Habe ich denn allein gejubelt?
Im Gedenken an das Kriegsende im Mai 1945 wurden zahlreiche Erinnerungen der sog. Kriegskinder publiziert, in denen diese von ihrer durch Bombenkrieg und Kriegswirtschaft geprägten Kindheit erzählen. Aus dem Blick gerät dabei nur allzu oft die "Vorgeschichte des Kriegsendes", der Aufstieg der Nationalsozialisten, die Begeisterung der deutschen Volksgemeinschaft für die Politik der NSDAP und die zur Vernichtung führende Ausgrenzung aus der Volksgemeinschaft .
Eva Sternheim-Peters füllte diese Lücke mit ihrem subjektiven Geschichtsbuch "Die Zeit der großen Täuschungen. Mädchenleben im Faschismus" bereits 1987. Überarbeitet und unter dem Titel "Habe ich denn allein gejubelt?" wurde es in den neunziger Jahren wiederaufgelegt.
1925 wurde Eva Sternheim-Peters in Paderborn geboren. Ihre Kindheit fiel in die Zeit von Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit. Als Heranwachsende erlebte sie das nationalsozialistische Deutschland, für sie geprägt durch den Zusammenhalt der deutschen Volksgemeinschaft. Eva Sternheim-Peters ist weder Zeitzeugin des Widerstandes noch eine Überlebende der nationalsozialistischen Verfolgung. Engagiert im Jungmädelbund ist sie aktive Mitläuferin und auch Täterin als Propagandistin der nationalsozialistischen Ideologie.
In dieser Erfahrung der Mittäterinnenschaft, die sie aus einer in kritischer Auseinandersetzung entwickelter distanzierter Perspektive schildert, liegt die Stärke des Buches und seine Bedeutung als Ressource für die historisch-politische Bildung über den Nationalsozialismus. In einer Mischung aus biographischen Erzählungen und kontrastierenden historischen Fakten berichtet Sternheim-Peters vom Abstieg oder den Abstiegsbefürchtungen der Bewohnerinnen und Bewohnerder deutschen Kleinstadt Paderborn in der Zeit der Weimarer Republik.
Vor diesem Hintergrund sind die "Arbeitsbeschaffungsschlacht" der Nazis ebenso wie der "Erbsensonntag" oder die Sammlungen des Winterhilfswerks für bedürftige deutsche Familien Zeichen gesamtgesellschaftlicher Solidarität und begründen die Hoffnung auf einen sozialen Aufstieg. Solidarität, Zusammenhalt und Sinngebung erfährt E., wie Eva Sternheim-Peters ihre Protagonistin nennt, in der Hitlerjugend. Hier fühlte sie sich als Teil derer, die über "Klassenschranken und Standesdünkel, konfessionelle Intoleranz und spießbürgerliche Moral siegen und die Volkswerdung vollenden würde."
Doch nicht nur die Gemeinsamkeit und Zusammenhalt sondern auch der zur Vernichtung führende Ausschluss aus der Volksgemeinschaft ist Thema des Buches. Am Beispiel der in ihrer Familie grassierenden Vorurteile gegenüber Juden, Kommunisten, Engländern, Russen, Amerikanern u.a. versucht Sternheim-Peters sich und den Leserinnen und Lesern verständlich zu machen, warum Diskriminierung und Deportation ebenso wie der Krieg aktive Unterstützung oder passive Duldung erfuhren.
Eva Sternheim-Peters legt mit ihrem Buch keine Biografie sondern ein deutlich durch ihre Perspektive gezeichnetes Geschichtsbuch vor. Es kann als Quelle für die Mentalitätsgeschichte der 20er und 30er Jahre ebenso eingesetzt werden, wie als ein, der kritischen Lektüre bedürfendes, Beispiel zur Rezeptionsgeschichte durch die Erlebnisgeneration.
Das gesamte Buch wird, ob seiner Länge, kaum Bestandteil des Unterrichts sein können. Ausschnitte der biographischen Erzählungen sind jedoch ebenso wie die von Sternheim-Peters häufig zur Illustration verwandten Texte populärer Lieder der 30er Jahre eine wichtige Ressource um zu verstehen, was einen junge Frau von ca. 20 Jahren Anfang 1945 dazu brachte "beim Einmarsch der amerikanischen Soldaten in ihrer Vaterstadt provozierend und trotzig den Arm zum deutschen Gruß zu erheben" (Zitat aus der Einleitung der 3. überarbeiteten Auflage).
Weitere Informationen:
- NS – Zustimmung und Verführung (Geschichte lernen, Heft 57). (1997)
- Kößler, Gottfried/ Giere, Jaqueline: Gruppe - Gemeinschaft und Ausschluss - Volksgemeinschaft und die Verfolgung der Minderheiten. (Reihe Konfrontationen. Bausteine für die pädagogische Annäherung an Geschichte und Wirkung des Holocaust, Heft 2). (2001) Fritz Bauer Institut Frankfurt am Main
- Richter, Erika, "Habe ich denn allein gejubelt?" Eva Sternheim-Peters: Ein Erinnerungsbuch als mentalitätsgeschichtliche Quelle (Unterricht Sekundarstufe I/II), in: Geschichte lernen Heft 57, 1997, S. 28
- Die Biographie Eva Sternheim-Peters: http://www.sternheim-peters.de/seiten/portrait.htm
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- 23 Dez 2009 - 19:24