Von Martin Neumann
Sinti und Roma sind als angestammte Minderheit in Deutschland anerkannt und die einschlägigen Europaratsabkommen verpflichten die Bundesrepublik auch, sie im Unterricht zu thematisieren. Im Vergleich zu den in Brandenburg verfassungsrechtlich und schulgesetzlich berücksichtigten Sorben/Wenden ist die Umsetzung dieser Bestimmungen allerdings mangelhaft.
In den Geschichtsbüchern sind Sinti und Roma inzwischen meist am Rande der Thematik Holocaust als weitere Opfergruppe erwähnt, oft mit unscharfen Informationen. In Politik-/Sozialkundebüchern tauchten in den 1990er Jahren oft Kapitel im Kontext der Thematik Vorurteile auf (vgl. auch Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.): Informationen zur politischen Bildung 271 „Vorurteile“).
Zusätzliche Handreichungen erschienen bei Landesinstitutionen 1993 und 1998 in Berlin und 1994 in Brandenburg. Auch Veröffentlichungen aus anderen Bundesländern (Rheinland-Pfalz 1999, Baden-Württemberg 2002 = Hessen 1998) sind z. T. per Internet, z. T. per Post zu beziehen.
Nicht unproblematisch erscheint mir, dass Sinti und Roma fast ausschließlich im Kontext Völkermord und Vorurteile thematisiert werden und somit der Aspekt einer lebendigen Kultur im heutigen Deutschland völlig verloren geht. An der Universität Potsdam fand im Rahmen der sozialwissenschaftlichen Ausbildung von Lehramtsstudierenden im Sommersemester 2009 ein fachübergreifendes Seminar zu dieser Thematik statt. Bei entsprechender Qualität der Studierendenbeiträge ist geplant, in Zusammenarbeit mit dem Landesverband der deutschen Sinti und Roma Berlin-Brandenburg eine Handreichung für Lehrerinnen und Lehrer zu publizieren, die dann voraussichtlich. kostenlos zum Download über den Publikationsserver des Universitätsverlages (www.ub.uni-potsdam.de) abrufbar sein wird.
Im Folgenden sollen einige Anregungen aus dem Seminar kurz dargestellt werden:
- Sehr gut für die Thematik geeignet scheint das Einbeziehen von Vertreterinnen und Vertretern von Sinti und Roma. Hier empfiehlt sich eine Kontaktaufnahme mit dem Landesverband, der im Rahmen seiner personellen Möglichkeiten zur Verfügung steht. Für das Seminar konnten wir außerdem die junge Jazz-Sängerin und Autorin Dotschy Reinhardt (Gypsy. Die Geschichte einer großen Sinti-Familie, Frankfurt/M. 2008) für eine Lesung mit anschließendem Gespräch gewinnen.
- Für den Einstieg böte sich auch die MDR-Reportage „Djangos Lied“ über einen jungen Musiker aus Berlin an, die über den Mittschnittservice des MDR zu beziehen ist und gelegentlich auch in ARD-Sendern ausgestrahlt wird.
- Als außerschulische Lernorte sehr unterschiedlich geeignet sind die in der Region vorhandenen Mahn- und Gedenkorte: Berlin-Marzahn als Standort des 1936 eingerichteten Zwangslagers (Otto-Rosenberg-Platz sowie Gedenkensemble auf dem benachbarten Parkfriedhof Marzahn). Dieser Ort ist eher ungeeignet, da hier inzwischen ein Gewerbegebiet existiert. In höheren Jahrgängen könnten hier (wie vrsl. auch am entstehenden Mahnmal am Reichstag) Formen des Gedenkens an sich und die Problematik authentischer Orte thematisiert werden.
Literatur
- Rosenberg, O.: Das Brennglas, Abgeordnetenhaus von Berlin (Hg.): Das war für uns das Aus. Deportation der Berliner Sinti und Roma in das Zwangslager Marzahn, Berlin 2007 (Download: www.abgeordnetenhaus-berlin.de/pari/web/wdefault.nsf/vFiles/F12_1-00046/$FILE/Sinti_und_Roma_web.pdf)
- Bündnis Kein Vergessen (Hg.): 70. Jahrestag der Einrichtung des Zwangslagers für Sinti und Roma in Berlin-Marzahn. (Download: www.kein-verstecken.de/keinvergessenheft.pdf)
- Baetz, M./Herzog, H./von Mengersen, O.: Die Rezeption des nationalsozialistischen Völkermords an den Sinti und Roma in der sowjetischen Besatzungszone und der DDR. Eine Dokumentation zur politischen Bildung, Heidelberg 2007
In den Mahn- und Gedenkstätten in Ravensbrück und Sachsenhausen werden Sinti und Roma ebenfalls thematisiert. Allerdings ist es wohl ratsam, Besuche hier nicht ausschließlich zum Thema Sinti und Roma durchzuführen, da dies einerseits für den organisatorischen Aufwand der Anreise meist ein zu enges Thema sein dürfte und zweitens bei Schülerinnen und Schülern der Kontext des KZ-Systems oft fehlt und dies sowieso mitthematisiert werden müsste. In Ravensbrück ist es problemlos möglich, Seminarräume zu bekommen.
Die Sachsenhausener Ausstellung zu Sinti und Roma ist veröffentlicht in Ley, A./Morsch, G.: Medizin und Verbrechen, Berlin 2007. Viele veröffentlichte biografische Bücher von Überlebenden des Völkermords weisen Bezüge zu Ravensbrück oder Sachsenhausen auf (z. B. Franz, Guth/Winter, Stojka, auch: www.elses-geschichte.de).
Von den Studierenden positiv eingeschätzt wurden folgende Ansätze einer Thematisierung:
- Der in einem Kindergarten spielende Comic „Im Konzentrationslager“ von Walter Moers (1991) eignet sich gut zum Einstieg in die Thematik Vorurteile. Hier wird eine Kindergärtnerin durch Kinderfragen mit bestehenden Vorurteilen konfrontiert, wobei ein Sinto diese Vorurteile ad absurdum führt. Der Comic findet sich in: Konfrontationen. Bausteine für die pädagogische Annäherung an Geschichte und Wirkung des Holocaust. Heft 3 ‚Auschluss‘ von Heike Deckert-Peaceman u. a.(Fritz Bauer Institut).
- Eine Auseinandersetzung mit der Problematik des „Zigeuner“-Begriffs kann über eine Produktrallye initiiert werden, bei der Schülerinnen und Schüler Kontakt zu den Firmen aufnehmen, die „Zigeunersoßen“ u. ä. im Angebot haben und dort kritisch nachfragen. Die Antworten der Firmen sind in der Tat mitunter erstaunlich.
- An Hand von geeigneten Schlager-Texten können Rollenspiele durchgeführt werden, die sich kritisch mit „Zigeunerstereotypen“ auseinander setzen. Gut geeignet erschien hier Angela Wiedls „Wo sind die Zigeuner geblieben?“ (1995), da hier auch kritische Veröffentlichungen vorliegen. Eine kurze Recherche ergibt allerdings auch ca. 90 weitere Titel.
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- 15 Dez 2009 - 16:08