Widerstand und Menschenrechte
Projekt Kontakt
Winfried Ernst Norbertusgymnasium Nachtweide 77 D-39124 Magdeburg Mail: schule [at] norbertus [dot] de |
Hintergrund des Projekts
Zwischen beiden Schulen Norbertusgymnasium Magdeburg und St. Zeromski Lyzeums Strzegom besteht eine langjährige Partnerschaft, in deren Rahmen immer wieder Projekte zur Geschichte der nationalsozialistischen Herrschaft und des Widerstandes dagegen stattfanden. Die Strzegom nahe gelegene Gedenkstätte des Konzentrationslager Gross-Rosen und die IJBS Kreisau ermöglichten die sinnvolle Verknüpfung beider Aspekte.
Das Projekt des Jahres 2004 greift einerseits diesen thematischen Schwerpunkt auf, erweitert und ergänzt ihn andererseits aber auch. Das geschieht, indem die Projektteilnehmer sich intensiv mit den Motiven und Zielen verschiedener Widerstandsgruppen, solchen gegen die nationalsozialistische Herrschaft, aber auch solchen, die einen langen Kampf gegen die realsozialistische/ kommunistische Bedrückung fochten, auseinander setzen und dabei das besondere Augenmerk auf die herausragende Bedeutung der Menschenrechte für die Konstituierung dieser Gruppen richten.
Inhaltliche Bezüge
Ein erster Bezug zu den Menschenrechten ergibt sich aus den Konsequenzen ihrer Negation. Die gesicherte Geltung der Menschenrechte zeigt sich als Voraussetzung dafür, dass sich Ereignisse und Erscheinungen, wie sie in Gross-Rosen greifbar werden, nicht wiederholen. Ein weiterer, inhaltlich genauer erfassbarer Bezug findet sich in den Informationen über die verschiedenen Gruppierungen des Widerstands, auch desjenigen gegen die sozialistische Regierung der VR Polen.
Zum Widerstand gegen den NS-Staat stehen die Menschenrechte in einer komplexen, mehrfach gegliederten Beziehung. Da ist zunächst zu unterscheiden zwischen ihrer Bedeutung für die Legitimation eines Widerstands gegen die Staatsgewalt einerseits und ihrer Rolle in den Plänen für die Zeit nach der Beendigung der NS-Herrschaft andererseits. Darüber hinaus lassen sich deutlich Unterschiede ausmachen hinsichtlich der gedanklichen Kontexte, in denen die Menschenrechte jeweils gesehen wurden. Zwar betrachtete man die Menschenrechte immer als eine Folgerung der Geltung des Naturrechts, aber das Naturrecht stand entweder in der Traditionslinie der Rationalität und der Aufklärung oder es wurde in der Nachfolge Thomas von Aquins religiös interpretiert.
Vor allem im "linken" Widerstand zeigte sich die Aufklärungstradition, hier wurde der Akzent auf die übernationalen Menschenrechte gelegt. Auch bei Helmuth James von Moltke wie auch bei seinem Freund Adam von Trotta findet sich die Vorstellung von dem Vorrang der Rechte des Einzelnen wie der Gesellschaft vor denen des Staates. In beiden Fällen war es die Nähe zum angelsächsischen Rechtsdenken, dass die Erinnerung an die Naturrechte lebendig gehalten hatte. Aber beide, Moltke und Trotta, blieben unter der Last des "Zerfalls aller Werte" und einer "Tyrannei" bisher unbekannten Ausmaßes nicht bei der rationalen Begründung der Menschenrechte, sondern banden sie an den Glauben an Gott und "tiefere Erkenntnis christlicher Grundsätze". Das geistig-religiöse Fundament des Widerstands ist auch den Zukunftsprojektionen Moltkes eingeschrieben, insofern es ihm letztlich weniger um einen aktiven, gewaltsamen Umsturz ging, als darum, das durch den Nationalsozialismus zerstörte Menschenbild wiederherzustellen.
Der Bezug des Widerstands im Nachkriegs-Polen zu den Menschenrechten ist unmittelbarer. Es ging seinen Vertretern um die Verwirklichung konkreter Grundrechte wie der Versammlungsfreiheit und dem Recht auf freie Meinungsäußerung. Gerade eine Bewegung wie der Samisdat veranschaulichen das, da hier eine zweite, freie Öffentlichkeit geschaffen wurde.(Vgl. zum deutschen Widerstand: Klemperer, K. v.: Naturrecht und der deutsche Widerstand gegen den Nationalsozialismus. In: Steinbach, P./Tuchel, J. (Hg.): Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Bonn 1994, S. 43ff. Zum polnischen Widerstand: Krzeminski; A.: Polen im "20. Jahrhundert. München 1993, S. 161ff.)
Projektziele
Die kurze Beschreibung nennt Polen und Deutsche Trennendes und Verbindendes. Das Trennende ist vor allem die historische Erfahrung der von Deutschland ausgehenden Gefahr der Zerstörung Polens. Das Verbindende ist der in beiden Gesellschaften vorhandene hohe Wert der Menschenrechte. Die am Projekt teilnehmenden Jugendlichen sollen auf einer diskursiv-rationalen Ebene - durch die Beschäftigung mit dem politischen Widerstand - Einsicht in diese Gemeinsamkeit gewinnen. Gleichrangig steht neben der diskursiv-kognitiven Ebene die auf einer Ebene affektiven Lernens angesiedelte Erfahrung der Übereinstimmung von weiten Teilen des alltäglichen Lebens deutscher und polnischer Jugendlicher. Der Verwirklichung dieses Ziels dienen mehrere Programmteile. Diese Erfahrung des Verbindenden im Alltäglichen ist auch deshalb ein so wichtiges Ziel, weil - trotz der Annäherung in der großen Politik - viele Ängste und auch Vorbehalte sich erhalten oder sogar durch den Prozess der europäischen Integration und seiner Folgen neu entwickelt haben. So soll auch auf der Ebene des affektiven Lernens das Verbindende die Basis für die Auseinandersetzung mit dem möglicherweise Trennenden sein.
Durchführung
Das Gesamtprojekt besteht aus zwei großen Teilen. Der erste Teil fand im Mai 2004 in Strzegom und Krzyzowa/Kreisau statt, der zweite im September in Magdeburg. Der Fahrt der deutschen Projektteilnehmer nach Polen ging der Besuch der Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz in Berlin voraus. Der Aufenthalt in Polen gliedert sich, wie bereits deutlich wurde, in zwei Abschnitte. Am Anfang steht das Kennenlernen der polnischen Projektteilnehmer, ihrer Schule und oft auch ihrer Familien, denn so weit es möglich ist, finden deutsche Schüler ihre Unterkunft in den Familien der polnischen Schüler.
Unmittelbar bei Strzegom liegt die Gedenkstätte des Konzentrationslagers Gross-Rosen. Dort erarbeiten sich die polnischen und deutschen Teilnehmer noch in sprachgetrennten Gruppen Einblicke in den Alltag der Lagerhäftlinge und das System des Terrors. Neben der Besichtigung der Lagerreste stützt sich die Erarbeitung dabei vor allem auf die in vielen Fällen zweisprachigen Materialien des Archivs. Das Ergebnis dieser Arbeitsphase sind Referate, die während des zweiten Abschnitts in der IJBS vorgetragen werden. Eine Übersetzung ist nicht notwendig, da in beiden Sprachen jeweils weitgehend übereinstimmende Informationen dargestellt werden.
Nach vier Tagen fahren die polnischen und deutschen Teilnehmer gemeinsam in die IJBS Kreisau. Hier befindet sich zunächst die Ausstellung, die sich mit dem Widerstand gegen unmenschliche und unrechtmäßige Herrschaft beschäftigt. Ein Schwerpunkt gilt den verschiedenen deutschen Widerstandsgruppen, beginnend mit dem "Kreisauer Kreis" Graf von Moltkes, es werden aber auch die unterschiedlichen Formen und bedeutende Gestalten des Widerstands gegen die kommunistische Herrschaft in der VR Polen oder der UdSSR erklärt und illustriert. Diese Ausstellung ist mehrsprachig und auch die vielfältigen Materialien und Bücher liegen in verschiedenen Sprachen vor. So eröffnet sich die Möglichkeit, dass deutsche und polnische Jugendliche in gemischten Gruppen zusammenarbeiten, indem sie die Ergebnisse auf Plakaten festhalten und später im Plenum der Gesamtgruppe vorstellen.
Neben der Beschäftigung mit der Thematik des Widerstands bietet die IJBS gute Bedingungen, um durch Sport und Spiel mögliche Sprachbarrieren zu überwinden und so eine Begegnung jenseits der gemeinsamen Arbeit zu ermöglichen.
Der zweite Teil des Projekts findet in Magdeburg statt. Auch in diesem Teil besitzt die affektive Ebene einen großen Stellenwert. So sind alle polnischen Schülerinnen und Schüler bei Gastfamilien untergebracht und gemeinsame Aktivitäten in Magdeburg und Berlin auch in der Freizeit prägen den zweiten Projektteil. Allerdings nimmt auch weiterhin die inhaltliche Beschäftigung mit dem Thema Widerstand einen großen Raum ein. So wird in Berlin die Gedenkstätte Deutscher Widerstand besucht und am nächsten Tag in den Räumen des Norbertusgymnasiums ein Workshop zum Thema "Menschenrechte damals und heute" veranstaltet. Er beginnt mit Diskussionen innerhalb der deutsch-polnischen Gruppen und enthält als zentralen Teil die kreative Gestaltung der Diskussionsergebnisse, in die auch die Erfahrungen des vorhergehenden Projektteils einfließen. Unmittelbar im Anschluss daran werden die Ergebnisse des Workshops im Rahmen einer Schulprojektwoche der Schulöffentlichkeit präsentiert.
Arbeitsformen und Methoden
Die grundlegende Methode ist hier die des Gedenkstätten-Besuchs. Der Besuch einer Gedenkstätte enthält immer eine kognitive und eine affektive Komponente. Die kognitive ist im Verlauf dieses Projektes recht stark betont worden, da mehrmals, so bereits beim Besuch der Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz, Vorträge zu erarbeiten und vorzustellen waren. Die Erarbeitung geschah dabei in der Sozialform der Gruppenarbeit. Weitere Erarbeitungsphasen bestanden beim Besuch der Gedenkstätte Gross-Rosen und während des Aufenthalts in IJBS. Hier entstanden Texte in sprachgemischten Gruppen. Es blieb aber nicht bei dem Verfassen mehr oder weniger langer Texte, sondern diese Erarbeitung ging zusammen mit der künstlerischen Gestaltung von Plakaten. Es sei auch erwähnt, dass der Schüleraustausch als solcher, zumal wenn die Jugendlichen verschiedener Länder zeitweise so eng zusammenleben und -arbeiten, bereits eine Methode ist. Darüber hinaus war ein Zeitzeugengespräch eingeplant. In ihm berichtete ein jüdischer Pole von seiner Rettung durch einen nicht-jüdischen Polen. Beide, der Gerettete und der Retter, waren in die IJBS gekommen und unterhielten sich mit den Schüler/innen über die Ereignisse im besetzten Polen.
Handlungsorientierte Komponenten unterschiedlicher Art sind - nicht zuletzt wegen der sprachlichen Barrieren - einmal in der Unterbringung in Gastfamilien beider Länder zu sehen, dann aber auch in der nicht von wenigen SchülerInnen gewählten Möglichkeit, alternativ zur Verfassung eines kurzen Vortrags, praktisch an der Pflege und Instandhaltung der Gedenkstätte Gross-Rosen mitzuwirken. Des Weiteren sind die Ergebnisse der Beschäftigung mit dem Thema Widerstand und Menschenrechte auf zwei Weisen festgehalten worden. So ist zum Einen eine Broschüre entstanden, die die Vortragstexte und Photos enthält, und zum Anderen ist eine Ausstellung organisiert worden, die zunächst im Rahmen einer Projektwochen-Präsentation mit großer Resonanz der Schulöffentlichkeit des Norbertusgymnasiums vorgestellt wurde und im Anschluss daran ihren Weg ans St.Zeromski Lyzeum in Strzegom fand, wo sie ebenfalls gezeigt wurde.
Evaluierung
Die objektivierbare Sicherung eines so komplexen, auf verschiedenen kognitiven und affektiven Ebenen ablaufenden Lernprozesses ist naturgemäß nicht leicht zu leisten. Daher zwei Zitate zum Schluss. Johannes Meißner und Florian Spengler, Schüler: "Mittlerweile liegt unsere Projektfahrt nach Polen ein Jahr zurück, doch die Erinnerungen an die Fahrt sind noch immer intensiv und lebendig. Sie hat geschafft, was kein Geschichtsbuch vermitteln kann - nämlich Geschichte lebendig zu machen." Juliane Kulessa und Selina Reck, Schülerinnen, die die Projektfahrt in besagter Broschüre dokumentierten, schreiben: "Nach einem tränenreichen Abschied, bei dem noch schnell Adressen ausgetauscht wurden, fuhren wir dann weiter Richtung Magdeburg. (...) Die meisten von uns wären sicher noch etwas länger geblieben."
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- 13 Mai 2010 - 12:16