Iris Groschek leitet die Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit und Social Media in der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte zur Erinnerung an die Opfer der NS-Verbrechen und ist Mitinitiatorin des #rememBARCAMPs. 
 
Juna Grossmann verantwortet u.a. die Online-Redaktion und Marketing im Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit und ist Mitinitiatorin des #rememBARCAMPs.
 
Arne Jost ist pädagogischer Mitarbeiter für die Bereiche Digitales Museum und Social Media in der Gedenkstätte Hadamar und hat das #rememBARCAMP 2024 organisiert.
 

Von Iris Groschek, Juna Grossmann, Arne Jost

 

Ist die Gedenkstättenwelt bereit für ein Barcamp?

Es war einmal in einer Zeit, als Twitter noch nicht X hieß, und auf der Plattform rechte Beiträge noch nicht begünstigt und falsche Informationen nicht ungehindert verbreitet wurden. Damals brachte dieser Kurznachrichtendienst digital affine, geschichtsinteressierte Menschen zusammen. Und da begab es sich, dass unter ihnen die Möglich- keit eines „RememBarcamp“ diskutiert wurde: 

Die machen ja coole Sachen_ #remembar- camp!!!“ – mit diesem Ausruf bezog sich die Historikerin und damalige Vorsitzende des Vereins OpenHistory e.V., Karoline Döring, auf einen Tweet von @lebenswert1941 (Julia Gilfert). Ob diese den schönen Be- griff „RememBarcamp“ erfunden hat oder jemand anderes auf das Wortspiel gekommen ist, lässt sich leider nicht mehr nachvollziehen – vielleicht erinnert sich ja jemand? 

Screenshot einer Diskussion um den Hashtag #remembarcamp auf Twitter, Dezember 2015. 

Die Beitragenden in diesen Tweets bezogen sich auf Gespräche, die während des ersten Histocamps in Deutschland geführt wurden: Im November 2015 fand in Bonn erstmalig ein Barcamp für Menschen, die mit Geschichte arbeiten, statt. Organisiert wurde das Barcamp von engagierten Historikerinnen und Historikern, die mit dem Verein OpenHistory e.V. eine Struktur schufen, die anschließend weitere Histocamps anbot. Das Interesse war groß. Das niedrigschwellige und diskussionsfreudige Format lässt sich als „Unkonferenz“ beschreiben: Es fördert einen Austausch auf Augenhöhe, führt die Kommunikation über eine Spezialist*inngruppe hinaus in eine größere Öffentlichkeit und weckt Neugier auf neue Vernetzungsformen. Das führte auch dazu, dass auf dem ersten Histocamp auch einige an Gedenkstätten tätige oder an aktueller Gedenkstättenarbeit interessierte Personen dabei waren, die hauptsächlich im Bereich Vermittlung tätig waren. Die Idee, das Barcamp-Format auch speziell für Menschen anzubieten, die sich auf unterschiedliche Weise und mit verschiedenen fachlichen Hintergründen mit Geschichtsvermittlung an Gedenkstätten beschäftigen, kam noch während der Konferenz auf. Sie überzeugte sofort: Das dialogische Angebot, welches sich an den Interessen der Teilnehmenden orientiert, sollte in die Welt der Gedenkstättenpädagogik übertragen werden (Jost 2015). Der offene Charakter eines Barcamps zielt darauf, dass nicht einige Wenige durch Vorträge theoretische Diskussionen über Gedenkstättenarbeit führen. Vielmehr soll ein Raum geschaffen werden, in dem sich die Teilnehmenden selbstbestimmt auf Augenhöhe über die tägliche Arbeit vor Ort und über drängende praktische Fragen austauschen können. 

Etwa zur selben Zeit begannen Gedenkstätten generell in sozialen Netzwerken aktiv zu werden, sich im digitalen Raum zu vernetzen und gemeinsames Storytelling zu betreiben – zunächst mit Schwerpunkten auf Facebook,Twitter und Instagram. Mittels digitaler Vernetzung über diese Social-Media-Plattformen wurde die Idee eines Bar- camps für Gedenkstättenmitarbeiter*innen weiter dis- kutiert. Allerdings erwies es sich als herausfordernd, Ent- scheidungsträger*innen in der Gedenkstättenszene die Relevanz eines solchen Formats deutlich zu machen und eine Finanzierung einzuwerben. Erste Versuche, ein Bar- camp in Berlin zu organisieren, scheiterte letztlich an feh- lenden finanziellen Mitteln. Die Idee wurde jedoch weiter- verfolgt, u.a. von den Autorinnen dieses Beitrags. Und auch Entscheidungsträger*innen fingen an, die Relevanz eines solchen Angebots zu verstehen und es zu unterstützen. Im Laufe der Zeit entwickelte sich die thematische Ausrich- tung weg von dem Fokus auf Gedenkstättenpädagogik und hin in Richtung Gedenkstättenarbeit im digitalen Raum. 

Die Gedenkstättenwelt ist bereit für ein Barcamp

Einen großen Schritt voran ging es auf dem Histocamp in Berlin 2019. Auf einer Session stellten Juna Grossmann (Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit), Tessa Bouwman (Gedenkstätte Bergen-Belsen) und Iris Groschek (KZ- Gedenkstätte Neuengamme) ihre Idee für eine gemeinsa- me Storytelling-Social-Media-Aktion zum 75. Jahrestag der Befreiung vor. Dabei wurde auch klar, dass der Austausch über digitale Formate an Gedenkstätten in Form eines Barcamps von den Teilnehmenden als wichtig und unterstützenswert angesehen wurde. Im Anschluss bildete sich eine digitale Arbeitsgruppe, Sponsoren wurden gefunden und Werbematerial gestaltet. Mit Andrea Genest (Gedenkstätte Ravensbrück) fand sich eine Mitstreiterin, die sich bereit erklärte, das erste #rememBarcamp in der Gedenkstätte Ravensbrück auszurichten. Trotz erschwerter Bedingungen aufgrund der Corona-Pandemie fanden sich im Sommer 2022 in der Gedenkstätte Ravensbrück 34 Personen aus 15 Gedenkorten zusammen. Sie tauschten sich zum Schwerpunkt digitale Gedenkstättenarbeit aus, sprachen über praktische Anwendungsbeispiele, beschlossen Kooperationen, entwickelten Ideen und knüpf- ten Netzwerke (Thulin 2022). 

Sessionplanung beim #rememBarcamp 2022 in der Gedenkstätte Ravensbrück. © SHGL, Iris Groschek, 2022. 

Im folgenden Jahr richtete dann die Gedenkstätte Dachau gemeinsam mit dem Max-Mannheimer-Studienzentrum das #rememBARCAMP aus. Über 30 Personen diskutierten in16spontanenSessions.Gemeinsamwurden Visionen für digitale Gedenkstättenarbeit entwickelt, Technik und Software getestet, Apps vorgestellt und immer wieder intensiv diskutiert (Steng 2024). 

Das Gedenkstättenbarcamp ist etabliert 

Nachdem mit Ravensbrück und Dachau zwei große KZ-Gedenkstätten das Format ausgerichtet hatten, war 2024 die NS-„Euthanasie“-Gedenkstätte Hadamar an der Reihe. Die Frage, ob das Format auch in einer vergleichsweise kleinen Gedenkstätte in der Provinz funktioniert, war schnell beantwortet: Über 40 Teilnehmende aus knapp 30 Institutionen meldeten sich an. Zudem gelang es, viele neue Institutionen zu erreichen, darunter zwei kleinere hessische Gedenkstätten sowie die NS-„Euthanasie“-Gedenkstätte Hartheim. Es zeigte sich: Digitale Gedenkstättenarbeit findet auch abseits von den großen Gedenkstätten und Institutionen statt. 

Abschlussrunde beim #rememBARCAMP 2024 in Hadamar. © Gedenkstätte Hadamar 

Das Feedback nach zwei intensiven Tagen war rundum positiv – angeegt und vernetzt kehrten die Teilnehmenden an ihre Institutionen zurück. Themen waren der Umgang mit rechten und antisemitischen Inhalten, Marketingstrategien für digitale Angebote und Games in der Erinnerungsarbeit sowie Theorie und Praxis digitaler Erinnerungsarbeit. Dass das Barcamp-Format konkrete Einflüsse auf die vernetzte Gedenkarbeit haben kann, zeigt sich unter anderem an der Session zur gemeinsamen Gedenkkampagne im Rahmen des 80. Jahrestages der Befreiung 2025. Hierbei wurden Ideen und Formate entwickelt; zwei Monate nach dem Barcamp fand das nächste (digitale) Treffen zu dieser Kampagne statt. 

Drei Jahre #rememBarcamp – ein Fazit 

Wen erreichen wir wie womit? Wie gehen wir mit Hass und Hetze um? Wie können digitale Projekte nachhaltig gesichert werden? Wie können wir uns immer weiterentwickeln? Blickt man auf die Sessions der letzten drei Jahre zurück, wird schnell klar, dass uns diese und viele weitere Fragen in der digitalen Gedenkstätten- und Erinnerungsarbeit weiterhin beschäftigen. Vor allem aber ist sichtbar geworden, wie viele großartige Projekte bereits umgesetzt wurden und werden und wie stark sich die digitale Arbeit in den letzten Jahren professionalisiert und als Arbeitsfeld etabliert hat.

#REMEMBARCAMP QUO VADIS? WO STEHEN WIR JETZT? 

Fast zehn Jahre, nachdem Juna Großmann auf Twitter fragte, „Na, wer hat Interesse? #histocamp“, kann man sagen: Viele! Daher wird wohl auch 2025 dieser Austausch auf Augenhöhe mit vielen Diskussionen und Projektideen zu digitaler Erinnerungsarbeit fortgeführt. 

Litereatur

Jost, Steffen: Das histocamp aus der Sicht eines Gedenkstättenpädagogen, 29.11.2015, URL: https://gedenkpaed.hypotheses.org/81 [20.9.2024]. 

Steng, Nicole: Das #rememBarcamp 2023, in: GedenkstättenRundbrief Nr. 213, 03/2024, S. 40–46. 

Thulin, Markus: RememBarcamp. Ein digitales Netzwerk der Erinnerung entsteht, 12.08.2022, URL: https://www.gedenkstaetten-hamburg.de/de/ aktuelles/news/remembarcamp-ein-digitales- netzwerk-der-erinnerung-entsteht [20.9.2024]. 

 

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