von Kirsten Pörschke, Programm-Managerin in der Körber-Stiftung, zuständig für den Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten, und Saskia Handro, Geschichtsdidaktikerin und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Geschichtswettbewerbs
Geschichtswettbewerbe haben Konjunktur. Sie ermutigen junge Menschen, sich vor Ort mit gegenwartsrelevanten historischen Fragen zu beschäftigen, das methodische Set von Historiker:innen zu nutzen und ihre Forschungsergebnisse in öffentliche Diskussionen einzubringen. Die eigene Recherche und der erste Umgang mit archivalischen Quellen oder widersprüchlichen Zeitzeug:innenerzählungen können die historische Urteils- und Argumentationsfähigkeit fördern, aber auch das Bewusstsein für die Grenzen historischer Deutungen schärfen.
Diese Fähigkeiten im Umgang mit historischen Fakten und kontroversen Deutungen gewinnen gegenwärtig an Bedeutung. Nicht erst seit der Corona-Pandemie wird erbittert um die Grenzen zwischen Fakten, Fiktionen und Meinungen gerungen, wird die Bedeutung von Wissenschaft als ‚Wahrheitsgarant‘ in Frage gestellt. Zwar sind Schlagworte wie Fake News, alternative Fakten oder Verschwörungstheorien schon länger in der Öffentlichkeit präsent, doch erweist sich die Instrumentalisierung von Geschichte und das Verklären der Vergangenheit deutschland- und europaweit zunehmend als wirksame Strategie von rechtspopulistischen Akteur:innen.
Vor dem Hintergrund dieser Debatten lud der 54. Deutsche Historikertag im September 2023 in Leipzig dazu ein, Herausforderungen im Umgang mit 'Fragilen Fakten' zu diskutieren und historisch einzuordnen. Dass auf dem größten geisteswissenschaftlichen Fachkongress historische Schüler:innenforschung nicht nur als Frage eigener Nachwuchsförderung thematisiert wurde, schien konsequent. Der gesellschaftliche und wissenschaftliche Umgang mit 'fragilen Fakten' und konkurrierenden Wahrheitsansprüchen betrifft nachfolgende Generationen und muss an der Schnittstelle von Wissenschaft, historisch-politischer Bildung und geschichtskulturellen Institutionen diskutiert werden.
Diese Akteursperspektiven haben wir in der Sektion „Mehr als Faktencheck! Historische Forschung von Schüler:innen als geschichtskulturelles Kapital“ in einen Austausch gebracht (Schlutow 2023). Für den Fokus des Panels auf den von der Körber-Stiftung ausgerichteten Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten sprachen mehrere Gründe: Er ist europaweit der älteste und größte historische Forschungswettbewerb. Die Etablierung historischer Schüler:innenforschung als schulische und geschichtskulturelle Praxis ist in Deutschland untrennbar mit dem Geschichtswettbewerb verbunden. Seit 1973 folgten mehr als 156.000 Kinder und Jugendliche der Einladung zur historischen Spurensuche, rund 36.000 Einzel- und Gruppenbeiträge sind seitdem entstanden. Dazu macht der Geschichtswettbewerb seit 2001 auch als Mitglied des europäischen EUSTORY-Netzwerks Schule.
In der genannten Sektion ging es um eine kritische Bestandsaufnahme, um erfahrungsbasierte Reflexion von Herausforderungen sowie um die Diskussion von Zukunftsperspektiven. An der Schnittstelle von Wissenschaft und Praxis wurden die Potenziale von Schüler:innenforschung als (geschichts)kulturelles Kapital (in Anlehnung an Bourdieu 2007: 95–102) in mehrfacher Hinsicht verhandelt: Zum einen wurden im Sinne der Inklusionsorientierung Möglichkeiten einer stärkeren Beteiligung von Kindern und Jugendlichen aller Schulformen und -stufen debattiert sowie die Bedeutung forschenden Lernens und geschichtskultureller Teilhabechancen als Lernerfahrung und individuelle Bildungsressource herausgestellt. Zum anderen ging es darum, die Potenziale und Grenzen historischer Schüler:innenforschung vor dem Hintergrund aktueller Herausforderungen aufzuzeigen und den Blick für die gesellschaftliche Bedeutung der Partizipation von Schüler:innen an historischer Forschung als Ressource einer offenen und pluralen Erinnerungs- und auch Debattenkultur zu schärfen.
Welche Rolle spielten und spielen Geschichtswettbewerbe für die historische Forschung, aber auch für die Demokratisierung und Pluralisierung der Geschichtskultur? Was braucht es, damit eine breite Teilhabe und geschichtskulturelle Partizipation gelingen? Wie verändert sich Schüler:innenforschung in Zeiten der Digitalisierung und angesichts ‚fragiler Fakten‘?
Diese Leitfragen wurden auf dem Historikertag diskutiert (Auszüge zum Nachhören hier). Das vorliegende LaG-Magazin dokumentiert die Beiträge und ergänzt sie um weitere Perspektiven. Damit möchten wir (angehende) Lehrkräfte, Akteur:innen in Archiven, Gedenkstätten, Museen oder historischen Vereinen darin bestärken, Schüler:innenforschung zu fördern und sich in das Praxisfeld und in die Debatte einzubringen.
Literatur
Bourdieu, Pierre: Die drei Formen des kulturellen Kapitals, in: Jurt, Joseph (Hrsg.): absolute Pierre Bourdieu, Freiburg 2007, S. 95–102.
Schlutow, Martin: HT 2023: Tagungsbericht. Mehr als Faktencheck! Historische Forschung von Schüler:innen als geschichtskulturelles Kapital, in: H-Soz-Kult, 21.10.2023, URL: www.hsozkult.de/conferencereport/id/fdkn-139305 [19.1.2024].
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- 20 Mär 2024 - 08:17