürzung. Als zusätzliche Idee der Schülerinnen und Schüler, die zum größten Teil die Häuser ihres Mitbürgers besuchten, entstand eine ständige Ausstellung im Schulgebäude. Sie zeigt die Fotos von Wohnhäusern im Schulbezirk, in denen jüdische Mitbürger gelebt haben.
In der Gedenkfeier im Juni 1994, an der der Bezirksbürgermeister, die Stadträtin, die Eltern, Lehrer und Schülerinnen der 5. und 6. Klasen teilnahmen, sprachen die Kinder über "ihren Mitbürger" (siehe Bilder).
"Ich denke an ..."
weil er genauso hieß wie ich und am .... im Konzentrationslager in Auschwitz umkam, weil sie in meinem Haus wohnte und am ... im Konzentrationslager in Auschwitz umkam, weil sie am gleichen Tag wie ich Geburtstag hat ... und ... weil er nur 2 Jahre alt geworden ist ... und ... weil sie so heißt wie meine Schwester ... und ... weil er an meinem Geburtstag umkam ... weil sie an meinen Geburtstag genau 117 Jahre alt gewesen wäre ...
Schülerinnen und Schüler, die an der Feierstunde teilnahmen, äußerten während der Erarbeitung der Unterrichtseinheit in ihrer Klasse wiederum das Interesse, diese Aktion fortzuführen. So erweiterte die Parallelklasse in einer Feier die Denksteinmauer mit den von ihnen ausgewählten Namen. Die anerkennenden Berichte der Tagespresse erfreuten die Schülerinnen und Schüler und unterstützten ihr Bemühen, soviel wie möglich über die Zeit des Nationalsozialismus zu erfahren. In einer ausgedehnten Unterrichtseinheit beschäftigte sich die Klasse sehr intensiv mit dem Thema Judenverfolgung. Die Schülerinnen und Schüler untersuchten in diesem Zusammenhang die Schulchronik der Jahre 1931 bis 1939, in der sich die Auswirkungen der politischen Entwicklungen auf das Schulleben widerspiegeln [siehe Dokument]. Inzwischen unterhalten wir zudem zahlreiche Kontakte zu Zeitzeugen aus dem In- und Ausland (siehe pdf-Dokument), die wir regelmäßig zu Gesprächen mit den Kindern einladen.
Gedenksteinniederlegung
Der Einladung zu unserer Gedenksteinniederlegung im Jahr 1997 folgte u.a. Ignatz Bubis, ehemaliger Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland. Die Schülerinnen und Schüler bereiteten sich intensiv auf diesen Besuch vor und stellten Fragen zusammen, die sie Herrn Bubis in einer im Radio übertragenen Gesprächsrunde stellten (siehe pdf-Dokument und Bilder).
In seiner Ansprache würdigte Herr Bubis die Arbeit der Schule mit bewegenden Worten: " ...Namen spielen im Judentum eine ganz große Rolle. Eine solche Mauer mit Namen, an denen sich jeder fest machen kann, hat eine besondere Bedeutung." Er wies die Schüler auf ein jüdisches Sprichwort hin, das die Schülerinnen und Schüler zum Leitmotiv ihrer Projektarbeit gemacht hatten: "Menschen, die man vergisst, sterben ein zweites Mal".
Das "Denk-mal" lebt
Die Denksteinmauer befindet sich am Rand unserer Gymnastikwiese unter Bäumen und ist für die Schülerinnen und Schüler jederzeit präsent. Eltern, die die Schule besuchen, nutzen oft die Gelegenheit, sich dieses Projekt anzuschauen. Inzwischen kommen auch Schulklassen aus anderen Bezirken und Schulen, um sich über das "Denk-mal" zu informieren. Oft werden sie dann von den Schülerinnen und Schülern der 6. Klassen bei ihrem Rundgang begleitet. Rundgänge des Heimatmuseums durch das Bayerische Viertel beziehen das "Denk-mal" mit ein.
Fortführung des Projekts
Das "Denk-mal"-Projekt, das auf Wunsch der Kinder seit 1994 jedes Jahr weitergeführt wird, brachte in den vergangenen Schuljahren auch noch weitere "Steine ins Rollen": So machte eine 6. Klasse des Schuljahres 1998 den Grundriss der ehemaligen Synagoge Münchener Straße auf dem Schulhof sichtbar und stellte für die Besucherinnen und Besucher der Gedenksteinniederlegung Informationen zusammen, die die Geschichte der Synagoge zusammenfassten (siehe pdf-Dokument und Bilder). Für dieses Projekt erhielt die Löcknitz-Grundschule vom Anne-Frank-Institut in Berlin-Mitte den Edith-Wolff-Preis.
Die Parallelklasse rekonstruierte im gleichen Schuljahr auf der Grundlage historischer Vorlagen den Innenraum der Synagoge und baute ein Modell, das dauerhaft im Schulgebäude zu sehen ist (siehe pdf-Dokument und Bilder).
Eine Arbeitsgruppe richtete mit Hilfe unzähliger Spenden eine originalgetreue Museumsküche der Kriegs- und Nachkriegszeit als ‚be-greifbaren' authentischen Gruppenraum ein. Eine weitere Gruppe führte mit der Autorin Rosemarie Köhler das Projekt "Kochen wie in Kriegszeiten" durch. Anlässlich des jährlichen Gedenktages an die Opfer des Nationalsozialismus leiten jeweils die Schülerinnen und Schüler der 6.Klassen als Experten/-innen zu ihrem Thema eine Arbeitsgruppe an der Staatlichen Fachhochschule für Erzieher.
Im November 2002 erhielt die Löcknitz-Grundschule einen Anerkennungspreis der Ausländerbeauftragten des Senats von Berlin.
Im Juni 2003 wird nun der 500. Stein der Denktsteinmauer gelegt. Aus der spontanen Projektidee des "Denk-mals" entwickelte sich an unserer Schule eine fortlaufende Auseinandersetzung mit der Geschichte des Nationalsozialismus. Die Schülerinnen und Schüler werden dabei handlungsorientiert und altersgemäß behutsam an die Problematik der Judenvernichtung heranführt. Das "Denk-mal" sensibilisiert sie durch die emotionale Bindung an einen ehemaligen Mitbürger für die unmenschlichen Gewalttaten der Hitlermacht und trägt hoffentlich dazu bei, ein Bewusstsein für Gewaltfreiheit und demokratisches Denken und Handeln zu entwickeln. Die zahlreichen fächerübergreifenden Projekte, die aus dieser Unterrichtseinheit entstanden sind, haben dazu geführt, dass Diskriminierung und Gewalt an unserer Schule so gut wie gar nicht existieren, Toleranz und Akzeptanz, soziales Miteinander und gegenseitige Achtung inzwischen zum täglichen Schulalltag gehören.
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- 13 Mai 2010 - 12:00