Es war ein langer Weg
Die Mahn und Gedenkstätte Düsseldorf hat es sich zu Aufgabe gemacht, in einer Schriftenreihe Zeugnisse von Menschen zu veröffentlichen, deren Leben mit der Stadt Düsseldorf in der Zeit des Nationalsozialismus auf die unterschiedlichste Weise verbunden war. Rudi Goguels Bericht aus dem politischen Widerstand ist ein solches Zeitzeugnis. Er gibt Einblick in die politischen Denk- und Verhaltensweisen einer Generation, die in der NS-Zeit nach der Brecht’schen Maxime handelte: "Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren."
Dieses lange vergriffene Buch wurde 1947 in Singen und Düsseldorf unter dem gleichen Titel veröffentlicht. Zugleich reichte der Verfasser sein Mauskript auch beim Ostberliner Dietz-Verlag ein. Die Personal-politische Abteilung (PPA) der SED lehnte es jedoch ab und versuchte sogar seine Veröffentlichung zu verhindern. 1948 druckte der Volksverlag Singen noch einmal 10.000 Exemplare nach. Doch wie viele frühe Erlebnisberichte von NS-Opfern geriet auch dieses Buch in Vergessenheit. Den Herausgebern ist die Wiederveröffentlichung nach 60 Jahren sehr zu danken.
Wer war Rudi Goguel? Gerade einmal 13 Monate und drei Wochen lebte Rudi Goguel zwischen 1933 und 1945 außerhalb von Lagern und Haftanstalten. Geboren war er in Straßburg. Abitur machte er in Freiburg. Zum Studium fehlte das Geld, deswegen machte er eine kaufmännische Ausbildung und bekam eine Stellung in einer Düsseldorfer Maschinenfabrik. Er war beim Machtantritt der Nazis 24 Jahre alt, 36 Jahre, als er als einer der ganz wenigen Häftlinge von Neuengamme am 3. Mai 1945 den Untergang der Cap Arcona in der Ostsee überlebte.
Wenige Wochen danach heiratete er seine Verlobte Lydia Bleicher, die in den Jahren seiner Gefangenschaft auf ihn gewartet und zu ihm gehalten hatte. Sie begleitete ihn auch auf seinem weiteren Weg, als er 1953 erneut wegen seiner Zugehörigkeit zur KPD verhaftet werden sollte und sich deswegen für ein Leben in der DDR entschied. Der bei der Erstveröffentlichung 39-jährige Autor Rudi Goguel schrieb im Vorwort: "Dieses Buch ist kein Tagebuch. Es ist auch keine erfundene Geschichte, sondern ein Rechenschaftsbericht."
Zu dem Bericht gehören auch Zeichnungen von damals, die in der Neuausgabe in Faksimile wiedergegeben sind. Rudi Goguel beschreibt in "Es war ein langer Weg" seine 11 Jahre in den Haftanstalten in Nazi-Deutschland: von der Untersuchungshaft zum Prozess, in dem er zu 10 Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. Nach Ablauf der Strafe beantragte die Gestapo „Schutzhaft“. Das hieß Einweisung ins Konzentrationslager.
Immer fragte Rudi Goguel nach der politischen Bedeutung der Entwicklungen und Ereignisse. Der Willkür in den nationalsozialistischen Lagern stellte er seinen Kampf um alltägliche Gerechtigkeit in einem Unrechtssystem entgegen. Er überlebte auch kraft seiner politischen Überzeugung und steht damit exemplarisch für eine Generation.
Er schrieb kein Heldenepos, sondern beschrieb auch die menschlichen Schwächen der Kameraden. Er setzte sich mit der Strategie der KPD und ihren Fehleinschätzungen kritisch auseinander und geriet damit nach dem Krieg wieder in Konflikte mit seiner Partei, als er die Deutschlandpolitik der Sowjetunion und die undemokratischen Verhältnisse in Ostdeutschland kritisierte. Man drohte ihm sogar mit Parteiausschluss. Er nahm sich zurück und reihte sich ein, wohl auch unter dem deprimieren Eindruck des Kalten Krieges, der im Westen ehemaligen NS- Funktionsträgern die Rückkehr in den öffentlichen Dienst ermöglichte, während verfolgte Kommunisten unter Generalverdacht standen und erneut verfolgt wurden.
Als Goguel wegen gesundheitlicher Haftfolgeschäden 1952 im Klinikum Berlin Buch für längere Zeit medizinisch behandelt wurde, entschloss er sich, in der DDR zu bleiben. Seine Familie folgte ihm dorthin. Rudi Goguel wurde Historiker und befasste sich an der Humboldt Universität mit der Aufarbeitung der NS-Geschichte. Sein Versuch, sein Buch "Es war ein langer Weg" in der DDR wieder zu publizieren, scheiterte an der Zensur, die von ihm die Streichung der Passagen über politische Fehler der KPD und kritikwürdiges Verhalten kommunistischer Funktionäre den KZ forderte. Dieser Forderung gab er nicht nach.
1968 schickte man ihn in der DDR gegen seinen Willen in den Ruhestand, worunter er sehr litt, aber er blieb standhaft seiner antifaschistischen Überzeugung, wie er sie verstand, treu. Rudi Goguel starb mit 68 Jahren.
Politische Biografien wie die des deutschen Kommunisten Rudi Goguel (1908 bis 1976) sind es wert, als Teil des kollektiven Gedächtnisses bewahrt zu werden, auch wenn die Utopie, für die sie sich einsetzten, Verfolgung und ihr Leben riskierten, nicht Wirklichkeit wurde, schreibt Angela Genger, Leiterin der Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf im Vorwort. Dem ist nachdrücklich beizupflichten. Das Buch ist eine unverzichtbare Quelle für das Geschichtslernen in den Schulen.
- |
- Seite drucken
- |
- 24 Dez 2009 - 00:00