Ryszard Kapuśćiński: Imperium
Ryszard Kapuśćiński wurde am 4. März 1932 in Pinsk geboren, das damals noch polnisch war und heute zu Weißrussland gehört. 1945 kam seine Familie nach Warschau. Er studierte Geschichte an der Universität in Warschau. Von 1956 bis 1981 arbeitete er als Auslandskorrespondent für die polnische Presse, vornehmlich in Asien, Lateinamerika und Afrika, wo er Dutzende von Aufständen, Bürgerkriegen und Revolutionen miterlebte.
Ryszard Kapuśćiński zählte zu den bedeutendsten Journalisten der Gegenwart. Seine Aufzeichnungen aus Gebieten des Umsturzes in Osteuropa weisen eine literarische Dimension auf, die sie nicht veralten lässt. Seine Bücher wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt. Seit 1981 lebte Kapuśćiński als Journalist und Schriftsteller in Warschau, wo er am 23. Januar 2007 verstarb. Nach Stanislav Lem ist Kapuśćiński der meistübersetzte polnische Autor.
Das Buch über die zerfallene Sowjetunion besteht aus drei Teilen von Reisejournalen aus verschiedenen Zeitabschnitten: 1939-1967, 1989 -1991 und 1992/3. Die Orte und Menschen kommen in verschiedenen Jahren und Zusammenhängen immer wieder vor. Kapuśćiński hörte den Menschen, denen er begegnete, genau zu und verstand es wie kaum ein anderer, persönliche Beobachtungen und Erlebnisse in philosophische Reflexion über die Welt und den Menschen zu verwandeln.
Das Buch beginnt mit den Erinnerungen Kapuśćińskis an das Jahr 1939 und den Einmarsch der sowjetischen Truppen in seiner Geburtsstadt Pinsk, die heute zu Weißrussland gehört. Es schildert seine ersten traumatischen Kindheitserlebnisse in der Begegnung mit dem sowjetischen Imperium: die Deportationen durch den NKWD, das spurlose Verschwinden vieler Kinder und Lehrer seiner Schule, Angst und Hunger.
Nach Stalins Tod reist er als junger Journalist mit der Transsibirischen Eisenbahn durch sieben nichtrussische Republiken der UdSSR: Georgien, Armenien, Aserbaidschan, Turkmenien, Tadschikistan, Kirgisien und Usbekistan und beschreibt das Leben der Menschen dort. Besonders eindruckvoll ist seine Schilderung von Armenien, seiner 4000 Jahre alten Kultur und dem Völkermord 1915 durch die Türken.
Im zweiten umfangreichsten Teil des Buches schildert er den Zerfall des sowjetischen Imperiums 1989-1991. Er bereiste das Land vom westlichen Brest bis Magadan am pazifischen Ozean, schildert die erbärmlichen Lebensbedingungen der Menschen in Sibirien, Workuta und die Lagerwelt der Gulags, wo die Menschen einer Vielzahl von Grausamkeiten zum Opfer fielen: Kälte, Hunger und Sklavenarbeit. Und im Kontrast dazu Moskau, in dem nun die Menschen vor McDonalds für Coca Cola und Hamburger anstehen. Im letzten Kapitel 1992/93 fasst er zusammen, was bleibt und vor welchen Dilemmata die Demokraten und Intellektuellen stehen.
Vor der ersten bis zur letzten Seite eine faszinierende Lektüre.
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- 10 Dez 2009 - 18:51