James F. Tent über Schicksale deutsch-jüdischer Mischlinge im Dritten Reich.
In den Nürnberger Rassegesetzen von 1935 verankerten die Nationalsozialisten die aus der imperialen Rassen- und Kolonialpolitik stammende Definition, Menschen aus sogenannten Mischehen in Gruppen von "Mischlinge ersten Grades" oder "Mischlinge zweiten Grades" einzuteilen.
Bekannt ist hauptsächlich, dass diese Bezeichnung Nachkommen aus „jüdisch-christlichen Mischehen“ betraf, weitaus weniger bekannt ist, dass unter die Nürnberger Rassengesetze auch die meisten Sinti und Roma fielen esowie Kinder, deren Väter afrikanischer oder asiatischer Herkunft waren. Darüber hinaus erstreckte sich der Geltungsbereich der Nürnberger Gesetze vor allem auf Deutschland und Westeuropa, nicht jedoch Osteuropa.
Der Autor behandelt diese Zusammenhänge nur unzureichend. Sein Interesse gilt ausschließlich den Menschen aus jüdisch-christlichen Familien, ihnen widmet er seine populärwissenschaftliche Studie auf der Basis von 20 Interviews und Lebensgeschichten. Diese überwiegend dem Bildungsbürgertum angehörenden Deutschen waren in der NS-Zeit zweifelsohne zunehmend den restriktiven Bedingungen der nationalsozialistischen Judenverfolgung ausgesetzt. Die anfangs unentschiedene Haltung gegenüber diesen "Mischlingen" wurde schrittweise aufgegeben. Bis Ende 1942 dienten immerhin noch Tausende "jüdische Mischlinge" in der Wehrmacht, doch im weiteren Verlauf des Krieges verschärfte sich ihre Lage zunehmend, so dass früher oder später wie ihre jüdischen Verwandten die Deportation befürchten mussten.
Zwar bewahrte das Ende des Krieges die meisten von ihnen vor der systematischen Vernichtung in den Lagern im Osten, doch endete das Leiden damit nicht. Ihr Schicksal fand in der öffentlichen Wahrnehmung zunächst kaum Beachtung. Doch so vergessen, wie die Verlagsankündigung hervorhebt, ist ihre Geschichte längst nicht mehr. Sowohl seitens der Forschung, aber auch im allgemeinen Erinnerungsdiskurs ist die Thematik in den letzten zwei Jahrzehnten behandelt worden. Es erschienen eine Reihe autobiografischer Publikationen und Forschungsarbeiten.
Besonders zu erwähnen sind zwei Dissertationen: Kerstin Meiring (1995), vor allem jedoch Beate Meyer "Jüdische Mischlinge". Rassenpolitik und Verfolgungserfahrung 1933-1945 (1998). Nicht zuletzt fand der weniger historisch korrekte, aber stark emotionalisierende Film „Rosenstraße“ internationale Aufmerksamkeit. Er basiert auf der 1996 erschienenen Untersuchung des amerikanischen Historikers Nathan Stolzfus "Widerstand des Herzens. Der Aufstand der Berliner Frauen in der Rosenstraße 1943".
Der Historiker James F. Tent hatte im Jahr 1978, ausgelöst durch eine zufällige, ihn jedoch nachhaltig bewegende Begegnung mit einem Betroffenen, mit Recherchen begonnen. Seine von Empathie getragene Darstellung basiert auf ausführlichen Gesprächen mit Überlebenden dieser Gruppe und liegt nun 30 Jahre nach dem ersten Impuls für dieses Thema in deutscher Sprache vor.
Das Buch ist eher einzuordnen unter "Histotainment" im Rahmen des Holocaustdiskurses, als dass es neue Forschungsergebnisse bietet. Einige der Lebensgeschichten sind zudem längst hinreichend bekannt, weil die Betroffenen immer wieder als Zeitzeugen in Erscheinung traten. So bleibt weiterhin die Kontextualisierung der Thematik in die gesamten rassenideologische NS-Verfolgungspolitik ein Desiderat, z.B. welchen Einfluss die koloniale "Mischlingsforschung" des international anerkannten Anthropologen und Genetikers Eugen Fischer auf diesen Aspekt der NS-Rassenpolitik hatte.
Wiederum fehlt der Vergleich mit Maßnahmen gegenüber anderen "Mischlingen", die, von den Nationalsozialisten der "Unterschicht" zugerechnet und somit in der Hierarchie der Opfer weit unter den deutsch-jüdischen Mischlingen stehend, bereits ab 1933 der Zwangssterilisation und Absonderung in Heime und Lager ausgesetzt waren. Dies ist umso mehr zu bedauern, als die Debatten um Migration und Integration von Zuwanderern aus außereuropäischen Ländern eine Rückbesinnung auf die historischen, d.h. kolonialen und faschistischen Wurzel des im kulturellen Code nahelegen, der vielen EU Staaten weder bewusst noch wirklich überwunden ist.
Der Autor, Prof. Dr. James F. Tent, lehrt am History Department der University of Alabama (Birmingham). Sein Forschungsschwerpunkt ist die deutsche Nachkriegsgeschichte.
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- 21 Nov 2009 - 14:19