6.1 Faschistische Ideologie und Verschwörungstheorien/-mythen. Historische Einführung und Kontextualisierung
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Beitrags-Autor: Ingolf Seidel Sie müssen angemeldet sein, um das Benutzerprofil zu sehen |
Von Felix Westphal
Verschwörungsmythen als historisches Element faschistischer Ideologie
Im Schatten der Corona Pandemie rücken Verschwörungsmythen und ihre Akteure zunehmend in die öffentliche Aufmerksamkeit. Dass bei den Corona-Protesten („Querdenken“) auch immer öfter rechtsradikale Strukturen beteiligt sind (Von Lieben 2021) und Radikalisierung und Gewaltbereitschaft der selbsternannten Bewegung forcieren, ist mittlerweile unbestritten. Diese Eingliederung in verschwörungsideologische Proteste ist kein Zufall, sondern als Teil der faschistischen Denkweise zu verstehen, die in ihrer gesamten Historie nachweisbar ist.
Ursprünge der faschistischen Idee
Benito Mussolini gründete mit dem Eintritt Italiens in den Ersten Weltkrieg die sogenannte „Fasci d’azione rivoluzionaria“, was als Bund revolutionärer Aktion übersetzt werden kann. Die Fasci waren Kampfbünde, die politische Gegner*innen und als Feinde der Nation markierte Personengruppen bekämpften und schikanierten. Aus diesen Bünden entstand die politische Ideologie, die Mussolini 1935 als Faschismus benannte. Die Bewegung verstand sich bereits früh als revoltierend gegen eine Welt des Rationalismus, wandte sich gegen ein Denken in Ursache und Wirkung und verachtete die liberale Demokratie. Die moderne Gesellschaft empfanden die Anhänger*innen der Bewegung als hinderlich für die Natur des Menschen, den sie als grundsätzlich in einem unaufhörlichen Kampf befindlich definierten, dessen natürliches Ergebnis das Überleben des Stärkeren sei (Sternhell 2002: 26). Sie propagierten ein System, in dem Empfindungen und Gefühle mehr zählen sollten als objektive Überlegungen. Die Nation wurde dabei als naturgegebener Organismus verstanden, aus der der Nationalismus als ordnungsgebende Ethik resultiert, die alle notwendigen Vorschriften für das Allgemeinwohl definiert und individuelle Bedürfnisse Einzelner negiert.
Ideologischer Nährboden für Verschwörungstheorien
Aus der Ablehnung von Rationalität entstand eine Fetischisierung der Tat und des Kampfes. Die Harmonie der eigenen Gruppe (dem Volk) wurde durch den gewaltvollen gemeinsamen Kampf gegen den Feind hergestellt. Auf diesen Feind (bestimmte ethnische Gruppe, politische Gegner*innen oder Nationen) konnten und wurden sämtlichen Unstimmigkeiten der eigenen Ideologie sowie soziale Probleme projiziert: Der Kampf erfüllte somit sowohl die Funktion der eigenen Gruppenstärkung als auch der vermeintlichen Problemlösung. Wenn sämtliche Probleme als Schuld der anderen deklariert werden, rückt die eigene Gruppe automatisch enger zusammen und radikalisiert sich nach außen. Durch die immer präsente Selbstverortung in einem Kriegszustand gegen einen zerstörerischen Feind werden diese Dynamiken aufrechterhalten und die Gruppe wird gegen argumentative Ansprache von außen immunisiert. Dabei unterstützt die Glorifizierung der eigenen Emotionen und Gefühle die Selbstversicherung, stets im Recht zu sein, da das Handeln als Resultat der Empfindungen als naturgewollt betrachtet wird. Widerspruch oder Intervention von außen kann somit als Angriff auf die natürliche Harmonie des Zusammenlebens verstanden werden und zu Radikalisierung und Gewalt führen.
Strategischer Nutzen von Verschwörungstheorien für faschistische Bewegungen
Verschwörungstheorien haben, so unterschiedlich ihre Inhalte auch sind, vor allem ein gemeinsames Kernelement: Sie erzählen die Geschichte einer elitären, äußeren Macht, die der eigenen Gruppenidentität durch planvolles und boshaftes Handeln Schaden zufügen will. Durch dieses strukturell antisemitische Narrativ entsteht ein Feindbild und gleichzeitig eine Anschlussmöglichkeit für faschistische Bewegungen. Diese können die Verschwörungserzählung übernehmen und ihrer Ideologie entsprechend ausdeuten. Während Verschwörungstheorien wie die des „großen Austauschs“ der völkischen Rechten entsprungen sind und offensiv rassistische und antisemitische Ressentiments propagieren, sind andere verschwörungstheoretische Bewegungen wie die „Impfkritiker“ zunächst esoterisch geprägt und ihre inhaltliche Ausrichtung wird nach und nach durch rechte Akteure präzisiert. Die faschistische Ideologie ist durch ihre mystische Glorifizierung von Gefühl und Natur anschlussfähig an esoterische Erzählungen und kann diese durch die gezielte Installation von Feindbildern rassistisch und antisemitisch prägen. Diese konstruierten Feindbilder, die Bestätigung, mit dem eigenen Gefühl richtig zu liegen, sowie die Ablehnung einer vermeintlich elitären und korrumpierten Wissenschaft schaffen ein dynamisches Gruppengefühl, das nach außen geschlossen agiert. Ein solches Gruppengefüge ist anfällig für eine weiterführende schleichende faschistische Radikalisierung. Diese Dynamik lässt sich beispielhaft bei den Corona_Protesten beobachten: Die anfangs bürgerlichen Proteste fallen zunehmend durch die Adaption rechtsextremer Positionen auf und werden gewalttätiger. Diese Gewalt äußert sich in Zusammenstößen mit der Polizei (Pollmer und Rietzschel 2020) und Angriffen auf Journalist*innen (Zeit Online 2020) während Demonstrationen und auch in Anschlägen auf ihrem Feindbild entsprechende Institutionen (Bergholz 2020) oder auf infrastrukturelle Ziele (T-Online 2021).
Literatur
Bergholz, Andreas (2020): „Querdenker“-Terror. Sprengsatz in Berlin vor Leibniz Forschungseinrichtung gezündet. Online unter: https://www.volksverpetzer.de/bericht/querdenker-terror-berlin/. Zuletzt aufgerufen: 18.02.2022.
Mussolini, Benito (1935), Fascism: Doctrine and Instructions. Ardita, Rom.
Pfeiffer, Frank (2013), Kurze Weltgeschichte des Faschismus. Ursprünge und Erscheinungsformen faschistischer Bewegungen und Herrschaftssysteme. edition assemblage, Münster.
Pollmer, Cornelius und Rietzschel, Antonie (2020): Tag des Gedränges, Nacht der Gewalt. Online unter: https://www.sueddeutsche.de/politik/querdenken-leipzig-ausschreitungen-1.5108011. Zuletzt aufgerufen: 18.02.2022.
Salzborn, Samuel (2017): Angriff der Antidemokraten. Die völkische Rebellion der Neuen Rechten. Beltz Juventa, Weinheim/ Basel.
Speckmann, Guido / Wiegel, Gerd (2012), Faschismus. PapyRossa Vg., Köln.
Sternhell, Zeev (2002), Faschistische Ideologie- eine Einführung. Verbrecher Vg., Berlin.
Sternhell, Zeev / Sznajder, Mario / Asheri, Maia (1999), Die Entstehung der faschistischen Ideologie. Von Sorel bis Mussolini. Hamburger Edition, Hamburg.
T-Online (2021): Zur Notbremsung gezwungen. „Querdenken“-Anhänger verübten offenbar ICE-Anschlag. Online unter: https://www.t-online.de/nachrichten/panorama/kriminalitaet/id_89451150/bayern-querdenken-anhaenger-veruebten-offenbar-ice-anschlag.htm. Zuletzt aufgerufen: 18.02.2022.
Von Lieben, Matthias (2021): Querdenker-Demos. „Besonders attraktiv“ für rechtsextreme Hooligans. Online unter: https://www.deutschlandfunk.de/querdenker-demos-besonders-attraktiv-fuer-rechtsextreme.1346.de.html?dram:article_id=491385. Zuletzt aufgerufen: 18.02.2022.
Wippermann, Wolfgang (2009), Faschismus. Eine Weltgeschichte vom 19. Jahrhundert bis heute. Primus Vg., Darmstadt.
Wörsching, Mathias (2020), Faschismustheorien. Überblick und Einführung. Schmetterling Vg., Stuttgart.
Zeit Online (2020): Angriffe auf Journalisten bei „Querdenken“-Demo. Online unter: https://www.zeit.de/news/2020-11/09/angriffe-auf-journalisten-bei-querdenken-demo. Zuletzt aufgerufen: 18.02.2022.
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- 23 Feb 2022 - 07:05