2.4 Männlichkeit und Verschwörungsdenken
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Beitrags-Autor: Ingolf Seidel Sie müssen angemeldet sein, um das Benutzerprofil zu sehen |
Von Michelle Pantke, Pia Haupeltshofer und Maxi Kiesewetter
Im Kapitel „Antifeminismus und Verschwörungstheorien“ dieses Magazins ist deutlich geworden, dass Misogynie und Verschwörungstheorien oft gemeinsam auftreten. Geht man daher davon aus, dass es eine Verknüpfung zwischen Männlichkeit und Verschwörungsdenken gibt, kann ein sozialpsychologischer Zugang einen Teil dazu beitragen, diese zu erklären.
Männlichkeit ist eine an sich krisenhafte soziale Konstruktion (Kracher 2020: 154), die hegemonial mit Stärke, Kontrolle, Autonomie und Aktivität verknüpft ist und als deren diametrales Gegenüber Weiblichkeit gesetzt wird. Jungen und Männer begegnen einer Sozialisation, die ihnen vermittelt, dass sie natürlicherweise einen Anspruch auf das hätten, was mit Weiblichkeit verknüpft wird: körperliche Zuneigung, Sorgearbeit, Reproduktion (Kaiser 2020:95-108). Dementsprechend sind (heterosexuelle) Männer entgegen der gesellschaftlichen Forderung nach Autonomie stets auch von der Zugewandtheit von Frauen abhängig – ein Abhängigkeits-Autonomie-Konflikt.
Die biologistische Vorstellung, dass Männer für die Produktion und Frauen ausschließlich für die Reproduktions- und Carearbeit gemacht seien, wird zunehmend entkräftet, was laut Maskulinisten und Männerrechtlern die vergeschlechtliche Gesellschaft immer mehr vom ‚Naturzustand‘ entfernt. Die Reaktion auf diese als bedrohlich empfundenen Entwicklungen ist zumeist als logische Folge ein Anrufen soldatischer Männlichkeit, die wieder die Kontrolle über die aus den Fugen geratene Welt übernehmen müsse. Diese Idee vereint einen oberkörperfreien Attila Hildmann mit einem rührseligen Xavier Naidoo und einem Anzug tragenden Björn Höcke: Man müsse bereit sein, „für diese Sache Kopfschüsse zu kassieren“ (Hildmann 2020) und „mannhaft werden“, um „wehrhaft zu werden“ (Höcke 2015). Die gesellschaftliche Entwicklung hin zu emanzipierteren Frauen wird als unnatürlich, überkulturalisiert und dekadent verstanden und daher – weil ‚der Jude‘ den Antisemit*innen immer als das Andere gilt – oft strukturell antisemitisch begründet. Das heißt, dass beispielsweise die AfD auch davon spricht, dass der antisemitisch codierte ‚Genderwahn‘ die Frauen dazu bringe, keine Kinder mehr zu bekommen, was aber eigentlich deren natürlicher Zweck sei.
Verknüpfungen von Misogynie oder Antifeminismus und Antisemitismus lassen sich unschwer erkennen, wenn man die Akteure und Attentäter der Neuen Rechten genauer betrachtet. So äußerte etwa der Täter von Halle, dass er sich als Opfer eines „weißen Genozids“ sehe, der durch Jüdinnen*Juden organisiert und kontrolliert werde und dass diese außerdem auch verantwortlich seien für Feminismus, Migration und einen vermeintlichen Werteverfall in der Gesellschaft.
Durch pathische Projektion spalten Männer als ‚unmännlich‘ verpönte Regungen von sich ab und schreiben sie Frauen – die ihnen in diesem Moment als Ersatzobjekte dienen – zu. An ihrem Gegenüber, das sie als schwach und mächtig zugleich imaginieren, werden diese Regungen schließlich gehasst und als massive Bedrohung verstanden. (Schüßler 2020: 162f.) Misogynie und Antisemitismus haben hier eine ähnlich ambivalente Struktur, nur seien Frauen wieder ‚zähmbar‘ und zum ‚Naturzustand‘ zurückzubringen, während Jüdinnen*Juden eine bedrohliche Allmacht zugeschrieben wird, laut derer sie "die Fäden in der Hand haben", um das politische Weltgeschehen zu beeinflussen. Ebendiese Verschränkung von Antifeminismus und Antisemitismus lässt sich bspw. in den Aussagen des Attentäters von Halle entdecken. Dass jüdische Menschen als Sündenbock in dieser Vorstellung fungieren, ist ein Hauptmerkmal für einen Verschwörungsmythos, der alles Unheil und jeden vermeintlichen Verfall der Gesellschaft einer Gruppe von Menschen anhängt, ohne stichhaltige Beweise für die Existenz einer solchen Verschwörung.
Literatur
Höcke, Björn (2016) über Männlichkeit NewEraNow: https://www.youtube.com/watch?v=dvFJiPv93gc (18.02.2022)
Kaiser, Susanne (2020). Politische Männlichkeit: Wie Incels, Fundamentalisten und Autoritäre für das Patriarchat mobilmachen. Suhrkamp Verlag.
Kracher, Veronika (2020). Incels. Geschichte, Sprache und Ideologie eines Online-Kults. Ventil Verlag.
Schüßler, Michael (2020): Judenhass und der Kampf um männliche Vorherrschaft. Über den Zusammenhang von Antisemitismus, autoritärer Männlichkeit und Weiblichkeitsabwehr. In: Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft [Hrsg.]: Wissen schafft Demokratie. Schwerpunkt Antisemitismus, Band 8. Jena, S. 156–167.
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- 23 Feb 2022 - 08:05