Von Matthias Steinbach
Comics als Medien historischen Lernens sind zugleich Schaufenster eines bestimmten Geschichtsbewusstseins. Sie zu lesen lohnt sich, und das nicht nur zur Unterhaltung. Das bestätigt auch eine Studie Christine Gundermanns, Doktorandin am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin.
Mit „Jenseits von Asterix“ – so der etwas missglückte Titel der Arbeit, denn es geht doch gerade mit Blick auf die Schule um Asterix und edene Definitionsmöglichkeiten, wobei im Kern zwischen „Geschichtscomics“, also Comics mit konkreten historischen Bezügen, und „Quellencomics“ ohne historischen Gegenstandsbereich unterschieden wird – letztere lediglich hinsichtlich ihrer Entstehungszeit als „Quelle im wissenschaftlichen Sinn“ verstanden.
Der sich anschließende comichistorische Exkurs bleibt insgesamt kursorisch und für Kenner doch eher hausbacken. Am überzeugendsten sind da noch die offenbar von eigenen Erfahrungen gespeisten Einlassungen zu Comics in der DDR. Im couranten Durchlauf von Lascaux, der „sixtinischen Kapelle der Urzeit“, wie Ernst Bloch so schön sagte, über den Teppich von Bayeux bis hin zum japanischen Manga wird zumindest klar, dass Comicgeschichte Weltgeschichte ist, die uns in verschiedenen kulturellen Handschriften begegnet. Dennoch vermisst man eingehende Hinweise etwa zur franko-belgischen Comictradition, und das Vorbeischreiben an „Asterix“ rechtfertigt nicht die Unterschlagung eines so instruktiven und methodisch überaus anregenden Bandes wie „Asterix und seine Zeit“[1], der bekanntlich von namhaften Althistorikern und Altphilologen besorgt wurde.
Gundermanns vorrangig historisches Erkenntnis- und Aufklärungsinteresse gilt dem Umgang mit Comics in den beiden deutschen Staaten. Hier liefert sie interessante neue Befunde und macht ein Forschungsfeld auf, dem weitere Studien zu widmen wären. So wurde dem Medium von einer moralisierenden westdeutschen Pädagogik in den 1950er- und 1960er-Jahren Effekthascherei und Oberflächlichkeit vorgeworfen. Zeitweise unterstellte man jedem kleinkriminellen Jugendlichen vorherige Comiclektüre.
In der DDR galten insbesondere amerikanische Comics als imperialistische Machwerke und „Rezepte für NATO-Söldner“, wie das Neue Deutschland 1955 so hübsch titelte. Gundermann begreift die DDR eigene Comicproduktion als unmittelbaren Reflex auf die einsickernde westliche Jugendkulturindustrie, die man durch ideologisch korrekte und zensierte Zeitschriftenangebote wie Bummi, Frösi oder Atze zu verdrängen suchte. Hannes Hegens Mosaik, der Erfolgsgeschichtscomic-Ost schlechthin, wird hingegen eine vergleichsweise große Unabhängigkeit und partielle Ideologieresistenz konzediert.
Emotionale Reserven gegen den Comic als Ausdruck autonomer und in gewisser Weise unberechenbarer Jugendkulturen hielten sich indes hier wie dort und spielten noch in die vom Historikerstreit der ausgehenden 1980er-Jahre zusätzlich aufgeladenen Debatten um Spiegelmans Maus oder den Hitler-Comic von Bedürftig und Kalenbach[2] hinein. Eine wirkliche „pädagogische Aufwertung der Comics“, so resümiert Gundermann, habe „trotz deren ökonomischer Erfolge und kulturellen Anerkennung“ bis heute nicht stattgefunden. Muss sie das, könnte man etwas provokant dagegen fragen?
Als vorrangiges didaktisches Ziel im Umgang mit Comics übernimmt Gundermann Pandels Anliegen „piktoraler Lesefähigkeit“ und plädiert für die Ausbildung „medialer Methodenkompetenz“ als einer wesentlichen Aufgabe des Geschichtsunterrichts. Das ist sicher nicht falsch, doch im Geschichtsunterricht geht es eben auch und zuerst um Geschichte, das heißt um Inhalte. Ansonsten könnte man das landauf landab ohnehin schon flügelgestutzte Fach ja gleich durch Medienkunde ersetzen.
Mit Blick auf das Thema jedenfalls wäre eine stärkere punktuelle Auseinandersetzung mit konkreten Geschichten und Geschichtsnarrativen im Comic wünschenswert gewesen, Biografien von Comickünstlern eingeschlossen. Anhand Jaques Tardis Grabenkrieg – in seinem unverwechselbaren Grau als dem Grundton der kalten Fronterfahrung des Ersten Weltkrieges – wird immerhin angedeutet, wohin die Reise gehen könnte. Wie im Falle Tardis beweisen übrigens auch Spiegelmans und Nakazawas gezeichnete Kindheitsmuster, dass der Comic am stärksten ist, wo er Autobiografie ist und gar nicht komisch sein muss, sondern Tragödien zu erzählen vermag. Nicht zufällig kommentierte Spiegelman Nakazawas „Barfuß durch Hiroshima“ mit den Worten: „Die Geschichte brennt einen radioaktiven Krater ins Gehirn, und man kann sie nie wieder vergessen.“[3] Dass gerade Geschichtscomics das Zeug dazu haben, gelesen und verstanden freilich als subjektive Dokumente von hoher Emotionalität, dafür scheint auch Gundermann zu plädieren.
Nützlich für den Einsteiger sind eine den theoretischen Teil abschließende Typologie von Geschichtscomics sowie die kommentierte Comicografie am Schluss des Bandes. Auch die Werkstattberichte zum Selbermachen von Comics im Unterricht werden handlungsorientierte Praktiker gern als Anregung entgegennehmen. Zu monieren ist schließlich, wie bei allen Bänden der Reihe, wieder die billige Aufmachung, die mangelnde Qualität des Papiers und des Druckes sowie das fehlende Personenregister – alles in allem wohl leider auch ein Ausweis des geringen kulturellen Prestiges der Geschichtsdidaktik.
Anmerkungen:
[1] Kai Brodersen (Hrsg.), Asterix und seine Zeit. Die große Welt des kleinen Galliers, mit deutschen Bildtexten von Gudrun Penndorf, München 2001.
[2] Friedemann Bedürftig / Dieter Kalenbach, Hitler, Hamburg 1989.
[3] Zit. nach: Andreas C. Knigge (Hrsg.), 50 Klassiker Comics. Von Lyonel Feininger bis Art Spiegelman, Hildesheim 2004, S. 204.
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- 2 Mär 2010 - 10:52