Frauen in Konzentrationslagern. Konzeption eines Führungstages unter geschlechtsspezifischem Aspekt in der Gedenkstätte Bergen-Belsen.
Von Tanja Kleeh
Erschienen als Teil der Oldenburger Beiträge zur Geschlechterforschung, öffnet „Frauen in Konzentrationslagern. Konzeption eines Führungstages unter geschlechtsspezifischem Aspekt in der Gedenkstätte Bergen-Belsen“ einen noch oft missachteten Blickwinkel auf die Gedenkstättenpädagogik: die Vermittlung unter dem Aspekt Geschlecht. Wie Katharina Hoffmann im Vorwort festhält, ist in der historischen Bildung Sensibilität für die Kategorie „Geschlecht“ nur bedingt vorhanden. Vergangene und gegenwärtige Geschlechterbilder spielen immer noch eine entscheidende Rolle bei der Betrachtung von Geschichte, so Hoffmann. Der Zugang durch die Geschlechterperspektive berge jedoch auch Probleme, etwa dass sich in erster Linie weibliche Personen angesprochen fühlen sowie die Dichotimisierung der Geschlechter zu verfestigen.
Auch die Autorinnen Luzia Moldenhauer, Annika Freundt und Karin Baumann stellen fest, dass die Einteilung der Geschlechter zwischen Mann und Frau als natürlich gegeben angenommen wird. Mögliche Ansätze, mit denen eine Führung unter dem Aspekt „Geschlecht“ zugänglich gemacht werden könnte, lassen sich laut den Autorinnen in zwei Gruppen unterscheiden: biologische Themen und andere Themen, die auf den ersten Blick nicht frauenspezifisch erscheinen, jedoch entsprechend untersucht werden können. Hier fallen als Beispiele etwa die Bereiche Kunst, Sexualität und (NS-)Täterschaft.
Wie die Autorinnen betonen, ist das Gesamtkonzept eine Mischung aus Führung und Studientag, woraus der titelgebende Begriff Führungstag hervorgeht. Die Führung selbst ist dreiteilig – „einleitende Bemerkungen vor oder zu Beginn des Tages; Überblick zur Geschichte des Konzentrationslagers Bergen-Belsen am Lagermodell; Geländeführung“ – mit Pausen und längeren Gruppenphasen, in denen die Inhalte diskutiert werden können.
Im theoretischen Teil fragen Moldenhauer, Freundt und Baumann nach der Bedeutung von „Geschlecht“ als Kategorie, danach was eine gute Führung eigentlich ausmacht sowie den Grundlagen von „Didaktik und Lernen“.
Es herrschen, wie dargelegt wird, an dieser Stelle noch große Forschungslücken im Bereich der Geschlechterforschung. So seien die real im „Dritten Reich“ vorherrschenden Geschlechterbeziehungen bisher wenig thematisiert worden, was sich auch in den Angeboten in Gedenkstätten widerspiegle. Anhand der Darstellung des Forschungsstandes wird aufgezeigt, welche Diskussionen und vor allem Uneinigkeiten es immer wieder – und noch – über die Begrifflichkeiten gibt. Nichtsdestotrotz wird Geschlecht in der Veröffentlichung als Ordnungskategorie gesehen, die das Denken und Handeln der Täter*innen und Verfolgten beeinflusste und bis heute bestimmt, „was und in welcher Form im individuellen und kollektiven Gedächtnis gehalten wird und werden soll“ (S. 29). Die Autorinnen hinterfragen auch ihre eigene Arbeit kritisch hinsichtlich der dichotomen Verwendung von Mann und Frau. Zudem dürfe und solle nicht der Eindruck entstehen, dass bei diesem Führungstag die Gewichtung auf das Bewusstmachen von Geschlecht als Kategorie zu Ungunsten des Blicks auf das Leben und Sterben im Lager vorgenommen werde. Die geschlechterbewusste Betrachtungsweise der Führung, so die Autorinnen, bleibt vorläufig ein Ziel. Individuelle Faktoren und unterbewusste Stereotypisierungen könnten zudem dazu beitragen, wie das Vermittelnde wahrgenommen und verarbeitet wird.
Daran anknüpfend wird der Frage nachgegangen, was eigentlich eine „gute“ Führung ausmacht. Als besonders wichtig für die Wahl passender Formate wird dabei der Hintergrund der Teilnehmer*innen angesehen. Auch die Ziele der Führung sollten sich daran orientieren. Dazu zählen etwa das Vorwissen, Alter sowie die weiteren Hintergründe. Das vorliegende Konzept richtet sich hauptsächlich an weibliche Erwachsene mit universitärem Hintergrund. Die Freiwilligkeit der Teilnahme ist ein ebenfalls wichtiger Faktor, da Probleme wie fehlendes Interesse, die sich etwa bei Klassenfahrten häufig ergeben, nicht auftreten. Als konkrete Ziele setzen die Autorinnen unter anderem das klassische Vermitteln der Geschichte des Erinnerungsortes, Bildung und Aufklärung als zentrales Thema, aber auch die „Förderung des affektiv-emotionalen Lernens“ sowie die Sensibilisierung und Schaffung eines Problembewusstseins. Es sei jedoch fast unmöglich, allen Zielen gerecht zu werden. Konkret führen die Autorinnen auch Ansprüche an die führende Person selbst auf, die maßgeblich zum Gelingen beitragen. Entsprechend ist die Beschäftigung mit Didaktik und Lernen, wie es die Autorinnen tun, der nächste logische Schritt. Hier erarbeiten sie insbesondere die Besonderheiten, die Erwachsene als Zielgruppe darstellen.
Die praktische Umsetzung des Konzeptes stellen die Autorinnen anhand einer ausgewählten Station ihres Führungstages vor (Station VI Entlausung). Insgesamt gibt es zwölf Stationen. Zuvor jedoch wird der Ablauf präsentiert. Unter anderem entschieden sich die Autorinnen, nicht gemeinsam durch die komplette Ausstellung zu gehen, sondern die Führung durch Zitate aus Tagebüchern von fünf Zeitzeuginnen zu ergänzen. Dies wurde an beinahe jeder Station so gehandhabt. Zwar wird die Gefahr der Einengung des Blickes durch diesen Zugang gesehen, aber auch gleichzeitig die Chance zur Perspektivübernahme und der Empathie.
Basisinformationen werden zu Beginn des Führungstages gegeben und beinhalten die Themenkomplexe Frauen und Nationalsozialismus, die Geschichte der Konzentrationslager sowie Frauen und Täterschaft. Auch die gemeinsame Anfahrt im Bus kann hierfür bereits genutzt werden. Den einzelnen Stationen sind immer bestimmte Themen zugeordnet. So wird beispielsweise an der erwähnten Station IV –„Entlausung/Bad“ im Ablaufplan (S.108) – auf die hygienischen Bedingungen, den Verlust der Geschlechtsidentität und Schamgefühl eingegangen. Für die Stationen ist zudem der jeweilige Zeitumfang veranschlagt, in diesem Fall etwa 25 Minuten. Inhaltlich wird den Fragen nachgegangen, wie die Frauen nach Ankunft ihre Umgebung wahrnahmen und was die hygienischen Umstände für sie bedeuteten: den Verlust der Geschlechtsidentität durch Abmagerung und Scheren der Haare. Als Ziel steht die Vermittlung der Auswirkungen der KZ-Haft auf den weiblichen Körper und die weibliche Psyche, aber auch wie verschiedene Frauen mit der Situation umgingen. Die Autorinnen haben zudem genau aufgeschrieben, mit welchen Methodiken an den einzelnen Stationen gearbeitet werden soll und welche Diskussionspunkte sich ergeben könnten. Für die Station VI sind dies neben den bereits erwähnten Zitaten Kopien von Fotos.
Der Führungstag endet mit einer Abschlussdiskussion.
Fazit
„Frauen im Konzentrationslager. Konzeption eines Führungstages unter geschlechtsspezifischem Aspekt in der Gedenkstätte Bergen-Belsen“ ist ein lesenswertes Buch, nicht nur für Personen aus der historisch-politischen Bildungsarbeit. Auch Lehrer*innen können von den Gedankengängen, die die Entwicklung des Konzeptes begleiten, profitieren. An manchen Stellen merkt man der Arbeit den Ursprung aus dem universitärem Seminar an, jedoch geht dies nie zu Lasten der Verständlichkeit. Die andauernden Reflexionsprozesse sind die besondere Stärke der Arbeit der drei Autorinnen. Sie regen zugleich zur Reflexion der eigenen Arbeit an. Mit „Frauen im Konzentrationslager“ ist zugleich eine beispielhafte Arbeit gelungen, die Anregungen bietet, ein solches Format oder die Konzeption selbst umzusetzen bzw. anzuregen.
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- 24 Feb 2021 - 08:23