Im Verlauf des Zweiten Weltkrieges gab es einen immer stärker werdenden Arbeitskräftemangel im Deutschen Reich, der durch den zunehmenden Einsatz von ausländischen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern ausgeglichen werden sollte. Allein in Düsseldorf waren im Januar 1942 fast 10.000 zivile ausländische Arbeitskräfte beschäftigt.
Die wichtigste Gruppe im "Ausländereinsatz” war bis Kriegsende die der Ostarbeiter, Zwangsarbeiter aus allen Ländern der Sowjetunion. Obwohl es sich beim Zwangsarbeitseinsatz um ein Massenphänomen handelte, standen dahinter unendlich viele Einzelschicksale. Eines davon wird in diesem Buch vorgestellt.
Der Erzähler Stepan Kutsay, geboren 1924, schildert zunächst die Situation im sowjetisch-deutschen Grenzgebiet. Im Mai 1942 wurde er über das Messelager Köln-Deutz nach Düsseldorf-Benrath gebracht, wo er mit vielen anderen Ostarbeitern im Walzwerk arbeiten musste. Er schildert die Härte des unfreiwilligen Einsatzes fern von der Familie, aber auch die Hilfe und Unterstützung von deutschen Kollegen.
Auch für Stepan Kutsay bedeutete das Kriegsende, wie für Tausende andere Zwangsarbeiter, nicht die persönliche Freiheit. Er wurde im stalinistischen System als Kollaborateur verurteilt und in die Verbannung geschickt. Stepan Kutsay lebt heute als Landwirt in seinem Geburtsort Ludyn in der Westukraine. Er hat keinen literarischen Text verfasst, aber einen sehr persönlichen Bericht mit einem liebevollen Blick für Details.
Er stellt die anderen Akteure als Menschen dar und erzählt ohne Bitterkeit, Hass oder Vorbehalte. Das Buch kam durch eine erstaunliche ErinnerungsIeistung zustande. Seine ersten Notizen und das Tagebuch, das er während der Zeit als Zwangsarbeiter in Düsseldorf führte, sind nach seiner Rückkehr verbrannt worden. Stepan Kutsay hat alles aus dem Gedächtnis rekonstruiert.
Ende 2003 wandte er sich an das Stadtarchiv Düsseldorf. Er sei ab 1942 als Ostarbeiter im Walzwerk der Firma Capito & Klein in Düsseldorf-Benrath eingesetzt gewesen. Er habe seine Geschichte gerade auf Ukrainisch veröffentlicht und würde gerne nach Düsseldorf kommen, um die Stadt und seine ehemalige Arbeitsstätte wiederzusehen und über eine Übersetzung seines Buches zu sprechen. Das Stadtarchiv leitete diese Anfrage an die Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf weiter. Im Jahre 2005 konnte Stepan Kutsay auf Einladung des Oberbürgermeisters Joachim Erwin als Teilnehmer des städtischen Besuchsprogrammes für ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter mit seinem Sohn Roman nach Düsseldorf kommen.
Seit 2001 lädt die Landeshauptstadt Düsseldorf als Geste der Versöhnung und Verständigung jedes Jahr eine Gruppe ehemaliger Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter zu einem achttägigen Besuch ein. Die Gäste kamen bisher aus Polen, der Ukraine, Russland und Belarus. Im Gepäck des lebhaften und genau beobachtenden Zeitzeugen Stepan Kutsay befand sich das vorliegende Buch. Der bei seinem Besuch in Düsseldorf 81 Jahre alte Bauer aus der Ukraine, wollte seinem Sohn die Stadt und die Orte zeigen, an denen er als Jugendlicher einige Jahre seines Lebens verbringen musste.
Stepan Kutsay wurde als 18-Jähriger Gymnasiast 1942 anstelle seines älteren Bruders lwan, der an Epilepsie gelitten hatte und fast blind war, zur Zwangsarbeit nach Deutschland, auf den "unbekannten Weg in ein fremdes Land", wie er selbst schreibt, geschickt. Zurücklassen musste er alles, was ihm lieb und teuer war, seine Familie, die Schule, die Freunde, die Landschaft, Nachbarn.
Ein wesentlicher Teil des Buches ist der Zeit noch vor seiner Verschleppung nach Deutschland gewidmet - der Zeit direkt nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, der das Leben in seinem wolhynischen Heimatdorf Ludyn in einer bisher nicht geahnten Weise dramatisch veränderte. Schon immer durchzogen Kriegstruppen das polnisch-ukrainischen Grenzland. Die Grenzen wurden oft neu bestimmt.
Nach dem Frieden von Brest-Litovsk 1918 gehörte Wolhynien zur Ukrainischen Volksrepublik (UNR). Bald war aber die Regierung der UNR dazu gezwungen, auf Ostgalizien und einige Teile Wolhyniens und Polesiens zugunsten Polens als Gegenleistung für die Unterstützung im Kampf gegen die Bolschewiki zu verzichten. Das Abtreten des westlichen Teils Wolhyniens wurde 1921 im Rigaer Friedensvertrag besiegelt, obwohl diese Teilung vor allem im Hinblick auf die Zusammensetzung der Bevölkerung schwer zu begründen war: die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung machten hier die orthodoxen Ukrainer aus.
Die Generation, zu der auch der Autor gehört, wurde von der immer stärker werdenden ukrainischen Nationalbewegung sowie von dem ukrainisch-polnischen Konflikt beeinflusst. Die blutige Eskalation dieses Konfliktes 1943 blieb zwar dem Autor erspart, an den Stellen im Text, wo Stepan Kutsay ausführlich auf die unterschiedlichen nationalen Zugehörigkeiten der Westukraine und speziell seines Dorfes und der Umgebung eingeht, wird aber klar, wie gespannt auch in der Vorkriegszeit diese Beziehungen waren.
Er beschreibt, was es bedeutete, in der Nähe einer Grenze zu leben, wo sich die Machtverhältnisse zwischen 1939 und 1941 häufiger änderten. Nach dem deutsch-sowjetischen Geheimabkommen des Hitler-Stalin Pakts vom 23. August 1939 wurde diese Region wie viele andere an den westlichen Grenzen der UdSSR von der Sowjetunion annektiert und in die Ukrainische Sowjetische Sozialistische Republik (SSR) eingegliedert.
Stepan Kutsay berichtet von seinem erzwungenen Weg nach Düsseldorf und den Erfahrungen im Walzwerk der Firma Capito Klein. Besonders hebt er die Hilfe der deutschen Kollegen aus dem Werk hervor. In einem letzten Teil stellt er die Befreiung durch die Alliierten, seine Aufenthalte in verschiedenen Lagern für ehemalige Zwangsarbeiter und andere "displaced persons", und die Reise und Heimkehr in die Ukraine dar. Zusätzlich beschreibt er in dieser deutschen Ausgabe seines Buches im Kapitel "Sechzig Jahre danach" seinen Aufenthalt im Rahmen des städtischen Besuchsprogrammes in Düsseldorf 2005.
Stepan Kusay stellte seinen Bericht der Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf zu Verfügung, um, wie er am Ende des Buches sagt, "zum Frieden zwischen unseren Völkern" beizutragen. Stepan Kutsay schreibt im Vorwort der ukrainischen Fassung dieses Buches, dass er hoffentlich die Veröffentlichung seiner Erinnerungen auf Deutsch noch erleben, und jeder, vor allem die Jugend, die Wahrheit über seine Geschichte als Ostarbeiter in Düsseldorf und die Unterstützung durch seine deutschen Arbeitskollegen erfahren wird. Dieser Wunsch hat sich erfüllt. Das Buch liegt auf Deutsch vor, in einer Sprache, in der sich Stepan Kutsay bis heute gut verständigen kann, und es wird hoffentlich viele Leser finden.
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- 23 Dez 2009 - 23:56