Praxishandbuch Historisches Lernen und Medienbildung im digitalen Zeitalter.
Von Lucas Frings
Das 2017 erschienene „Praxishandbuch Historisches Lernen und Medienbildung im digitalen Zeitalter“ bündelt in vier Überkapiteln, „Grundlagen historischen Lernens mit digitalen Medien, Digitaler Wandel in Geschichtswissenschaft, Geschichtskultur und Geschichtslernen, Digitale Quellen, Darstellungen und Unterrichtsmaterialien für historisches Lernen und Lehren und Kompetenzen, Methoden & Werkzeuge historischen Lernens mit digitalen Medien, 41 Artikel. Wobei einige Autor*innen, insbesondere die beiden Herausgeber, gleich mehrere Beiträge verfasst haben. Die Herausgeber haben sich bemüht die Fülle der Artikel durch ein zu Beginn eingeführtes Querverweissystem zu ordnen und in Bezug zu setzen. Angesichts der thematischen Vielfalt und Fülle der Beiträge kann an dieser Stelle nur ein Auszug besprochen werden. Dieser kann aber ansatzweise repräsentativ für den Sammelband verstanden werden, der neben Standortbestimmungen und theoretischen Ansätzen auch Projektvorstellungen und praktische Anregungen vereint.
Ausgangspunkt des Bandes ist die Feststellung, dass die Digitalisierung aller Lebensbereiche auch den Bildungsbereich rasant verändert (hat). In einem der einleitenden Beiträge geht Daniel Bernsen auf „Funktion, Verhältnis und Raumverständnis“ (S. 37) von Medien im Geschichtsunterricht ein. In der Unterscheidung von Lernobjekt (Quellen und Darstellungen) und Lernprodukten (Darstellungen, potentiell digital) hält er fest, dass sich Objekte digitalisieren lassen, wobei sich allerdings ihr Zustand verändert. Objekte verlieren ihre Haptik, Dokumente ließen sich jedoch digital aufwerten. Originär digitale Produkte ließen sich nicht in einen Objektstatus zurückführen, ohne ihre Funktion zu verlieren. Bernsen greift auf das Konzept der Lernumgebungen (anstelle der Lernorte) zurück, die als subjektbezogene soziale Praktiken flexibel entstehen können. Mediengestützte Bildung kann Lernen vom physischen Ort (place) lösen. Die dadurch entstehenden offenen Räume (space) entstünden durch die Beteiligung von Lernenden, die mit ihren Endgeräten ortsunabhängig agieren können. Bernsen wirbt dafür, die Lernumgebungen nicht als reine Digitalisierung bestehender Lernräume zu verstehen, sondern als Möglichkeit Lernen neu zu denken.
Auch der darauffolgende Text von Ulf Kerber enthält eine Forderung. Medienbildung solle Ziel und Kern der Geschichtsdidaktik, insbesondere an Schulen, werden, Medien dienten als Vermittlung. Bestandteile von geschichtsdidaktischen Unterrichtskonzepten könnte Medienwirkungsanalyse, Medienanalyse, Medienkritik und die Vermittlung einer medial gestützten narrativen Kompetenz sein. Zusätzlich zu diesen medienpädagogischen Kernthemen beinhalte die Geschichtsdidaktik auch die Teilbereiche der Medienhistoriografie und der Geschichts- und Medienkultur. Die Vernetzung von Geschichtsdidaktik und Medienpädagogik könne auch der Bedeutung des Geschichtsunterrichts zuträglich sein und somit Stundenkürzungen in diesem Feld verhindern.
Dem Feld der Visual History widmet sich Nadja Braun. Dieser Bereich rückt die oftmals als Quellen vernachlässigten Bilder und Videos in den Blick und fördert eine visual literacy (S. 119). Ausgehend von der politischen und historischen Wirkmacht von Bildern, stellt Braun didaktisch-methodische Überlegungen an. So sei es wichtig, Schüler*innen eine visuelle Kompetenz zu vermitteln, die Bilder nicht als Abbild einer Realität, sondern als für politische Zwecke genutzt erkennt und die Funktion von Bildern in der Geschichtskonstruktion erfasst. Letztgenanntes Verständnis könne auch über die Arbeit mit Bildern erzeugt werden. Die einzelnen Akteur*innen auf Bildern und die dahinterstehenden Personen und Intentionen sollten stets besprochen werden. Dabei bemängelt sie, dass Schulbuchverlage häufig auf die stets selben Bilder zurückgriffen, welche zusätzlich ohne eine Kenntlichmachung zugeschnitten würden.
Ein Praxisproblem, der kostenlosen und zugleich rechtlich abgesicherten Mediennutzung in geschichtsdidaktischen Kontexten, nimmt Anja Neubert in den Blick. Verlagert sich das Lehren und Lernen aus dem physischen Klassenraum in virtuelle Räume mit Weiterverbreitungspotenzial können Pädagog*innen nicht mehr unbedacht Bilder aus dem Internet nutzen, sondern müssen darauf achten, dass diese urheberrechtlich unbedenklich sind und ggf. sogar bearbeitet werden dürfen. In ihrem Beitrag erläutert Neubert die Formen und Bildrechte unterschiedlicher Creative Commons Lizenzen und erörtert Potentiale dieser Open Educational Ressources. Generell sei mit diesen Quellen ein besserer Austausch von Bildungsmaterialien zwischen Lehrkräften oder bereitgestellt von Lernplattformen möglich. Im Hinblick auf historisches Lernen könnten Lernende u.a. quellenkritisches Arbeiten kennenlernen und Geschichte als Konstruktion begreifen, während Lehrende durch ein zunehmendes Angebot an Portalen, die Creative Commons-Quellen zur Verfügung stellen, ihr Unterrichtsangebot individualisieren und spezialisieren und somit unabhängiger von Schulbüchern lehren können.
Ein weiteres Beispiel für die erweiterten Möglichkeiten historischen Lernens anhand von digitalen Medien findet sich im Beispiel des Flipped Classrooms, den Fabrice Schins vorstellt. In dieser Praxis werden die Lernphasen in der Schule und Individuell außerhalb der Schulzeit umgekehrt. Statt der Grundlagenvermittlung im Klassenraum und der Vertiefung zuhause, sollen die Schüler*innen sich zuerst alleine einem Thema annähern um die Unterrichtszeit für die Anwendung der Inhalte zu nutzen. Dafür könnten Lehrer*innen Videos oder anderes Material erstellen, dass zur übergreifenden Fragestellung führt, ggf. direkt mit Arbeitsaufträgen. Die Schüler*innen könnten dann im Unterricht – alleine oder in Gruppen – auf die Unterstützung von Lehrkräften und Mitschüler*innen zurückgreifen, um Verständnisprobleme zu klären oder Inhalte zu diskutieren. Schins widmet sich insbesondere den Lernvideos. Die Lernenden, so die Autorin, würden mit Online-Videos in ihrer Lebensrealität abgeholt, sie könnten die Videos zu ihrer Zeit und in ihrem Tempo konsumieren und eine digital erleichterte Visualisierung könne auch die Inhalte anschaulicher vermitteln. Außerdem gibt Schins hilfreiche Hinweise: Wie können Lehrkräfte diese Videos erstellen? Welche Länge, welchen Aufbau, welche Sprache oder welche Medien sind für ein Lernvideo angemessen?
Wie einleitend angemerkt, stellen die besprochenen Beiträge nur einen kleinen Teil der inhaltlichen Vielfalt des Sammelbands dar. Weitere Texte befassen sich mit Geschichtslernen in Blogs, in Computerspielen, mit WebQuests oder anhand von 3D-Lernen, andere mit Wissenschaftskommunikation, kollaborativem Arbeiten oder Erstellung von Zeitleisten. Dabei werden Vor- und Nachteile von Methoden erörtert, Praxisbeispiele vorgestellt und technische Umsetzungshinweise gegeben. Dadurch bietet das „Praxishandbuch Historisches Lernen und Medienbildung im digitalen Zeitalter“ zahlreiche Anregungen und Anleitungen für digitales Lehren und Lernen und dürfte Praktiker*innen den Einstieg in die digitale Bildungsarbeit erleichtern.
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- 29 Jul 2020 - 07:34