Von Lucas Frings
Der Untertitel des Buches „Rassistische Diskriminierung und rechte Gewalt. An der Seite der Betroffenen beraten, informieren, intervenieren“ – weist durch die Reihenfolge schon auf den Ansatz hin, Betroffene nach ihren Bedürfnissen zu fragen, anstatt über ihren Kopf hinweg zu handeln
Der 2013 erstmals im Dampfboot Verlag erschienene und 2015 überarbeitet neu aufgelegt Sammelband vereint Beiträge zu rechter Gewalt ab 1989, zu rassistischer Diskriminierung und Antidiskriminierungsarbeit, zur Beratung von Opfern rechter Gewalt und Beiträge über und von politische Aktivist*innen.
Bei 32 Beiträgen kann an dieser Stelle jedoch nur auf eine Auswahl eingegangen werden.
Den Einstieg macht der Text von Juliane Lang und Christina Wendt über Ausgrenzungen und Gewalterfahrungen, die DDR-Vertragsarbeiter*innen nach dem Fall der Mauer zunehmend erfuhren. Der Freiraum, den manche ehemalige DDR-Bürger*innen im Machtvakuum des verschwindenden Status für sich nutzen konnten, wurde für die Arbeiter*innen aus Mosambik, Angola, Vietnam und Kuba zur bedrohlichen Gefahr. Einige von ihnen und andere Bewohner*innen brandenburgischer Städte beschreiben kurz das rechtsextreme Gewaltpotential. Betroffene von der Situation wie der Eberswalder Vertragsarbeiter Jone Munjunga berichten, dass die Polizei sie nicht schützte und wie sich Linke und Migrant*innen gemeinsam um ihren Selbstschutz – wie Schulwegbegleitung oder Schutz von Unterkünften für Asylbewerber*innen – kümmern mussten und dabei auch nicht riskieren konnten auf Selbstbewaffnung zu verzichten.
Weitere Beiträge im ersten Kapitel „Rechte Gewalt“ behandeln die Entwicklung extrem rechter Parteien, Kameradschaften und Kulturen, eine Bürgerinitiative, die sich in Zossen gegen das Erstarken rechter Strukturen einsetzte und die Erinnerung an den rechtsextremen Angriff auf Orazio Giamblanco 1996 im brandenburgischen Trebbin. Mitte Juni 2020 ging der Fall durch die Presse nachdem im dortigen Stadtrat CDU, SPD, die Wählergruppe „Frischer Wind“ und AfD gemeinsam einem Antrag für ein Gedenken an die Tat zugestimmt hatten.
Der Anwalt Stephan Martin berichtet aus seiner Praxis über rechte Tatmotive vor Gericht. Eine Herausforderung besteht darin, dass bereits vor der Anklage die rechte Motivation eines Angriffs von Polizist*innen oder Staatsanwaltschaft ignoriert oder nicht erkannt wird und die im Prozess eingebrachten Berichte dementsprechend entpolitisiert sind. Nebenkläger*innen und ihre Rechtsvertretung, die diese Leerstellen thematisieren könnten, würden teilweise nicht ernst genommen und es komme vor, dass Richter*innen bewiesene rechte Aktivitäten außen vorlassen, solange ein*e Angeklagte*r keine rechte Gesinnung einräume. Anhand von zwei Fällen beschreibt Martin aber auch Gerichtspraktiken, die ein rechtes Tatmotiv konsequent einbezieht und nicht die Angegriffenen mitverantwortlich macht. An solchen Positivbeispielen lasse sich auch zeigen, wie wichtig die Benennung des rechten Hintergrundes auch für Opfer sei, denen nun keine Mitschuld mehr angelastet werden könne und sie sozial rehabilitiere.
Die elf Autor*innen des zweiten Kapitel „Rassistische Diskriminierung und Antidiskriminierungsarbeit“ schildern rassistische Erlebnisse im Alltag und juristische und zivilgesellschaftliche Bemühungen gegen Diskriminierung.
Ksenya Lomakina hat Berichte von drei Personen über ihre persönlichen Erfahrungen mit Rassismus und rassistische Gewalt im Tagebuchcharakter zusammengeführt. Einblicke in Erlebnisse Anderer könne Menschen, die rassistische Gewalt erlitten haben oder erleiden, helfen, das Gefühl einer Einsamkeit mit den eigenen Erfahrungen zu überwinden und empowernd den Austausch zu suchen und gemeinsam Strategien zu entwickeln. Sehr persönlich berichten sie über kontinuierliche Diskriminierung gegenüber ihnen und ihren Familien im schulischen und beruflichen Kontexten und mindestens einem tätlichen Angriff im Alltagsgeschehen.
Institutionalisierte rassistische Praktiken bei der Polizei nehmen Sebastian Friedrich und Johanna Mohrfeldt in den Blick. Das verfassungswidrige Racial Profiling, bei dem PoC für eine verdachtsunabhängige Kontrolle gezielt aus einer größeren Gruppe ausgewählt werden. Die Definitionsmacht über einen Verdacht, mit der Polizist*innen eine selektive Kontrolle rechtfertigen könnten liegt dabei in weitem Maße bei den einzelnen Beamt*innen. Den Autor*innen zufolge tragen individuelle Vorurteile und gesellschaftlich-medial kursierende rassistisch-kriminalisierende Darstellungen in Kombination mit dem Ziel möglichst viele Straftaten dazu bei, dass PoC deutlich häufiger kontrolliert und durchsucht würden. Hinzu kommt, dass Menschen, die ggf. mit einem prekären Aufenthaltstitel in Deutschland leben weniger Informationen und andere Ressourcen haben, um sich über eine solche rassistische Praktik zu beschweren. Polizist*innen könnten also miteinbeziehen, dass sie keine Konsequenzen fürchten müssen. Abschließend verweisen Friedrich und Mohrfeldt auf die Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP), die Betroffene u.a. beim Stellen von Anzeigen und Gerichtsverfahren unterstützt und begleitet.
Eine bis 1998 zurückreichende Geschichte von Opferperspektive e.V. haben die Mitgründer*innen Gaby Jaschke und Kay Wendel aufgeschrieben. Ergänzend zu den Beiträgen dieser Ausgabe von „Lernen aus der Geschichte“ ist dabei vor allem die Anfangsphase spannend. Als Berliner Linke zunehmend über rassistische Gewalttaten in Brandenburg erfuhren, knüpften sie Kontakte in das Brandenburger Umland um mit der „Antifa-Umlandgruppe“ durch Rechte bedrohte Strukturen in Brandenburg u.a. mit Mobilisierung und Solidaritätsveranstaltungen zu unterstützen. Nachdem mit einem Rückgang der rechtsextremen Gewalt ab 1994 eine „trügerische Ruhe“ (S. 217) einkehrte, waren in Brandenburg antifaschistische Strukturen gewachsen, die sich auch ohne die Berliner Gruppe trugen.
In einen Diskurs, der sozialpsychologische Erklärungen für rechte Gesinnung bei Jugendlichen und akzeptierende Sozialarbeit fokussierte hinein, sahen Mitglieder der 1996 aufgelösten „Umlandgruppe“ die Notwendigkeit zum Einen nicht nur die Täter*innen sondern auch die Opfer rechter Angriffe sozialarbeiterisch zu begleiten, zum anderen aber mit ihrer Perspektive in die Gesellschaft hineinzuwirken und Unterstützung zu mobilisieren.
Weitere Beiträge des Kapitels „Beratung von Opfern rechter Gewalt“ befassen sich unter anderem mit psychosozialen Folgen rassistischer Gewalt, Beratungsansätzen und einem Vergleich von Opferberatung in Ost- und Westdeutschland.
Katrin Meinke gibt in ihrem Beitrag einige Tipps zum Umgang mit Einschüchterungen durch Neonazis, etwa für Veranstaltungsplanungen, nach einem Angriff oder zur Unterstützung Betroffener.
Im vierten und letzten Kapitel des Bandes rücken Akteur*innen und Aktivist*innen in den Blick. Ivana Domazet hat für ihren Beitrag Interviews mit zwei Aktiven von Geflüchtetenselbstorganisationen geführt. Eine wichtige Perspektive bringt dabei Elisabeth Ngari von der Frauenflüchtlingsorganisation „Women in Exile“, die auf Organisationszusammenhänge von 1998 zurückgeht, ein. Sie berichtet, dass geflüchtete Frauen in Unterkünften besonders stark unter der geringen Privatsphäre leiden und zugleich mit ihrem Aktivismus auch gegen Vorbehalte von männlichen Geflüchteten stießen. Sie würden dabei nicht gegen deren Interessen kämpfen, aber bräuchten eine unabhängige Struktur mit der sie nicht von anderen – männlich dominierten – Organisationen abhängig seien.
Dass Geflüchtete sich überhaupt selbst organisieren bricht mit dem gesellschaftlichen Bild eines „ohnmächtigen Flüchtlings“ (S.316). Wie Eben Chu von „Refugees Emancipation“ betont, sei das Engagement auch wichtig, da Unterstützer*innen bestimmte Aspekte, wie die Probleme von Geflüchteten in administrativen Vorgängen nicht selbst erleben und so nicht erfassen können.
Dass die Perspektiven von Rassismus Betroffener und politisch Aktiven in vielen Beiträgen durch Interviews oder längere Zitate miteinbezogen werden ist eine Stärke des Bandes. Dieser Ansatz findet sich auch in der im Band dokumentierten Diskussion zwischen vier Brandenburger Aktivist*innen zu Gedenkformen an Todesopfer rechter Gewalt. Mit dem Gedenken wollen sie auch lokal auf konkrete rechte Gewalt und Alltagsrassismus hinweisen. Sie berichten von dem Gegenwind, der ihren örtlichen Gedenkinitiativen traf, etwa mit dem Vorwurf die Opfer zu instrumentalisieren. Zwar sehen sie positive Entwicklungen, die ihre Bemühungen angestoßen haben, zeigen aber keine Selbstzufriedenheit und benennen mehrere Probleme, wie die Herausforderung über die eigene Szene hinaus Menschen zu erreichen oder neue Gedenktafeln, die Teile ihrer Botschaft unterschlagen.
Der umfangreiche Sammelband „Rassistische Diskriminierung und rechte Gewalt“ bringt eine Vielzahl an Erfahrungsberichten, Analysen (struktureller) gesellschaftlicher Probleme und Beispiele für gelingendes Engagement insbesondere in ländlichen Strukturen zusammen. Beachtlich ist, dass es gelingt die Perspektiven von Betroffenen, die etwa als Punks, Geflüchtete, politische Gegner*innen, deutsche PoC oder wegen ihrer Religion angegriffen wurden, gleichermaßen zu berücksichtigen. Opfer rechter Gewalt werden so an dieser Stelle nicht in einer Anerkennungskonkurrenz gesehen. Der Band bietet darüber hinaus Empfehlungen für von Diskriminierung und Gewalt Betroffene, Unterstützer*innen und Haupt-und Ehrenamtliche in Kontexten der Sozialarbeit. Somit bleibt die Aktualität der Beiträge bestehen, wobei aktuelle Ereignisse, erneuerte Konzepte und neu entstandene Initiativen zu berücksichtigen sind.
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- 24 Jun 2020 - 06:32