Das Gesetz der Szene. Genderkritik, Performance Art und zweite Öffentlichkeit in der späten DDR.
Von Tanja Kleeh
Angelika Richters Buch „Das Gesetz der Szene. Genderkritik, Performance Art und zweite Öffentlichkeit in der späten DDR“, erschienen 2019, ist eine überarbeitete Fassung der Dissertationsschrift der Autorin aus dem Jahr 2017. Die Studie leistet laut Richter keine Analyse von Performances, sondern untersucht „vielfältige, zumeist filmische und fotografische Dokumentationen, das heißt vornehmlich Bilder“ (S. 10). Die Autorin möchte mit „Das Gesetz der Szene“ Forschungsdesiderate aufarbeiten. Das Hauptaugenmerk ist dabei auf Künstlerinnen der zweiten, subkulturellen Öffentlichkeit der DDR, „ihren handlungs- und körperbasierten Kunstpraktiken und ihren Versuchen, geschlechtsspezifische Fixierungen zu durchbrechen“ (S.11) – im Untersuchungsbereich vor allem Body Art und Performance – gerichtet.
Die „zweite Öffentlichkeit“ wird von Angelika Richter als Analysekategorie verwendet. Sie möchte sich vom Begriff der Boheme und „der damit verbundenen Reproduktion stereotyper Geschlechtervorstellungen kritisch absetzen“ (S.12).
Entsprechend ihres Blickes auf die Repräsentation von Geschlecht befasst sich die Autorin zu Beginn allgemein mit dem Verhältnis von Geschlecht und Sozialismus. Dieser theoretische Teil arbeitet dabei mit den Kategorien „Subjekt“ und „Macht“, wobei Richter der poststrukturalistischen Theorie Michel Foucaults folgt. Richter geht weiter davon aus, dass das Subjekt „immer wieder durch neue Machtzusammenhänge hervorgebracht wird und somit keineswegs außerhalb der sozialen Ordnung steht“ (S.32). Entsprechend wird herausgearbeitet, wie die soziale Situation für Künstlerinnen in der DDR war und wie sie sich nach 1989 entwickelte. Wichtig ist hierfür auch das Verständnis, wie das Berufsbild der Künstlerin in der DDR einzuordnen ist. Richter sieht in der Erwerbstätigkeit der Frauen einen entscheidenden Faktor, der es ihnen ermöglichte, Existenzen aufzubauen und eigenen Lebensentwürfen zu folgen (S.41). Das Berufsbild der Künstlerin, die über ein eigenes – gegenüber Männern geringeres – Einkommen verfügte und von der Gesellschaft akzeptiert wurde, stand dem der freischaffenden Künstlerinnen gegenüber. Freiberufliche Tätigkeiten wurden mit dem Paragrafen 249 – „Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch asoziales Verhalten“ – kriminalisiert. Nicht nur die Gesetze sorgten für Diskriminierungen, auch ihr Geschlecht führte zur Marginalisierung der Künstlerinnen. So waren Frauen an Kunsthochschulen strukturell unterrepräsentiert und wurden in ihrer Kreativität abgewertet –qualitativ minderwertige Arbeit wird unmittelbar mit „weiblichem Schaffen“ assoziiert (S.45).
Angelika Richter zeichnet die kulturpolitischen Anstrengungen nach, für eine vermehrte Repräsentation der Künstlerinnen zu sorgen, etwa durch Ausstellungen nur mit Werken von Künstlerinnen. Dabei orientierte sich die Auswahl der ausgestellten Künstlerinnen und somit auch der präsentierten Werke zwar an der politischen Linie, rückte jedoch die Künstlerinnen als solche in den Fokus der Öffentlichkeit. Die Autorin bringt Beispiele aus verschiedenen Städten und Zeiträumen zusammen. Hierfür analysiert sie die entsprechenden Ausstellungskataloge, begleitende Broschüren und Korrespondenzen der Kurator*innen.
Immer wieder wird beim Lesen von Richters Werk deutlich, wie schwer es für Künstlerinnen in der DDR war, selbst Ausstellungen zu organisieren. Dies habe jedoch nicht nur für die DDR und weitere sozialistische Staaten, sondern auch Westeuropa gegolten, resümiert Richter. Entsprechend bildete sich die „zweite Öffentlichkeit“ heraus. In ihrer Definition folgt die Autorin Katalin Cseh-Varga, die darunter einen „Sammelbegriff für unterschiedliche, sogar widersprüchliche und konflikthafte Variablen, die sich in der sozialen, politischen und ästhetisch-kulturellen Sphäre ansiedelten“ (S.100) verstand. Prägend sind zudem kreative Handlungsstrategien und die signifikante Netzwerkstruktur. Zu einer differenzierten Ausprägung kam es in der DRR Richter zufolge in den 1970er- und 1980er-Jahren, da die in das System „Hineingeborenen“ nun aktiv wurden (S.101).
Dem Verhältnis von Kunst und Geschlecht ist das zweite Kapitel gewidmet. Entsprechend wirft Angelika Richter einen theoretischen Blick auf die Repräsentation von Weiblichkeit und Männlichkeit. Neben der Analyse der Geschlechterbilder im sozialistischen Realismus, also der vorherrschenden Kunstform in der DDR, wirft Richter auch einen Blick auf die kritische Frauendarstellungen in der frühen DDR. Dabei liegt der Fokus auf Film und Fotografie. Bereits in den 1960er-Jahren macht die Autorin hier alternative Darstellungen (arbeitender) Frauen aus. Für die Leipziger Fotografin Evelyn Richter bedeutete ihre Darstellung von hart arbeitenden Frauen jenseits des sozialistischen Ideals beispielsweise die Exmatrikulation von der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig. Sie entschließt sich für die Freiberuflichkeit. Anderen, wie Helga Paris, waren Veröffentlichungen gar nicht oder nur in Westberlin möglich. Ähnlich gestaltet sich die Situation beim Film. So werden etwa Dokumentationen des Regisseurs Jürgen Böttcher Strawalde verboten, „der [mit seinen Werken] ungeschönte Zeugnisse der beschwerlichen Arbeit von Frauen produziert“ (S.155).
Diese Beispiele stammen aus der ersten Öffentlichkeit, unmittelbar geprägt von staatlichen Vorgaben und Kontrollen. Um zu zeigen, wie innerhalb der zweiten Öffentlichkeit mit Entwürfen von Männlichkeit und Weiblichkeit umgegangen wurde, untersucht Angelika Richter im dritten Kapitel ihrer Studie fünf Kunstprojekte. Das Vorgehen Richters wird an dieser Stelle beispielhaft am dritten Beispiel, dem künstlerischen Wirken von Cornelia Schleime, aufgezeigt. Der Abschnitt beginnt mit biografischen Informationen über die 1953 in Ostberlin geborene Cornelia Schleime. Angelika Richter zeichnet ihren beruflichen Werdegang sowie die künstlerische Entwicklung nach. Obwohl nur wenige Abbildungen vorhanden sind, erlauben es die Beschreibungen Richters den Leser*innen einen Eindruck von der Künstlerin bzw. ihren Arbeiten zu bekommen. Spannend ist hier neben den politischen Einflüssen auf Schleimes Leben, dass auch die Zeit nach der Wende Eingang findet. So studierte die Künstlerin nach 1990 ihre umfangreiche MfS-Akte und setzte sich künstlerisch mit dieser unter anderem in der „Stasi-Serie“ auseinander. Dabei knüpft sie mit den zugehörigen Fotografien an Arbeiten aus den 1980er-Jahren an. Hauptsächlich arbeitete sie dabei mit Verschleierungspraktiken und Einschnürungen. So erarbeitete Schleime etwa in „Unter weißen Tüchern“, einem Experimentalfilm, „eine visuelle Metapher für die restriktive Situation im Staatssozialismus in der DDR […], in der progressiv auftretende[n] Menschen mit kreativem Potenzial sinnbildlich die Hände gebunden werden“ (S.307). Die darin gezeigten Bilder einer gefesselten, verschleierten Frau, in der sich abwechselnd Braut und Witwe spiegeln, suggerieren einen geschlossenen zeitlichen Kreislauf, so Richter. Die fehlende Handlung und stark eingeschränkten Aktionen repräsentierten, so die Autorin der Studie, Stillstand.
Fazit
„Das Gesetz der Szene. Genderkritik, Performance Art und zweite Öffentlichkeit in der späten DDR“ ist eine umfangreiche, detaillierte Studie über ein wenig wahrgenommenes Thema. Der sehr ausführliche theoretische Teil führt die Leser*innen in die Kunstwelt der DDR und gibt zudem Einblick in die Geschlechterrealität des sozialistischen Staates. Auch für Nicht-Kunstkenner*innen können so Erkenntnisse über die Gesellschaft der DDR und vor allem deren zweite Öffentlichkeit erlangt werden.
- |
- Seite drucken
- |
- 23 Dez 2020 - 07:27